Die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts Weimar hat in dem Verwaltungsrechtsstreit der Alternative für Deutschland Landesverband Thüringen (im Folgenden Klägerin) gegen den Freistaat Thüringen, vertreten durch den Präsidenten des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz (im Folgenden Beklagter) mit Urteil vom heutigen Tag die Klage abgewiesen.

In dem Verfahren wendet sich die Klägerin gegen drei ausdrücklich bezeichnete Textteile im Verfassungsschutzbericht des Freistaats Thüringen für das Jahr 2021, den das Amt für Verfassungsschutz herausgegeben hat. In dem Bericht finden sich auf den Seiten 14 bis 25 unter der Überschrift „2. rechtsextremistische Parteien“ verschiedene Ausführungen zu der Klägerin. Streitgegenstand sind Textteile auf den Seiten 15 und 16 aus dem Abschnitt „Islamfeindschaft: Verstöße gegen die Menschenwürde“, auf Seite 21 zu dem Abschnitt „Angriffe auf das Rechtsstaatsprinzip“ und auf den Seiten 21 und 22 zu dem Abschnitt „Geschichtsrevisionismus“. Die Klägerin begehrt die Unterlassung dieser Äußerungen und eine Richtigstellung.

Die schriftlichen Urteilsgründe des klageabweisenden Urteils liegen noch nicht vor. In seiner mündlichen Urteilsbegründung im Termin zur Verkündung des Urteils hat der Vorsitzende der Kammer im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig, aber nicht begründet.

Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist der allgemeine öffentlichrechtliche Unterlassungsanspruch. Dieser setze voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte des Betroffenen vorliege. Von einem solchen Eingriff in Rechte der Klägerin aus Art. 21 GG sei auszugehen. Dieser Eingriff sei allerdings gerechtfertigt, weil der Beklagte sich im Rahmen der ihm zugewiesenen Aufgaben bewege. Auch seien die rechtsstaatlichen Anforderungen an die Äußerungen in Form des Sachlichkeitsgebots gewahrt. So seien die mitgeteilten Tatsachen, hier die verwendeten wörtlichen Zitate, insgesamt zutreffend wiedergegeben worden. Die Interpretationen dieser Zitate überschritten nicht den sachlich gebotenen Rahmen und enthielten eine sachgerechte und vertretbare Würdigung der Zitate. Auch seien die Äußerungen im Hinblick auf das mit der Äußerung verfolgte sachliche Ziel im Verhältnis zu der Grundrechtsposition der Klägerin nicht unverhältnismäßig.

Die streitgegenständlichen Äußerungen des Beklagten fänden ihre Rechtsgrundlage in § 5 Abs. 2 Satz 1 Thüringer Verfassungsschutzgesetz. Danach habe das Amt für Verfassungsschutz die Aufgabe, die Öffentlichkeit in zusammenfassenden Berichten über Bestrebungen und Tätigkeiten, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, zu unterrichten. Die Einordnung der Klägerin als „rechtsextremistische Partei“ im zweiten Abschnitt des Verfassungsschutzberichts greife die Klägerin nicht an.

In dem ersten streitgegenständlichen Text aus dem Kapitel „Islamfeindschaft: Verstöße gegen die Menschenwürde“ werde ein Facebook-Eintrag des Landessprechers der Klägerin Herrn Höcke zwar gekürzt, aber nach Auffassung des Gerichts in der Gedankenfolge sinngemäß wiedergegeben. Es sei auch vertretbar, dass die Zitate in diesem Kapitel gebracht würden. Das Kapitel thematisiere ausweislich der Einleitung im ersten Absatz neben der Islamfeindschaft auch den von der Klägerin vertretenen ethnisch-kulturellen Volksbegriff, der von dem Beklagten als Verstoß gegen die Menschenwürde gesehen werde. Dieser Volksbegriff werde in dem Facebook-Eintrag mit der Aussage, „dass nicht alle Kulturen miteinander kompatibel sind“, aufgegriffen. Nach Auffassung des Gerichts darf der Beklagte in diesem Verständnis eines Nebeneinanders von Kulturen einen Verstoß gegen die Menschenwürde sehen.

Der zweite streitgegenständliche Text, das Kapitel „Angriff auf das Rechtsstaatsprinzip“, verwendet Zitate des Landessprechers der Klägerin Herrn Möller aus einer Veröffentlichung im Internet. Auch diese Zitate seien zwar gekürzt, stammten aber aus einem zusammenhängenden Abschnitt der Internet-Veröffentlichung und gäben auch hier die Gedankenfolge sinngemäß wieder.

Das Gericht hält es im oben genannten Sinn auch für vertretbar, wenn der Beklagte die Feststellung, dass die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts „von der herrschenden politischen Mehrheit sorgfältig ausgewählt und eingesetzt“ würden, als Angriff auf das Rechtsstaatsprinzip bewerte. Denn das Wahlverfahren, wonach die 16 Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts jeweils zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt würden und für die Wahl eine Zweidrittelmehrheit erforderlich sei, soll gerade die politische Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter sichern und eine einseitige Auswahl durch bestehende politische Mehrheiten verhindern.

Der dritte streitgegenständliche Text aus dem Kapitel „Geschichtsrevisionismus“ gibt einen Facebook-Eintrag des Landessprechers der Klägerin Herrn Höcke vollständig wieder. Auch hier ist nach Auffassung des Gerichts die Interpretation des Beklagten, den Eintrag als geschichtsrevisionistisch zu bewerten, vertretbar. Als Geschichtsrevisionismus versteht das Gericht dabei den Versuch, ein wissenschaftlich, gesellschaftlich und politisch anerkanntes Geschichtsbild zu revidieren. Ausgehend davon, dass nach dem in der Bundesrepublik Deutschland in diesem Sinne anerkannten Geschichtsbild zu den Toten der beiden Weltkriege auch und gerade die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des Holocaust zählten, könne der Beklagte einen Gedenktext anlässlich des Volkstrauertags, der in einer detaillierten Aufzählung der Toten diese Opfer nicht nenne, in einem Kapitel „Geschichtsrevisionismus“ als eines von mehreren Beispielen anführen.

Schließlich falle auch die Abwägung zwischen den beteiligten Interessen zu Lasten der Klägerin aus. Das öffentliche Interesse an der durch den Verfassungsschutzbericht 2021 bezweckten Unterrichtung der Öffentlichkeit über Äußerungen der Klägerin bzw. von Vertretern der Klägerin als gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen habe ein sehr erhebliches Gewicht. Das Gewicht des Interesses der Klägerin an der Unterlassung der streitgegenständlichen Textteile sei demgegenüber geringer anzusetzen. Denn die Klägerin sei durch die Nennung der Textteile im Verfassungsschutzbericht nicht gehindert, die hier angeführten inhaltlichen Positionen mit den zitierten Formulierungen weiterhin auch öffentlich zu vertreten.

Der bloßen Nennung im Verfassungsschutzbericht komme ein Verbotscharakter nicht zu. Der mit der Nennung allerdings verbundene Makel wiege gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit geringer.

Aktenzeichen 8 K 1272/23 We. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Klägerin kann einen Antrag auf Zulassung der Berufung beim Thüringer Oberverwaltungsgericht stellen.

(c) VG Weimar, 27.08.2024

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