Unter Experten ist die von der CDU/CSU-Fraktion geforderte gesetzliche Neuregelung der Nutzung von Zustimmunsfiktionsklauseln im Bankenverkehr umstritten. Das zeigte eine öffentliche Anhörung am Mittwoch im Rechtsausschuss. Grundlage der Anhörung war ein Antrag der Unionsfraktion (20/4888), die darauf dringt, Geschäftsbeziehungen im Bankenverkehr „auch in Zukunft rechtssicher zu gestalten“. Dazu solle eine ausdrückliche Klarstellung in Paragraf 675g BGB vorgenommen werden, „dass dessen Regelung von Zustimmungsfiktionsklauseln ein gesetzliches Leitbild für die AGB-Kontrolle vorgibt“.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2021 habe AGB-Änderungen für Banken erschwert, argumentiert die Fraktion. Das Gericht hatte die bisherige Praxis der Zustimmungsfiktionsklausel, nach der Bankkunden einer AGB-Änderung zustimmen, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist widersprechen, für rechtswidrig und die Zustimmung der Kunden für erforderlich erklärt. Problematisch gestalte sich die aktuelle Rechtslage auch aus Sicht des Verbraucherschutzes, so die Union: „Wenn Bankkunden bei künftigen AGB-Änderungen untätig bleiben oder ihre Zustimmung bewusst verweigern, droht ihnen nun die Kündigung ihres Kontos.“
Eine Befürchtung, die Martin Schmidberger, Generalbevollmächtigter und Bereichsleiter im Produkt- und Zielgruppenmanagement der ING-DiBa AG, bestätigte: Zwar hätten 95 Prozent der ING-Kunden den nötigen Vertrags- oder Entgeltänderungen inzwischen zugestimmt. Das sei verglichen mit Wettbewerbern schon ein hoher Wert, doch auch die fehlende Zustimmung von fünf Prozent der Kunden sei für seine Bank ein Problem. Die Folge seien nämlich „unterschiedliche AGB-Bestände“, es gäbe also Kunden, die für ein und dieselbe Leistung unterschiedliche Gebühren bezahlen. Das sei aus Fairness-Gründen nicht hinnehmbar: „Als ultima ratio können wir Kündigungen nicht ausschließen“, sagte Schmidbauer.
Claire Feldhusen, Juniorprofessorin unter anderem für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht an der Universität Rostock, betonte, dass die von der Union vorgeschlagene Regelung, Zustimmungsfiktionsklauseln unter Beachtung von Paragraf 675g BGB zuzulassen, nur schwer in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) passen. Auch sei sie nicht mit dem EU-Recht vereinbar und stelle Grundprinzipien des Verbraucherschutzes infrage, kritisierte die Expertin. Als Begründung führte Feldhusen in ihrer Stellungnahme an, dass die Regelung eine Gesetzlichkeitsfiktion für sachlich unbegrenzte Zustimmungsfiktionsklauseln bedeuten würde, die dem BGB „fremd“ sei. Das BGB würde zudem um eine Regelung ergänzt, die mit dem EU-Recht nicht abgestimmt sei. Für die Verbraucher bedeute dies nicht Gutes: Die „Funktion der AGB-Inhaltskontrolle“ als Korrektiv, um Marktmissbrauch und Informationsdefizite der Verbraucher zu verhindern, werde geschwächt.
