Kurzbeschreibung: Die Coronavirus-Pandemie hat auch im Jahr 2021 die Tätigkeit des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) wesentlich geprägt. Mündliche Verhandlungen fanden nur unter Infektionsschutzvorgaben statt. Die bereits im zweiten Quartal 2020 vorgenommenen Maßnahmen in den Verhandlungssälen – u.a. Plexiglasabtrennungen und Beschränkungen der Zuschauerplätze – haben für die Prozessbeteiligten und die Zuhörer Gerichtstermine in geschützter Atmosphäre ermöglicht. Alle Interessierten hatten in öffentlichkeitswirksamen Verfahren aufgrund der Videoübertragung der Verhandlung in andere Säle des VGH die Gelegenheit, trotz der Beschränkung der Zuschauerplätze den Prozessen in vollem Umfang beizuwohnen.
Die Belastung des VGH mit infektionsschutzrechtlichen Verfahren hat sich im Laufe des Jahres 2021 etwas normalisiert. Im Jahr 2020 waren 348 Corona-Verfahren eingegangen. Im ersten Halbjahr 2021 nahm die Belastung durch diese sehr aufwändigen Verfahren nochmals zu. In diesem Zeitraum gingen 232 Corona-Verfahren ein. Dabei machten die 167 durchweg sehr komplexen Eilverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO, die sich gegen infektionsschutzrechtliche Beschränkungen in Verordnungen der Landesregierung wandten, den größten Anteil aus. Eine gewisse Normalisierung trat im zweiten Halbjahr 2021 ein, in dem noch 73 Corona-Verfahren eingingen. Diese Normalisierung hat sich bisher im Jahre 2022 fortgesetzt. Der für das Infektionsschutzgesetz zuständige Senat ist jedoch weiterhin durch eine Vielzahl noch anhängiger, nicht entschiedener Normenkontroll-Hauptsacheverfahren nach § 47 Abs. 1 VwGO belastet.
Im vergangenen Jahr haben die erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte in Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg und Sigmaringen und der VGH den Bestand an offenen Asylverfahren deutlich reduzieren können. Der VGH hat die Zahl der offenen Asylverfahren um 35% auf 536 (Vorjahr 831), die erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte ihren Bestand um 46% auf 10.043 (Vorjahr 18.612) sehr erheblich verringert.
Zur weiteren Entlastung des VGH wird im zweiten Halbjahr ein neuer Senat eingerichtet werden. Die Maßnahme geht zurück auf die Initiative der Landesregierung, erstinstanzliche Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.
- Geschäftsentwicklung beim VGH
Allgemeine Verwaltungsrechtssachen
Im Jahr 2021 gingen beim VGH 2.280 allgemeine Verfahren ein, was gegenüber dem Vorjahr (2.233) einen Anstieg von 2,1% darstellt. Die Zahl der Erledigungen betrug 2.212 und erhöhte sich gegenüber dem Vorjahr (2.162) um 2,3%. Der Gesamtbestand der offenen Verfahren am Jahresende stieg auf 1.010 allgemeine Verfahren an (Vorjahr 942, Anstieg um 7,2%). Die durchschnittliche Dauer aller erledigten allgemeinen Verfahren hat sich, außer bei den Beschwerden, etwas erhöht. Bei den erstinstanzlichen Hauptsachen (Klagen, Normenkontrollanträge) incl. technischer Großvorhaben stieg sie auf 14,3 Monate (Vorjahr 11,9); mehr als die Hälfte dieser Verfahren (51,4%, Vorjahr 61,7%) war innerhalb eines Jahres erledigt. Die durchschnittliche Verfahrensdauer der erledigten Anträge auf Zulassung der Berufung stieg von 6,1 Monaten im Vorjahr auf nun 6,7 Monate leicht an, bei den durch Urteil erledigten Berufungen ebenso auf 17,8 Monate (Vorjahr 15,4). Von diesen Verfahren waren 34,4% (Vorjahr 33,4%) innerhalb eines Jahres erledigt. Bei den Beschwerden sank die durchschnittliche Dauer leicht auf 2,8 Monate (Vorjahr 3,1).
Die Erfolgsquoten (Stattgabe oder Teilstattgabe) in allgemeinen Verfahren stellen sich wie folgt dar: Berufungen hatten zu 24,7% (Vorjahr 15,6%) Erfolg, erstinstanzliche Hauptsachen (Klagen, Normenkontrollanträge) incl. technischer Großvorhaben zu 16,2% (Vorjahr 20,9%), Beschwerden zu 8,1% (Vorjahr 9,3%) und Anträge auf Zulassung der Berufung zu 11,7% (Vorjahr 14,6%). Von den neu eingegangenen Berufungen waren 10,8% bereits von den Verwaltungsgerichten zugelassen worden (Vorjahr 30,4%).
Asylverfahren
Die in den letzten Jahren zu verzeichnende starke Zunahme der Asylverfahren am VGH hat sich nicht fortgesetzt. Nachdem die Eingänge von 2016 (195 Verfahren) bis 2020 (2.048 Verfahren) Jahr für Jahr angestiegen waren, sind im vergangenen Jahr 1.618 neue Asylverfahren eingegangen (-20,9%). Da 1.913 Verfahren (Vorjahr 1.624) erledigt wurden, sank die Zahl unerledigter Verfahren am Jahresende deutlich auf 536 (Vorjahr 831, -35%).
Die durchschnittliche Dauer der durch Urteil erledigten Berufungsverfahren in Asylsachen stieg mit 17,6 Monaten gegenüber 2020 (15,9 Monate) an. Ein knappes Drittel der Berufungen (30,9%) wurde binnen eines Jahres erledigt (Vorjahr 28,6%). Auch bei den Anträgen auf Zulassung der Berufung in Asylsachen stieg die Verfahrensdauer leicht auf 4,2 Monate an (Vorjahr 3,9 Monate).
