Mit Beschluss vom 03.11.2022 hat die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entschieden, dass zwei Erzieherinnen einer Kindertagesstätte, bis zum Abschluss des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nicht weiterbeschäftigt werden dürfen (2 B 211/22).

Die Antragstellerinnen und Antragsteller – betroffene Kinder bzw. deren Eltern – verlangten von dem Antragsgegner als Aufsichtsbehörde, dass dieser der Betreiberin der Einrichtung untersagen möge, die beiden Erzieherinnen wieder in der Kinderbetreuung einzusetzen. Hintergrund ist die Strafanzeige einer ehemaligen Mitarbeiterin der Kindertagesstätte, die ihren beiden früheren Kolleginnen schwere Verfehlungen zur Last gelegt hat. So sollen Kinder der von den beiden Erzieherinnen betreuten Krippengruppe u.a. zur Nahrungsaufnahme gezwungen, fixiert und bei unangemessenem Verhalten zur Strafe allein im Waschraum oder im Flur eingesperrt worden sein.


Der Antragsgegner nahm die genannten Vorwürfe zum Anlass, den Betrieb der Einrichtung einer unangekündigten Kontrolle vor Ort zu unterziehen und gab der Betreiberin u.a. auf, unter Hinzuziehung externer fachlicher Beratung ein Konzept zum Schutz vor Gewalt und zur Sicherung des Kindeswohls in der Einrichtung vorzulegen. Mit weiterem Bescheid erfolgte sodann die Verpflichtung der Betreiberin, die von dem Ermittlungsverfahren betroffenen Mitarbeiterinnen nicht mehr unbegleitet und nur noch getrennt voneinander einzusetzen. Eine vorläufige Untersagung, die Mitarbeiterinnen weiter zu beschäftigen, wurde jedoch nicht ausgesprochen, weil die nachträglich verfügten Auflagen bereits hinreichend geeignet seien, das Kindeswohl zu gewährleisten und etwaigen Gefährdungssituationen entgegenzuwirken, zumal die Betreuungszeiten nach dem Vorbringen der Betreiberin wegen Personalmangels andernfalls nicht eingehalten werden könnten.


Dagegen machten die Antragstellerinnen und Antragsteller geltend, die erhobenen Misshandlungsvorwürfe seien durch drei Zeugenaussagen bestätigt worden. Somit bestehe der konkrete Verdacht, dass die beigeladenen Erzieherinnen gegenüber den von ihnen betreuten Kindern mehrfach und in erheblichem Maße gewalttätig geworden seien. Es gelte nicht der strafrechtliche Grundsatz „in dubio pro reo“, sondern der Grundsatz „in dubio pro infante“. Für die Annahme einer Gefährdung des Kindeswohls reiche deshalb eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung entsprechender Delikte aus. Es sei davon auszugehen, dass es im Fall der Wiedereinsetzung der Mitarbeiterinnen erneut zu Misshandlungen der Kinder kommen werde.


Dem ist die Kammer nun weitgehend gefolgt. Sofern man die erhobenen Vorwürfe als wahr unterstelle, könnten die betroffenen Kinder sich auf eine Verletzung ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), ihrer persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und ihrer Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) und ihre Eltern sich auf eine Beeinträchtigung des Erziehungsrechts (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) berufen. Dies habe der Antragsgegner bei der Entscheidung über den Erlass einer nachträglichen Auflage zur Gewährleistung des Kindeswohls im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen. Die Antragstellerinnen und Antragsteller hätten zur Glaubhaftmachung ihres tatsächlichen Vortrags detaillierte Aufzeichnungen und eine eidesstattliche Versicherung der ehemaligen Mitarbeiterin vorgelegt, auf deren Veranlassung das Strafverfahren eingeleitet worden sei. Es spreche nichts dafür, dass die Zeuginnen und Zeugen ihre Beobachtungen leichtfertig oder nur aus persönlichen Motiven mitgeteilt hätten. Hiergegen spreche auch, dass sie zuvor an die Leiterin der Tagesstätte herangetreten seien und erst weitere Schritte unternommen hätten, als dies zu keinem Ergebnis geführt habe. Die bislang erlassenen Auflagen reichten nicht aus, um eine mögliche Beeinträchtigung des Kindeswohls durch Handlungen der beigeladenen Erzieherinnen sicher auszuschließen. Dieses Ziel sei jedoch angesichts des Gewichts der berührten Rechtsgüter der Antragstellerinnen und Antragsteller alternativlos und könne nur durch den Ausschluss der Mitarbeiterinnen (zunächst) bis zum Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen erreicht werden. Schließlich werde eine lückenlose Beaufsichtigung der Erzieherinnen während ihrer Tätigkeit schon angesichts des offenkundig bestehenden Personalmangels nur schwerlich möglich sein. Hinzu komme noch, dass eine ordnungsgemäße Aufsicht der Betreiberin gegenüber der Leiterin der Kindertagesstätte in der Vergangenheit offensichtlich nicht stattgefunden habe und gravierende organisatorische Mängel bereits seit längerer Zeit bestanden hätten.


Gegen die Entscheidung kann innerhalb von zwei Wochen Beschwerde beim Nds. Oberverwaltungsgericht in Lüneburg eingelegt werden.

Quelle: Verwaltungsgericht Göttingen, Pressemitteilung vom 11. November 2022

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