Recht & Politik

Verwaltungsgericht beanstandet Einbürgerungspraxis im Landkreis Peine

Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat heute der Klage eines libanesischen Staatsangehörigen gegen die Ablehnung seiner Einbürgerung stattgegeben.

Der Kläger lebt seit zwölf Jahren rechtmäßig im Landkreis Peine. Er kam aufgrund seiner damaligen Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen im Jahr 2013 zur Familienzusammenführung nach Deutschland und erhielt eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis. Beim Landkreis beantragte er im November 2023 persönlich seine Einbürgerung. Dazu legte er vollständige Unterlagen zu seiner Identität, seinem rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland, einem Sprachtest, dem erfolgreich absolvierten Einbürgerungstest, eigener Lebensunterhaltssicherung durch Arbeit und Straffreiheit vor. Der Behördenmitarbeiter erklärte dem Kläger vor Ort, dass nun noch eine mündliche Befragung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland notwendig sei. Es sei zu prüfen, ob er das insoweit vom Gesetz verlangte Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung wirksam abgeben könne. Dazu wurden ihm insgesamt 23 Fragen gestellt, wie z.B. „Was verstehen Sie unter Demokratie?“, „Was verstehen Sie unter einem Rechtsstaat und der Unabhängigkeit der Gerichte?“, „Schauen Sie deutsches Fernsehen? Was wird in den Nachrichten berichtet?“ oder „Besuchen Sie regelmäßig eine Moschee?“. Eine Abgabe der Erklärung, sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bekennen wurde dem Kläger dann nicht mehr zur Unterschrift vorgelegt. Die zuvor erfolgten routinemäßigen Abfragen bei den Sicherheitsbehörden hatten keine Erkenntnisse über den Kläger ergeben.

Im April 2024 lehnte der Landkreis die Einbürgerung allein mit der Begründung ab, dass er auf die 23 Fragen „teilweise nicht vollständig und richtig“ geantwortet habe. Es sei daher anzunehmen, dass er Inhalt und Bedeutung der Erklärung, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik zu bekennen, nicht verstehe. Deshalb sei es ihm nicht möglich, eine solche Erklärung wirksam abzugeben.

Der beklagte Landkreis vertrat im Prozess die Auffassung, dass derartige Befragungen grundsätzlich bei allen sich um eine Einbürgerung Bewerbenden auch ohne Anhaltspunkte zu einer verfassungsfeindlichen Einstellung durchzuführen seien. Es sei festzustellen, ob sie die abzugebende Bekenntniserklärung verstanden hätten. Ein erfolgreich abgelegter Einbürgerungstest über die Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Deutschland sei dafür nicht ausreichend.

Das Gericht hat der Klage stattgegeben. Nach der geltenden Rechtslage gebe es bereits keine gesetzliche Grundlage für eine solche anlasslose Befragung zu den Inhalten der freiheitlich demokratischen Grundordnung, solange nicht Hinweise auf Äußerungen oder Handlungen eines Einbürgerungsbewerbers vorlägen, die Zweifel an seiner Verfassungstreue wecken könnten. Lägen solche tatsächlichen Anhaltspunkte im Einzelfall vor, so sei weiter zu prüfen, ob das abzugebende Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung tatsächlich der inneren Überzeugung entspreche oder ob sie ein reines „Lippenbekenntnis“ sei. Auch habe der Gesetzgeber mit dem zwischenzeitlich im Sommer 2024 in Kraft getretenen „Staatsangehörigkeitsmodernisierungsgesetz“ neue, differenzierte Ausschlussgründe für eine Einbürgerung eingeführt. Damit gehe aber keine allgemeine und damit anlasslose Überprüfung der inneren Einstellung aller Einbürgerungsbewerber einher, was sich ausdrücklich aus der Gesetzesbegründung ergebe.

Nur bei Anhaltspunkten zu Zweifeln an der Verfassungstreue oder zu Hinweisen auf weitere mögliche Ausschlussgründe sehe der Gesetzgeber und auch die vom Bundesinnenministerium erlassenen Verfahrensleitlinien weitere Ermittlungen, unter anderem durch ein persönliches Gespräch mit dem Einbürgerungsbewerber zu Fragen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vor. Solche Hinweise könnten unter anderem rassistische oder antisemitische Äußerungen in der Vergangenheit, missachtendes Verhalten bezüglich der Gleichberechtigung von Mann und Frau oder auch beispielsweise die Unterstützung eines Vereins sein, der auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährde. Solche Anhaltspunkte konnte der Beklagte für den Kläger im Prozess aber nicht darlegen.

Zudem lasse die fehlende Würdigung der einzelnen Antworten des Klägers durch den Landkreis erkennen, dass weder das gesetzlich für eine Einbürgerung ausreichende – und vom Kläger hier durch einen offiziellen Sprachtest nachgewiesene – Sprachniveau „B1“, noch das individuelle Bildungsniveau bei der Befragung und deren Auswertung berücksichtigt worden sei.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfragen zur Auslegung von Bundesrecht hat die Kammer die Berufung beim Oberverwaltungsgericht und die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

VG Braunschweig, 20.02.2025

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