Ähnlich kritisch äußerte sich Dorothea Mohn als Vertreterin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, die eine Änderung der Gesetzeslage rundweg ablehnte: Die von der Union vorgeschlagenen Änderungen dienten nicht der „Rechtssicherheit“, die das BGH-Urteil gerade geschaffen habe, monierte die Expertin. Der Vorschlag würde zudem „neue, unbestimmte Rechtsbegriffe“ im Gesetz einzuführen, die auslegungsbedürftig wären. Alles in allem würde das die Situation der Verbraucher verschlechtern. Änderungen am Preis-Leistungs-Verhältnis von Zahlungsdienstrahmenverträgen wären wieder ohne ihre ausdrückliche Zustimmung möglich, warnte Mohn. „Es entsteht der Eindruck, als könnten sich insbesondere die Sparkassen, aber auch die sonstigen Banken, nicht mit dem Urteil abfinden und versuchen, ihr nicht rechtskonformes Verhalten aus der Vergangenheit für die Zukunft per Gesetz legalisieren.“
Wulf Hartmann vom Bundesverband deutscher Banken hingegen unterstützte die rechtspolitische Initiative der Union. Der Gesetzgeber habe „die Chance, im Interesse der Institute und der Kunden für eine rechtssichere und massengeschäftstaugliche AGB-Anpassung für auf Dauer angelegte Bankverträge wie etwa Giroverträge zu sorgen, so der Sachverständige. Das Urteil des BGH sei für die Kreditwirtschaft “überraschend„ gekommen, habe es doch eine seit mehr als 70 Jahren “akzeptierte und unangefochtene„ Praxis der Zustimmungsfiktionsklausel als unzulässig erklärt.
Olaf Langner vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband erklärte, dass das BGH-Urteil in der Konsequenz zu Vertragslücken in den Beziehungen zu den Kunden geführt habe, die nur über den Weg der individuellen Bitte um Zustimmung beseitigt werden konnten. Dieser Weg sei im “Massengeschäft„ aber nicht dauerhaft gangbar, so Langer mit Verweis auf die Existenz von rund 110 Millionen Girokonten in Deutschland. Der Prozess sei “aufwändig, ressourcenintensiv und sehr teuer„. Hier könne nur der Gesetzgeber mit einer Neuregelung Abhilfe schaffen. “Die Deutsche Kreditwirtschaft„ als Zusammenschluss der Kreditinstitute in Deutschland habe einen eigenen Vorschlag gemacht, der durchaus europarechtskonform sei, so der Sachverständige: Sowohl die EU-Klauselrichtlinie als auch die EU-Zahlungsdiensterichtlinie enthielten “nahezu wortgleiche„ Formulierungen wie die von den Kreditinstituten und auch der Union vorgeschlagene “kleine Lösung„, die Ergänzung von Paragraf 675g BGB.
Auch Katja Langenbucher, Professorin für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Bankrecht an der Universität Frankfurt, unterstützte die Forderung der Union nach gesetzgeberischer Klarstellung. Eine AGB-Änderung auf dem Wege einer Zustimmungsfiktion sei seit Langem etabliert und Blick auf die Schonung von “Ressourcen und Papier„ auch nicht anders möglich. Allerdings äußerte auch sie Bedenken hinsichtlich des Ziels, die AGB-Inhaltskontrolle auszusetzen. Die vorgeschlagene Formulierung greife zu weit und berge die Gefahr einer europarechtlich unzulässigen Einschränkung des Verbraucherschutzes, so die Juristin in ihrer Stellungnahme. Dieser Gefahr lasse sich einfacher durch eine gesetzgeberische Korrektur von Paragraf 307, Absatz 3 BGB begegnen, so die Empfehlung der Sachverständigen.
Für eine “vermittelnde Lösung„ warb Stephan Heinze vom Deutschen Anwaltsverein: Eine “rechtsbefriedende Lösung„ könne seiner Meinung nach nicht über eine AGB-Inhaltskontrolle, sondern eher über eine Einbeziehung der AGB entwickelt werden, so der Experte. Er schlug der Kreditwirtschaft vor, eine “Änderungsmechanismusklausel„ in den AGB vereinbaren, die Anforderung des BGH genüge und sich nur auf “unwesentliche Vertragsänderungen„ beschränke. Dem Problem der Unsicherheit, das sich aus dem unbestimmte Begriff der Wesentlichkeit beziehungsweise Unwesentlichkeit ergebe, ließe sich auch begegnen, so Heinze: Es könne festgelegt werden, dass eine Klausel, die bislang angewendet wurde, als einbezogen gelten soll. Unbenommen bleibe dann, wie bisher in der Praxis in der Rechtsprechung, eine einbezogene Klausel einer Inhaltskontrolle zu unterziehen und möglicherweise zu beanstanden.
Quelle: Deutscher Bundestag, HiB Nr. 235 vom 29. März 2023