Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Verbandsklage-Richtlinie in deutsches Recht war Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss am Mittwoch. In ihren Stellungnahmen begrüßten die meisten der zehn eingeladenen Sachverständigen den Gesetzentwurf, hielten es jedoch für erforderlich, die Vorlage an mehreren Stellen zu verbessern. Der Gesetzentwurf (20/6520) sieht unter anderem vor, dass Verbände künftig für Verbraucher und Verbraucherinnen mit einer Abhilfeklage direkt Ansprüche gegenüber Unternehmen geltend machen können. Dazu soll eine neue zivilrechtliche Klageart eingeführt werden.
Alexander Bruns von der Universität Freiburg erklärte, der Entwurf sei sichtlich von dem Bemühen um eine ausgewogene Lösung getragen. Er könnte aber durch Klarstellung und Überarbeitung noch substanziell gewinnen. Damit wäre den Belangen der Verbraucher und der Unternehmen ebenso gedient wie dem Interesse an einer Schonung von Ressourcen der Justiz. Der Professor kritisierte den Anwendungsbereich und sprach sich anders als andere Sachverständige für ein frühes Opt-in, also die Anmeldung des Verbrauchers oder der Verbraucherin zum Klageregister, aus. Die Frist für das Opt-in sollte aus diesen Gründen – wie ursprünglich im Referentenentwurf vorgesehen – besser mit Ablauf des Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung enden, so Bruns.
Caroline Meller-Hannich von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg begrüßte die Möglichkeit, in Zukunft in Deutschland Abhilfeklagen zu Gunsten individueller Ansprüche von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu erheben. Allerdings sollte die Klageerhebung, Prozessführung und Vollstreckung für den klagenden Verband nicht unnötig schwer gemacht werden, so die Professorin, da missbräuchliche Verbandsklagen bislang nicht bekannt geworden seien. Und schließlich sollte das Verfahren für die Betroffenen so attraktiv gestaltet sein, dass massenhafte Parallel- und Folgeklagen entbehrlich werden.
Der Jurist Peter Röthemeyer, Richter und Ministerialbeamter a. D., hält das Kernanliegen der Richtlinie, die Schaffung eines Instruments mit unmittelbarem Leistungszugang, mit dem Entwurf für sachgerecht umgesetzt. Allerdings enthalte das Konzept auch Schwächen. Dazu gehörten Einengungen beim Kreis der Klagebefugten. Der Experte schlug vor, den Klägerradius dem des Unterlassungsklagengesetzes vollständig anzupassen. Die gegenüber dem Referentenentwurf verlängerte Anmeldefrist stelle einen Schritt in die richtige Richtung dar. Das Problem des fehlenden rechtlichen Gehörs für angemeldete Verbraucherinnen und Verbraucher werde damit aber nicht gelöst. Das Konzept müsse daher weiterentwickelt werden.
Peter Allgayer, Richter am Bundesgerichtshof, sieht im Grundsatz und in zahlreichen Einzelfragen wenig bis keinen Spielraum bei der Umsetzung der EU-Richtlinie. Er kritisierte unter anderem, dass die Regelung zur Klageberechtigung qualifizierter Verbraucherverbände über die bisherige Regelung zur Musterfeststellungsklage hinausgehe. Nunmehr bestehe insbesondere die Gefahr der anlassbezogenen Spontangründung eines Verbraucherverbands, dessen im Verbrauchersinn sachgerechte Verfahrensführung fraglich sein könne. Zudem könnten sich mit der Erweiterung der Klageberechtigung qualifizierter Verbraucherverbände aus der Regelung zur grundsätzlich zulässigen Drittfinanzierung Fehlanreize ergeben. Das Gewinninteresse von Drittfinanziers könnte zumindest eine nicht unerhebliche Rolle spielen.
Die Münchener Rechtsanwältin Anne Löhner bewertete den Entwurf aus Sicht der anwaltlichen Praxis. Er sei ersichtlich darum bemüht, die Ziele einer verbesserten Durchsetzung von Verbraucherrechten und der Entlastung der Justiz einerseits sowie den Schutz der Unternehmen vor missbräuchlichen Klagen andererseits zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Der Erfolg der Verbandsklage hänge überdies maßgeblich von der zügigen Modernisierung und Digitalisierung der Justiz ab.
