Es ist ein tragischer Fall, der den juristischen Begriff der Führungsaufsicht in den Fokus der Berichterstattung gerückt hat: das Tötungsdelikt an der 14-jährigen Ayleen. Der mutmaßliche Täter soll unter Führungsaufsicht gestanden haben, die jedoch vom Gericht nicht verlängert worden ist.

Vielen dürfte das Konstrukt der Führungsaufsicht nicht ganz so vertraut sein, wie andere klassische Instrument des Sanktionenrechts: die Strafaussetzung zur Bewährung oder die Sicherungsverwahrung.

Keine Strafe

Bei der Führungsaufsicht handelt es sich um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, kann also unabhängig von der Schuld der Täters verhängt werden und dient vor allem präventiven Zwecken. Eine Maßregel wird aufgrund einer positiven Gefährlichkeitsprognose angeordnet.

Die Führungsaufsicht dient als Lebenshilfe für den Übergang in die Freiheit, indem sie Straffällige mit ungünstiger Sozialprognose und Schwerkriminelle nach der Strafhaft, der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt überwacht. Die beiden zentralen Aspekte sind „Hilfe und Kontrolle“.

Weitere Maßregeln der Besserung und Sicherung

  • Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB)
  • Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB)
  • Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB)
  • Führungsaufsicht (§ 68 StGB)
  • Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB)
  • Berufsverbot (§ 70 StGB)

Die Führungsaufsicht ist eng mit der Bewährungshilfe verwandt, hat jedoch erweiterte Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten.

Wann tritt diese ein?

Die Führungsaufsicht kann entweder kraft Gesetzes eintreten (z.B. § 68f I StGB) oder aufgrund einer richterlichen Anordnung im Urteil (§ 68 I StGB).

Am häufigsten tritt diese kraft Gesetzes nach § 68f I StGB ein, wenn eine mindestens zweijährige Freiheitsstrafe vollständig vollstreckt worden ist. Bei in § 181b StGB genannten Delikten ist eine Freiheitsstrafe von einem Jahr ausreichend. Grund ist das angenommene erhöhte Rückfallrisiko.

In dieser Konstellation wird davon ausgegangen, dass von einem Verurteilten, dessen Strafe nicht vorzeitig zur Bewährung ausgesetzt wurde, weiterhin eine Gefahr ausgeht und er deshalb einer weiteren Kontrolle bedarf.

Weiter tritt sie kraft Gesetzes ein, wenn die Vollstreckung einer Maßregel zur Bewährung ausgesetzt wird.

(1) Hat jemand wegen einer Straftat, bei der das Gesetz Führungsaufsicht besonders vorsieht, zeitige Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verwirkt, so kann das Gericht neben der Strafe Führungsaufsicht anordnen, wenn die Gefahr besteht, daß er weitere Straftaten begehen wird.

– § 68 Abs. 1 StGB

Bei bestimmten besonders rückfallgefährdeten Straftaten (z.B. Diebstahl, Hehlerei, Betrug) kann das Gericht in den gesetzlich vorgesehenen Fällen schon im Zeitpunkt der Verurteilung die Führungsaufsicht anordnen, wenn mindestens eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten verwirkt wird.

Wie ist die Führungsaufsicht ausgestaltet und wie läuft diese ab?

Insgesamt wirken bei der konkreten Ausgestaltung der Führungsaufsicht drei Stellen mit. Zum einen der obligatorisch zu bestellende Bewährungshelfer, der vor allem helfend und betreuend dem Verurteilten zur Seite steht. Daneben ist die Führungsaufsichtsstelle verstärkt für die Kontrolle und Überwachung des unter Führungsaufsicht stehenden zuständig. Als übergeordnetes Organ vermittelt das Gericht zwischen den beteiligten Stellen und kann gestaltend in die laufende Führungsaufsicht eingreifen (vgl. §§ 68a IV, V, 68d StGB).

Meist ist die Strafvollstreckungskammer am Landgericht das zuständige Gericht. Diese entscheidet im Vorfeld ja bereits über die Strafrestaussetzung zur Bewährung.

Die Strafvollstreckungskammer kann der verurteilten Person Weisungen für die künftige Lebensführung erteilen, die von der Führungsaufsichtsstelle überwacht werden. Beispiele können sein sich regelmäßig bei einem Therapeuten vorzustellen oder den Kontakt zu bestimmten Personen zu unterlassen. Bei allen Weisungen ist jedoch das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Auch das Tragen einer Fußfessel zum Schutz des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit kann zulässig sein. Recht häufig werden aber auch bestimmte Weisungen für unzulässig erklärt.

Eine Weisung, die ein pauschales Verbot der Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts ist unzulässig, da diese Weisung zu unbestimmt ist und so dem Straftäter faktisch das Recht auf Meinungsfreiheit komplett entzieht.

