Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Oldenburg hat mit Beschluss vom 18. November 2024 (Az. 5 B 4212/24) einem vorläufigen Rechtsschutzantrag der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe e.V. stattgegeben.
Hintergrund des Verfahrens waren mehrere Rissereignisse in der Gemeinde Jemgum im Zeitraum von Mai bis Oktober 2024, bei denen insgesamt sechs Rinder und rund 14 Schafe durch einen Wolf getötet wurden.
Mit Bescheid vom 8. November 2024 erließ der Landkreis Leer auf Grundlage von § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) eine für sofort vollziehbar erklärte Ausnahmegenehmigung für die zielgerichtete letale Entnahme eines Individuums der streng geschützten Tierart Wolf (Canis lupus) aus der Natur.
Gegen diese Ausnahmegenehmigung hat die Gesellschaft zum Schutz der Wölfe e.V. Widerspruch eingelegt. Das Gericht hat mit dem o.g. Beschluss die aufschiebende Wirkung desWiderspruchs wiederhergestellt, weil sich die angefochtene Ausnahmegenehmigung bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich als rechtswidrig erweist.
Der Landkreis Leer hat seine Genehmigung unter Bezugnahme auf das von der 101.Umweltministerkonferenz beschlossene „Schnellabschussverfahren“ auf dieTatbestandsvariante des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 Var. 1 BNatSchG (Abwendung ernster landwirtschaftlicher Schäden) gestützt. Konkret gestattet die Ausnahmegenehmigung zeitlich befristet den Abschuss eines Wolfs innerhalb eines Radius vom 1.000 m um das letzte Rissereignis innerhalb der Gemeinde Jemgum. Der Landkreis hat darauf verzichtet, die Ausnahmegenehmigung auf den schadensverursachenden Wolf zu beziehen.
Nach Auffassung des Gerichts liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG, der als Ausnahmevorschrift vom allgemeinen artenschutzrechtlichen Tötungsverbot streng geschützter Tierarten aus § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG eng auszulegen ist, nach summarischer Prüfung nicht vor.
Insoweit vertritt das Gericht die Ansicht, dass das Schnellabschussverfahren nicht denAnforderungen des BNatSchG und den entsprechenden europarechtlichen Vorgaben genügt, da es prinzipiell den Abschuss jedes im Umkreis des letzten Rissereignisses befindlichen Wolfes ermöglicht und damit auch solchen, die weder selbst schadensverursachend sind oder auch nur dem schadensverursachenden Rudel angehören.
Unabhängig davon begegnet die von § 45 Abs. 7 S. 1 BNatSchG vorausgesetzteGefahrenprognose im konkreten Fall rechtlichen Bedenken. Nach Auffassung der Kammer erfordert die auf Gefahren durch Wolfsrisse gestützte Gefahrenprognose, dass die zuvor ereigneten Rissereignisse den Schluss zulassen, dass bei dem Wolf, dessen Tötung genehmigt wird, der Angriff auf die betroffenen Nutztiere als erlerntes und gefestigtes Jagdverhalten anzusehen ist. Das verbietet es, Rissereignisse in die Schadensprognose einzubeziehen, bei denen ein Mindestschutz nicht vorhanden war. Diesen Anforderungen genügte die angestellteSchadensprognose in der Ausnahmegenehmigung nicht. Vielmehr hat der Landkreis die seiner Ausnahmegenehmigung zu Grunde liegende Schadensprognose ausschließlich auf Rissereignisse gestützt, bei denen ein Mindestmaß an wolfsabweisendem Schutz nicht vorhanden war.
Auch ist die Kammer der Auffassung, dass in der Ausnahmegenehmigung nicht ausreichendbegründet und nachgewiesen worden ist, dass es zum Abschuss des Wolfes keine zumutbaren Alternativen gemäß § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG gebe, wie z.B. die Errichtung mobiler Zäune.
Der Beschluss ist nicht rechtskräftig. Der Landkreis Leer kann Beschwerde beimNiedersächsischen Oberverwaltungsgericht einlegen.
(c) VG Oldenburg, 18.11.2024