Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart hat Maßnahmen des (vormaligen) Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg im Rahmen eines Staatsaufsichtsverfahrens nach dem Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Genossenschaftsgesetz, im Folgenden: GenG) mit Urteil vom 05.05.2022 aufgehoben, soweit sie rechtswidrig waren (4 K 3013/19). Im Übrigen hat sie die Klage abgewiesen.
Der Kläger, der Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. (vbw), ist ein genossenschaftlicher Prüfungsverband. Mitglied des vbw war auch die mittlerweile insolvente Eventus eG – Wohnungsgenossenschaft. In Folge der Insolvenz der Eventus eG verpflichtete das (vormalige) Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg den vbw dazu, eine Sonderuntersuchung durch einen Wirtschaftsprüfer zu dulden. Das Gutachten des Wirtschaftsprüfers kam zu dem Ergebnis, dass aufgrund der offensichtlichen Widersprüche zwischen dem Geschäftsmodell, des in der Satzung angegebenen Förderzwecks und dem Genossenschaftsgesetz die Eventus eG nie hätte als Genossenschaft eingetragen werden dürfen. Bei den Pflichtprüfungen habe der vbw zahlreiche Mängel in der Geschäftsführung und erhebliche wirtschaftliche Probleme bei der Eventus eG festgestellt. Der Wirtschaftsprüfer war deshalb der Ansicht, dass die Prüfungshandlungen des vbw im Rahmen der genossenschaftlichen Pflichtprüfungen im Hinblick auf die Eventus eG gravierende Defizite aufgewiesen hätten. Auf Basis des Gutachtens stellte das (vormalige) Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg mit Bescheid vom 09. April 2019 fest, dass der vbw gegen ihm obliegende Pflichten nach dem Genossenschaftsgesetz verstoßen habe (insbesondere § 11 Abs. 2 Ziff. 3, § 21 Abs. 1, § 21a, § 53, § 57 Abs. 4, § 60 Abs. 1 GenG) und ordnete diverse Maßnahmen im Hinblick auf Strukturen und Prozesse der Prüfungstätigkeit des vbw und eine Nachschau durch einen externen Wirtschaftsprüfer an.
Soweit sich der Rechtsstreit zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 05. Mai 2022 noch nicht erledigt hatte, hob die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart den angefochtenen Bescheid teilweise auf. Für eine reine Feststellung des Verstoßes gegen das Genossenschaftsgesetz gebe es keine Ermächtigungsgrundlage. Jedenfalls aber sei die getroffene Feststellung, dass gegen Pflichten nach dem GenG verstoßen worden sei, zu pauschal und daher rechtswidrig. Die übrigen beanstandeten Anordnungen könnten zwar auf § 64 Abs. 2 Satz 1 GenG gestützt werden, seien aber überwiegend rechtswidrig, teilweise bereits wegen fehlender oder unzureichender Begründung der einzelnen Anordnungen.
Die Kammer stellte hinsichtlich der Rechtsnatur der dem Ministerium obliegenden Staatsaufsicht über die genossenschaftlichen Prüfungsverbände fest, dass diese keine reine Rechtsaufsicht darstelle. Zu überprüfen sei die „ordnungsgemäße“ Aufgabenerfüllung durch die Prüfungsverbände, weshalb die Kontrolle über die Beanstandung rein rechtswidrigen Handelns hinausgehen könne. Einzelne gegenüber dem vbw getroffene Anordnungen seien dennoch rechtswidrig.