Roland Stuhr vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) erklärte, eine Sammelklage auf Abhilfe könne nur funktionieren, wenn die Richtlinie anwendungs- und verbraucherfreundlich ins deutsche Recht übertragen wird. Insofern seien einige zentrale Regelungen im Gesetzentwurf sehr zu begrüßen, an einigen zentralen Stellen fehle es aber an sachgerechten Lösungen. Das Potenzial der Verbandsklage werde so nicht ausgeschöpft. Eine zentrale Frage betreffe die Zeitspanne, in der sich Betroffene zur Verbandsklage anmelden können. Ziel müsse es sein, durch ein spätes Opt-in möglichst viele Geschädigte zu erreichen und sie einerseits zu ermutigen, ihre Ansprüche durchzusetzen.
Aus der Sicht von Beate Gsell, Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Richterin am Oberlandesgericht München, ist das im Regierungsentwurf vorgeschlagene Abhilfeklagemodell weder für Verbraucher noch für Unternehmer hinreichend attraktiv, noch lässt es erwarten, dass es nennenswert zur Entlastung der Justiz von Massenklagen beiträgt. Ferner seien administrative Hürden für die klagenden Verbände vorgesehen, die kaum zu rechtfertigen seien, und es gebe funktionale Unzulänglichkeiten im Entwurf. Diese ließen befürchten, dass Abhilfeklage- und Umsetzungsverfahren keinen nennenswerten Beitrag zur effizienten Gesamtbereinigung von Massenschäden werden leisten können.
Mari Weiß, Richterin und Sprecherin des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung (NRV), erklärte mit Blick auf das Hauptziel der EU-Richtlinie, Verbraucherrechtsverletzungen mit einem großen Kreis Betroffener zu bereinigen, der Entwurf verfehle dies weitgehend. In einer Gesamtbetrachtung stelle sich die Lösung so dar, dass lediglich ein Verfahren konstruiert werde, das auf die zivilprozessuale Bewältigung eines Gerichtsverfahrens fokussiert ist. Die NRV entnehme der Richtlinie einen anderen Auftrag, nämlich größtmögliche Breitenwirkung im Interesse der Verbraucher und des lauteren Wettbewerbs zu erzielen. Dies sei aus Sicht der NRV bei der Abfassung des Entwurfs aus dem Blick geraten.
Stephan Wernicke, Chefjustitiar der Deutschen Industrie- und Handelskammer, erklärte namens der Verbände der deutschen Wirtschaft, mit dem Entwurf solle den Verbrauchern neben der bereits bestehenden Musterfeststellungsklage eine weitere kollektive Klagemöglichkeit zur Verfügung gestellt werden. Die Bundesregierung sei dabei zwar offenbar bestrebt gewesen, auch die Interessen der Unternehmen an einem fairen Verfahren zu berücksichtigen. Dies sei allerdings nur in Teilen gelungen. Ziel der Umsetzung müsse es sein, geschädigten Verbrauchern Möglichkeiten einer Kompensation zu gewähren, ohne dass die Ausgestaltung der neuen Klageverfahren Missbrauch ermöglicht. Zu den erforderlichen Anpassungen des Entwurfs zählte Wernicke an erster Stelle einen früheren Zeitpunkt für das Opt-in, um die Tragweite des Verfahrens frühzeitig erkennen zu können.
Zur Verankerung der Abhilfeklage im deutschen Recht sieht der Entwurf des Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes (VRUG) ein neues Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) vor. In diesem sollen neben den Regelungen zur Abhilfeklage auch die bestehenden Regelungen zur Musterfeststellungsklage integriert werden. Wie es in dem Entwurf heißt, können mit der neuen Verbandsklage auf Abhilfen „klageberechtigte Stellen nunmehr auch gegen eine Unternehmerin oder einen Unternehmer gerichtete Ansprüche von Verbraucherinnen und Verbrauchern auf Leistung geltend machen. Es können nicht nur Zahlungsanträge gestellt werden, sondern auch Anträge, mit denen die Verurteilung zu einer anderen Leistung angestrebt wird. Der Abhilfeantrag kann auch auf Leistung zugunsten nicht namentlich bestimmter Verbraucherinnen und Verbraucher gerichtet sein“. Durch Änderungen im Unterlassungsklagengesetz und im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb sowie in einigen weiteren Gesetzen sollen die schon bestehenden Regelungen über Unterlassungsklagen durch Verbände an die Vorgaben der Richtlinie angepasst werden, schreibt die Regierung.
Die hib-Meldung zum Regierungsentwurf: https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-945070
Quelle: HiB Nr. 349 vom 10. Mai 2023