Unter dem Titel „Das wird man doch noch sagen dürfen! Vom Meinen und (Ver)Urteilen: Ende der Meinungsfreiheit oder Anfang der Debatte?“ fand am 14. und 15. September eine Fachtagung der Senatorin für Justiz und Verfassung und des Zentrums für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen in der Bremer Landesvertretung in Berlin statt. Rund 90 Teilnehmende waren in die Landesvertretung gekommen.
„Wer eine Meinung öffentlich äußert, die andere nicht teilen, hat es derzeit nicht leicht. In aufgeregten Auseinandersetzungen scheint die Meinung an sich noch provozierender als ihr Anlass. Die geäußerte Meinung stellt für zunehmend mehr Menschen keinen Diskursbeitrag mehr dar, sondern schlicht eine Provokation, die mitunter sogar blanken Hass erzeug“, erläutert Justizsenatorin Schilling den Anlass für die Fachtagung.
„Der Rahmen der freien Meinungsäußerung hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt und er wandelt sich noch. Der Debattenplatz verlagert sich zunehmend ins Digitale. Im Internet ordnen Familie, Freunde, Kollegen und die örtliche Tageszeitung aber nicht mehr oder nur noch begrenzt ein, was jemand sagt. Aufmerksamkeit bekommt im Netz, wer ordentlich auf die Pauke haut und möglichst wenig differenziert“, so Schilling.
Dass Debatten zunehmend im Internet stattfänden, berge eine weitere Herausforderung: „Gleich und gleich gesellt sich gern – so ein Sprichwort. In jeder Familie kennt man den nervigen Cousin, der mit seinen abwegigen politischen Ansichten noch jeden Geburtstag der Oma zu sprengen weiß. Im Internet bleibt uns dieser Cousin erspart. Schnell treffen wir in Echokammern und Filterblasen nur noch Gleichgesinnte. Die sind total nett. Sie vertreten – rein zufällig – die Auffassung, die wir schon immer hatten oder zu der wir ohnehin tendierten und uns nun bestärkt fühlen“, erklärt die Justizsenatorin. Dazu käme, dass Suchmaschinen darüber entschieden, welche Informationen angezeigt würden. „So wird der Rahmen der Meinungsbildung in einem erheblichen Umfang privatisiert und ist nicht mehr in öffentlicher Hand“, so Schilling.
Als Brennglas der gesellschaftlichen Entwicklung erscheine der Justizvollzug. Wenn es zutreffend sei, dass die öffentliche Meinungsbildung sich zunehmend ins Digitale verlagere und die gesellschaftlichen Fronten sich verhärteten: Wie gelinge öffentliche Meinungsbildung hinter Gittern? Entspreche es noch dem Grundsatz, das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzupassen, wenn Gefangenen der Zugang zum Internet verwehrt bleibe? Wie stehe es um das Verhältnis von Meinungs- und Pressefreiheit zu Resozialisierungsauftrag und Gefahrenabwehr?
Diese und weitere Fragen wurden auf der eineinhalbtägigen Fachtagung in Berlin diskutiert.
Vortragende waren die Mitglieder des Deutschen Bundestages Sonja Eichwede und Philipp Amthor, der vormalige Richter des Bundesverfassungsgerichts Professor Dr. Andreas Paulus von der Universität Göttingen, die Direktorin des Zentrums für Europäische Rechtspolitik Professorin Dr. Pia Lange, Professor Dr. Tristan Barczak von der Universität Passau, Professor Dr. Lars Viellechner von der Universität Bremen, Staatssekretär für Justiz, Gleichstellung und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern Friedrich Straetmanns, die Berliner Beauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Meike Kamp, der Leiter der JVA Tegel Martin Riemer und schließlich die Richterin am Verwaltungsgericht und vormalige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht Dr. Anne-Sophie Ritter.
„Ich freue mich sehr über das rege Interesse, das zeigt, dass wir mit diesen vierten Bremer Gesprächen zum Rechtsstaat ein wichtiges und relevantes Thema aufgegriffen haben“, so Schilling abschließend.
(c) Senatskanzlei Bremen, 16.09.2023