Die Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) ist dazu verpflichtet, einem Pressevertreter Einsicht in die Ermittlungsakte zu den Umständen der Ermordung der Familie von Robert Einstein während des Zweiten Weltkriegs durch deutsche Soldaten zu gewähren. Dies geht aus einem Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 7. November 2023 hervor.
Die Morde an der Ehefrau und den beiden Töchtern von Robert Einstein, einem Cousin von Albert Einstein, am 3. August 1944 in der Nähe von Florenz waren Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz), das sich gegen einen ehemaligen Hauptmann und weitere Angehörige einer bestimmten Wehrmachtseinheit richtete. Das Verfahren wurde am 5. Januar 2014 mit der Begründung eingestellt, dass kein Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten bestehe.
Nach Vorlage eines Presseausweises der „British Association of Journalists“ durch den britischen Journalisten und Schriftsteller Thomas Harding (Kläger) erklärte die Staatsanwaltschaft, dass ein presserechtlicher Auskunftsanspruch auf Einblick in die Ermittlungsakte nicht bestehe. Die Akten enthielten eine Unmenge an personenbezogenen Daten, deren ausreichende Bereinigung mit vertretbarem Aufwand nicht möglich sei.
Der von dem Kläger daraufhin erhobenen Klage wurde mit Urteil der 5. Kammer vom 7. November 2023 stattgegeben.
Die Voraussetzungen eines Anspruchs des Klägers auf Einsicht in die Ermittlungsakte in Form der Überlassung von Kopien lägen vor. Dieser Anspruch ergebe sich aus dem Landesmediengesetz. Danach seien Behörden verpflichtet, der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dienenden Auskünfte zu erteilen. Dies gelte auch für Staatsanwaltschaften. Obwohl es sich um ein bereits vor fast zehn Jahren abgeschlossenes Verfahren handele, bestehe an der Presserecherche aufgrund der historischen Dimension der strafrechtlichen Aufarbeitung von Verbrechen aus der NS-Zeit weiterhin ein herausgehobenes öffentliches Interesse. Die Art und Weise und damit auch die Form der Auskunft liege im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde und erfolge in der Regel durch Beantwortung konkreter Fragen. Ein Anspruch auf Akteneinsicht bestehe nur in Ausnahmefällen. Aufgrund des herausragenden Gewichts des von dem Kläger in Anspruch genommenen öffentlichen Interesses sei diese im konkreten Fall aber zu gewähren. Sowohl der Kläger als auch der Beklagte seien sich darüber einig, dass aufgrund der Komplexität des Ereignisses allein die Sichtung der Akten geeignet erscheine, den Sachverhalt einschätzen und zu verstehen. Dies gelte auch für die Umstände der Verfahrenseinstellung im Jahr 2014.
Schutzwürdige private Interessen stünden der Einsichtnahme nicht entgegen. In Bezug auf persönliche Daten von verstorbenen und noch lebenden Soldaten gelte dies sowohl in Bezug auf eine Namensnennung als auch für die Gefahr der De-Anonymisierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Truppeneinheit und der Angabe eines bestimmten Dienstgrades. Dabei sei zu berücksichtigen, dass ein Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft nicht bestanden habe. Dass die Namen der Soldaten der untersuchten konkreten Truppeneinheiten aus der Akte ersichtlich bzw. ermittelbar seien, betreffe lediglich Tatsachen und sei nicht dazu geeignet, ihr Lebensbild zu verfälschen. Bei der Zugehörigkeit zu einer Truppeneinheit handele es sich um einen Umstand, der auf den weit überwiegenden Teil der im Zweiten Weltkrieg wehrdienstpflichtigen Jahrgänge zutreffe. Dem müssten sich auch eingedenk der von der Wehrmacht begangenen Kriegsverbrechen sämtliche Soldaten stellen. Entgegen dem Vorbringen des Beklagten sei auch nicht zu befürchten, dass die Verwandten der Soldaten „von der Weltpresse in Sippenhaft“ genommen würden. Die Daten von Zeugen seien ohnehin unkenntlich zu machen. Die Gefahr einer De-Anonymisierung sei dabei insbesondere bei Familienangehörigen oder sonstigen Bezugspersonen von Soldaten äußerst gering.
Der Umfang der begehrten Einsichtnahme überschreite schließlich auch nicht das zumutbare Maß. Der Aufwand zur Unkenntlichmachung der in den Ermittlungsakten enthaltenen persönlichen Daten sei aufgrund des überragenden öffentlichen Interesses an der historischen Aufarbeitung der Morde an der Familie Einstein gerechtfertigt. Dem konkreten Verfahren komme nicht zuletzt eine hohe Symbolkraft im Hinblick auf zahlreiche weitere Verbrechen der Wehrmacht in Italien zu, deren Opfer in der Öffentlichkeit namenlos geblieben seien. Auch international bestehe ein sehr hohes gesamtgesellschaftliches Interesse daran, die Vorgehensweise der Justizbehörden beim Versuch der Aufarbeitung von Wehrmachtsverbrechen am konkreten Beispiel transparent zu machen.
Gegen das Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung Antrag auf Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz gestellt werden.
Verwaltungsgericht Neustadt, Urteil vom 7. November 2023 – 5 K 75/23.NW –
(c) VG Neustadt/Weinstraße, 20.11.2023