Für die Anordnungen die Gründungsprüfung betreffend ergebe sich dies aus Folgendem: Die Forderung nach einer sog. integrierten Unternehmensplanung im Rahmen der Gründungsprüfung sei unverhältnismäßig und mithin ermessensfehlerhaft. Dem Prüfungsverband käme ein Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum im Hinblick darauf zu, welche Unterlagen bei der Gründungsprüfung erforderlich seien. Auch die Anordnung, im Rahmen der Prüfung der persönlichen Verhältnisse der Organmitglieder eine umfassende Zuverlässigkeitserklärung einzuholen, sei bereits unverhältnismäßig und insbesondere ermessensfehlerhaft, weil die Anordnung nicht hinreichend begründet worden sei. Die weitere Anordnung, im Rahmen der Prüfung der Vereinbarkeit der Satzung der Genossenschaft mit den Vorgaben des Genossenschaftsgesetzes die Regelungen der Satzung auf Übereinstimmung mit dem Geschäftsmodell und der integrierten Unternehmensplanung hin kritisch zu überprüfen, sei zu unbestimmt und zudem ebenfalls ermessensfehlerhaft. Es sei schon nicht bestimmbar, was eine „kritische Überprüfung“ sein solle. Auch die Anordnung, der vbw habe verstärkt darauf hinzuwirken, dass bei Genossenschaften mit investierenden Mitgliedern die Vorschriften des § 8 Abs. 2 GenG eingehalten würden, sei zu unbestimmt und ermessensfehlerhaft. In diesem Fall sei nicht bestimmbar, was unter einem „verstärkten Hinwirken“ zu verstehen sei. Soweit der Bescheid dem vbw aufgebe, anhand einer Gesamtschau der Unterlagen der Gründungsprüfung eine Prognoseentscheidung zu treffen, inwieweit durch den Geschäftsbetrieb der Genossenschaft eine Gefährdung für die Belange der Mitglieder oder der Gläubiger zu besorgen sei, sei er mangels Begründung ermessensfehlerhaft.
Die Anordnungen zur genossenschaftlichen Pflichtprüfung seien insoweit rechtwidrig, als sie dem vbw aufgäben, bei der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Genossenschaft Feststellungen zur finanziellen Stabilität und über die zukünftige Nachhaltigkeit der Erfolgssituation der Genossenschaft zu treffen. Auch in diesem Fall fehle eine Begründung für die Anordnung, weshalb sie ermessensfehlerhaft sei. Aus dem gleichen Grund sei auch die Anordnung ermessensfehlerhaft, wonach der vbw zur Nachstichtagsprüfung eine aktuelle Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung einzuholen habe, die zum Zeitpunkt des gemeinsamen Prüfungsgesprächs nicht älter als drei Monate sein dürfe. Soweit der Bescheid dem vbw aufgebe, darauf hinzuwirken, dass Genossenschaften sich rechtzeitig prüfungsbereit stellen und festgestellte Jahresabschlussberichte in den ersten fünf Monaten nach Ende des Geschäftsjahres für das vergangene Geschäftsjahr vorlegen, sowie bei erheblicher Überschreitung geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die rechtzeitige Aufstellung herbeizuführen, oder die Bestätigung des Jahresabschlusses zu versagen, verstoße dies gegen § 48 Abs. 1 Satz 3 GenG. Im Übrigen sei die Anordnung zu unbestimmt. Weder sei bestimmbar, was unter „Hinwirken“ zu verstehen sei, noch ergebe sich aus dem angefochtenen Bescheid mit hinreichender Klarheit, was mit der ggf. gebotenen Versagung der Bestätigung des Jahresabschlusses gemeint sei. Zudem fehle es an einer Begründung, weshalb die Anordnung ermessenfehlerhaft sei. Aus dem gleichen Grund sei der Bescheid auch rechtswidrig, soweit er den vbw verpflichte, im Falle der Feststellung erheblicher Mängel von der Möglichkeit, eine Pflichtprüfung nur in jedem zweiten Geschäftsjahr durchzuführen, abzusehen. Im Übrigen sie die Anordnung unverhältnismäßig.
Gegen das Urteil steht den Beteiligten die von der 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart zugelassene Berufung zu. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der vollständigen Entscheidungsgründe einzulegen.
Quelle: Verwaltungsgericht Stuttgart, Pressemitteilung vom 26. August 2022