Der Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 22. Januar 2020 für die Netzverstärkung im Ostalbkreis genügt den Anforderungen des Immissionsschutzrechts mit Blick auf die entstehenden elektromagnetischen Felder und leidet auch im Übrigen an keinen Mängeln, die Rechte der Kläger verletzen. Das hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) mit einem jetzt zugestellten Urteil vom 8. November 2022 entschieden und die Klage von acht Anwohnern abgewiesen.
Die Kläger wenden sich gegen den auf Antrag der Netze BW GmbH (Beigeladene) erlassenen Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 22. Januar 2020 für die Netzverstärkung Ostalbkreis auf den 110-kV-Leitungen Goldshöfe-Ellwangen (LA 0412), Ellwangen-Nördlingen (LA 0401), Hohenberg-Goldshöfe (LA 0321), Ellwangen-Hohenberg (LA 0408). Der Planfeststellungsbeschluss beruht auf den §§ 43 ff. EnWG, §§ 72 ff. LVwVfG und dient der Verstärkung des Hochspannungsnetzes im Ostalbkreis zur Gewährleistung der Netzstabilität.
Die acht Kläger sind Eigentümer bzw. Wohnrechtsinhaber von mit Wohngebäuden und anderen zum Aufenthalt von Menschen bestimmten Gebäuden bebauten Grundstücken im Bereich einer bereits bestehenden 110-kV-Leitung in Ellwangen-Neunheim, auf deren Masten ein zweiter 110-kV-Stromkreis zubeseilt werden soll durch Auflegung dreier Leiterseile auf die freien Traversenplätze der Bestandsleitung. Sie machen im Wesentlichen geltend, aufgrund der erheblichen Belastung durch die bereits bestehende Leitung und die zu erwartende höhere Belastung durch die zweite Leitung sei eine Erdverkabelung in ihrem Bereich die zu bevorzugende Art der Trassenführung. Die diesbezügliche im Planfeststellungsbeschluss enthaltene Abwägung zu ihren Lasten sei im Ergebnis nicht haltbar. Der Planfeststellungsbeschluss stehe überdies nicht im Einklang mit immissions-schutzrechtlichen Vorschriften. Ihr Interesse an jeglicher Verschonung vor elektromagnetischen Feldern sei nicht hinreichend berücksichtigt worden (zum Gegenstand des Verfahrens siehe auch die Pressemitteilung des VGH vom 27. April 2022 zur Geschäftstätigkeit 2021, unter 3.).
Der erstinstanzlich zuständige VGH hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung seines Urteils führt der 6. Senat des VGH aus: Das Vorhaben sei gerechtfertigt. Es diene der Gewährleistung der Netzstabilität. Durch die stetige Zunahme von Photovoltaik- und Windkraftanlagen in den vergangenen Jahren sowie den zu er-wartenden Zubau weiterer solcher Anlagen habe sich die Versorgungssituation in der betroffenen Region verändert. Durch die steigende Einspeisung erneuerbarer Energien bestehe die Gefahr einer Aus- bzw. Überlastung benachbarter Strom-kreise, so dass nicht mehr sichergestellt werden könne, dass es im Falle eines Ausfalls nicht zu einer dauerhaften Versorgungsunterbrechung komme. Des Weiteren genüge der Planfeststellungsbeschluss den Anforderungen des Immissionsschutzrechts mit Blick auf die entstehenden elektromagnetischen Felder. Der Be-trieb der Hochspannungsleitung rufe durch elektromagnetische Felder keine schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG hervor. Die maßgeblichen Grenzwerte würden weit unterschritten. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Kläger durch das planfestgestellte Vorhaben von sogenannten Korona-Entladungen – Teilentladungen zwischen spannungsführendem Leiterseil einer Freileitung und der das Leiterseil umgebenden, isolierenden Luft – nachteilig betroffen sein könnten. Die Anforderungen des sogenannten Minimierungsgebots würden ebenfalls erfüllt. Im Planfeststellungsbeschluss werde nachvollziehbar dargelegt, dass bei Errichtung der Bestandsleitung bereits die technischen Möglichkeiten der Minimierung elektrischer und magnetischer Felder, soweit möglich und sachgerecht, ausgeschöpft worden seien und die weitere Optimierung der Leiteranordnung im Rahmen der Ausführungsplanung erfolgen werde. Soweit die Kläger eine alternative Trassenführung sowie eine Erdverkabelung anstrebten, verhelfe ihnen das Minimierungsgebot des § 4 Abs. 2 Satz 1 der 26. BImSchV schon im Ansatz nicht zum Erfolg. Das Minimierungsgebot verlange gerade keine Alternativenprüfung, wie alternative Trassenführung, Erdkabel statt Freileitung o-der Standortalternativen, sondern sei individuell für die geplante Anlage ein-schließlich ihrer geplanten Leistung und für die geplante Trasse zu berücksichtigen. Das in § 43h EnWG verankerte Erdverkabelungsgebot sei nicht einschlägig, weil es nur für neue Trassen und nicht für Bestandstrassen gelte. Unabhängig davon ergebe sich auch aus der Grobkostenkalkulation, in der die überschlägigen Kosten der planfestgestellten Freileitung denen einer Erdverkabelung auf alternativer Trasse gegenübergestellt worden seien, dass der in § 43h Satz 1 Hs. 1 EnWG genannte Kostenfaktor bei einer Erdverkabelung deutlich überschritten würde.
Schließlich leide der Planfeststellungsbeschluss nicht an relevanten Abwägungsfehlern. Das erhebliche Gewicht, das das Regierungspräsidium der Vorbelastung im Rahmen der Abwägung beigemessen habe, sei nicht zu beanstanden. Von erheblicher Bedeutung sei insoweit nicht nur, dass in der bestehenden Trasse bereits seit den 1920er Jahren eine Stromleitung geführt worden und die Wohnbebauung immer weiter an die Leitungstrasse „herangerückt“ sei. Als sehr gewichtig habe auch einbezogen werden dürfen, dass mit der geplanten Zubeseilung eines weiteren Stromkreises keine Erweiterung des Schutzstreifens einhergehe. Denn daraus folge der Sache nach, dass die Grundstücke der Kläger keinen weiteren Nutzungsbeschränkungen ausgesetzt würden, die über die bereits bestehenden hinausgingen. Die Grundstücke der Kläger seien bereits mit beschränkt persönlichen Dienstbarkeiten zugunsten der Beigeladenen dinglich belastet. Der Senat habe keine Zweifel daran, dass der bereits bestehende und dinglich gesicherte Schutzstreifen dem erforderlichen Maß entspreche und insbesondere nicht wegen des hier planfestgestellten Vorhabens erweitert werden müsse. Entgegen der Ansicht der Kläger führe die bereits seit Jahrzehnten bestehende Vorbelastung auch nicht dazu, dass ihr Interesse, in Zukunft von Belastungen freigestellt zu werden, besonders schutzwürdig wäre. Die Grundstückseigentümer hätten sich seit den 1920er Jahren auf das Bestehen der Freileitung an Ort und Stelle einrichten können. Gleichwohl hätten die Kläger bzw. ihre Rechtsvorgänger in den – auch in den Bebauungsplänen ausgewiesenen – Schutzstreifen hineingebaut. Schließlich habe der Planfeststellungsbeschluss auch die Belastung der Immissionen durch elektromagnetische Felder unterhalb der Grenzwerte ausreichend abgewogen.
Die Revision wurde nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt werden (Az.: 6 S 833/20).
Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 3. Januar 2023