– BVerfG, 8. Dezember 2010, AZ 1 BvR 1106/08

Diese Weisungen können auch ausdrücklich vom Gericht strafbewehrt gestellt werden. Und darin liegt genau das scharfe Schwert der Führungsaufsicht. Bei einer Vollverbüßung der Freiheitsstrafe droht eben ja auch kein Widerruf der Bewährung bei einem Verstoß gegen Weisungen und Auflagen im Bewährungsbeschluss. Bei einem Verstoß gegen eine solche Weisung droht eine Verurteilung nach § 145a StGB.

Laut Rechtspflegestatistik waren 2021 fast 41.000 Führungsaufsichten bei den Landgerichten anhängig.

§ 145a StGB – Strafbarkeit des Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht


Wer während der Führungsaufsicht gegen eine bestimmte Weisung der in § 68b Abs. 1 bezeichneten Art verstößt und dadurch den Zweck der Maßregel gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 2Die Tat wird nur auf Antrag der Aufsichtsstelle (§ 68a) verfolgt.

– § 145a StGB

Zur Darstellung der Strafbarkeit und zur Veranschaulichung ist nachfolgend ein Auszug aus einem Urteil des Amtsgerichts Bonn dargestellt, in dem der Angeklagte wegen Verstößen gegen strafbewehrte Weisungen zu 5 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde:

Der Angeklagte steht auf Grund des Beschlusses des Landgerichts Bonn vom 22.11.2016 – 55 StVK 532/16 FA – seit dem 02.12.2016 unter Führungsaufsicht gemäß § 68 f Abs. 1 StGB. Durch weiteren Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn vom 13.09.2017 wurde der Beschluss über den Eintritt der Führungsaufsicht vom 22.11.2016 dahingehend konkretisiert bzw. abgeändert, dass dem Verurteilten aufgegeben werde, sich bei dem für ihn zuständigen Bewährungshelfer zu dessen Sprechzeiten (derzeit: jeden ersten Dienstag eines Monats in der Zeit zwischen 15:00 und 18:00 Uhr) in dessen Diensträumen zu einem persönlichen Gespräch vorzustellen.
Auf die Strafbarkeit eines Weisungsverstoßes wurde der Angeklagte hingewiesen.
In Kenntnis dieser Weisung und der Strafbarkeit von Weisungsverstößen erschien der Angeklagte zu den Terminen von Januar 2020 bis einschließlich Juni 2021 nicht auf der Führungsaufsichtsstelle.
Dieses Verhalten des Angeklagten läuft dem Zweck der Maßregel zuwider. Die fehlende sozialpädagogische Betreuung geht weiterhin mit der Gefahr der Begehung weiterer Straftaten einher.
Der erforderliche Strafantrag wurde gestellt.

AG Bonn, Urteil vom 25.08.2021, Az. 651 Ls 27/21

Ein Knackpunkt, an dem eine Verurteilung jedoch häufig scheitert ist immer wieder Belehrung des Angeklagten hinsichtlich der Strafbarkeit eines Weisungsverstoßes.

Nachfolgend ein Beispiel aus der Rechtsprechung des BGH. Einem verurteilten Sexualstraftäter war es im Rahmen der Führungsaufsicht untersagt worden, sich in Schwimmbädern aufzuhalten. Als er dies dennoch tat, wurde er vom Landgericht wegen Verstoßes gegen Weisungen in der Führungsaufsicht verurteilt. In dem Beschluss des BGH (BGH 3 StR 50/21) wurde diese Verurteilung aufgrund einer fehlerhaften Belehrung des Angeklagten aufgehoben:

„Gemessen daran tragen die Urteilsgründe eine Verurteilung wegen Verstößen gegen die Weisung während der Führungsaufsicht nicht. Ob der verfahrensgegenständliche Führungsaufsichtsbeschluss die genannten Voraussetzungen erfüllt, lässt sich dem Urteil, in dem der Beschluss über die Weisungen während der Führungsaufsicht nur auszugsweise mitgeteilt wird, nicht entnehmen (UA S. 7). Wie dargelegt, genügt die in dem Führungsaufsichtsbeschluss betreffend die Untersagung des Aufenthalts in Schwimmbädern ausweislich der Urteilsgründe lediglich in einem Klammerzusatz enthaltene bloße Bezugnahme auf § 68b Abs. 1 Nr. 2 StGB ebenso wie die durchgeführte mündliche Belehrung des Angeklagten über die Strafbarkeit eines Weisungsverstoßes nicht. Der nach den Urteilsgründen bestehende Mangel an Klarheit und Unmissverständlichkeit der Fassung des Führungsaufsichtsbeschlusses wird auch nicht dadurch geheilt, dass dem Angeklagten die Strafbarkeit eines Weisungsverstoßes bewusst war (UA S. 7).“

BGH, Beschluss vom 16. Juni 2021, 3 StR 50/21

Verurteilungsstatistik zu § 145a StGB

2020 wurden insgesamt 639 Personen wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht verurteilt. Fast die Hälfte davon zu Freiheitsstrafen.

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