Die Erfolgsquoten (Stattgabe oder Teilstattgabe) in Asylverfahren betrugen bei den Anträgen auf Zulassung der Berufung 3,9% (Vorjahr 3,1%) und bei den Berufungen 31,6% (Vorjahr 20,6%).
Durchschnittliche Richterzahl
Die Durchschnittszahl der im Geschäftsjahr 2021 beim VGH in 16 Senaten beschäftigten Richterinnen und Richter lag – in Arbeitskraftanteilen – mit 38,35 deutlich über dem Niveau des Vorjahres (31,32).
- Geschäftsentwicklung bei den Verwaltungsgerichten
Allgemeine Verwaltungsrechtssachen
Bei den vier Verwaltungsgerichten im Land nahm der Eingang allgemeiner Verfahren mit insgesamt 9.372 um 5,1% ab (Vorjahr 9.847). Die Zahl der Erledigungen ging mit 10.020 um 2,4% gegenüber dem Vorjahr (10.262) geringfügig zurück. Der Gesamtbestand der offenen Verfahren am Jahresende sank gegenüber dem Vorjahr deutlich um 9% auf 7.175 (Vorjahr 7.823).
An den Verwaltungsgerichten hat sich die Verfahrensdauer in allgemeinen Verfahren leicht verbessert. Die durchschnittliche Dauer der erledigten allgemeinen Verfahren ist bei den Hauptsachen leicht auf 12 Monate (Vorjahr 12,2) gesunken, in Eilverfahren ebenfalls auf 2,6 Monate (Vorjahr 2,8 Monate). 57,2% der Hauptsachen wurden binnen 12 Monaten erledigt.
Asylverfahren
Die Eingänge in Asylverfahren bei den Verwaltungsgerichten sind mit 17.849 gegenüber dem Vorjahr (2020: 24.917) deutlich zurückgegangen (-39,6%). Die Zahl der Erledigungen in Asylverfahren nahm leicht auf 24.917 zu (Vorjahr 24.039). Der Gesamtbestand an offenen Asylverfahren am Jahresende konnte mit 10.043 deutlich reduziert werden (Vorjahr 18.612; -46%). Die durchschnittliche Dauer der Asylverfahren in Hauptsacheverfahren blieb mit 23,8 Monaten in etwa gleich (Vorjahr 24,6 Monate), die Verfahrensdauer in Eilverfahren nahm mit 2,8 Monaten deutlich ab (Vorjahr 4,0 Monate).
Zahl der Richterinnen und Richter
Die Durchschnittszahl der im Geschäftsjahr 2021 bei den vier Verwaltungsgerichten des Landes beschäftigten Richterinnen und Richter nahm auf 221,45 (in Arbeitskraftanteilen) ab (Vorjahr 242,53).
- Verfahren von öffentlichem Interesse, in denen voraussichtlich im Jahr 2022 eine Entscheidung des VGH ansteht
- Senat
Infektionsschutzrechtliche Betriebsuntersagungen im ersten Lockdown
Mitte März 2020 wurden durch die Corona-Verordnung der Landesregierung zahlreiche Geschäfte und Einrichtungen geschlossen. Dagegen gerichtete Eilanträge wies der VGH im April 2020 zurück. Es sei offen, ob das Infektionsschutzgesetz im Hinblick auf den Parlamentsvorbehalt – der den Gesetzgeber verpflichte, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen nicht dem Handeln der Exekutive zu überlassen – eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die landesweite Schließung bestimmter Arten von Betrieben sei. Von dieser offenen, im Hauptsacheverfahren zu klärenden Frage abgesehen, sei die durch die Corona-Verordnung angeordnete Schließung von Betrieben und Verkaufsstellen wegen der hohen Bedeutung des Schutzes vor dem Coronavirus voraussichtlich zumutbar (siehe Pressemitteilungen vom 9. April 2020, 24. April 2020 und 29. April 2020).
In drei Hauptsacheverfahren klagen ein Fitnessstudio (1 S 926/20), ein Restaurant (1 S 1067/20) und ein Einzelhandelsgeschäft (1 S 1079/20) auf Feststellung, dass die Schließung ihrer Betriebe im ersten Lockdown rechtswidrig war.
In dem Verfahren ist ein gemeinsamer Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Donnerstag, den 2. Juni 2022, 10.00 Uhr.
Restitution der Zeppelin-Stiftung?
Die Kläger, Nachfahren des Ferdinand Graf von Zeppelin, begehren die Restitution der 1908/1909 errichteten Zeppelin-Stiftung, deren Zweck es u.a. war, die Luftschifffahrt zu fördern und sich an Luftfahrzeugunternehmungen zu beteiligen. Das Direktorium des Staatssekretariats über das französisch besetzte Gebiet Württemberg und Hohenzollern hatte die Stiftung mit Rechtsanordnung vom 28. Januar 1947 aufgehoben und das Vermögen der beigeladenen Stadt Friedrichshafen zugesprochen. Einen Antrag der Kläger, u.a. die Zeppelin-Stiftung in das Stiftungsverzeichnis aufzunehmen und im Einzelnen bezeichnete Personen als geborene Mitglieder ihres Aufsichtsrates zu bestätigen, lehnte das Regierungspräsidium Tübingen als zuständige Stiftungsbehörde ab. Die von den Klägern erhobenen Klagen wies das Verwaltungsgericht Sigmaringen mit Urteil vom 22. Januar 2020 – 6 K 300/17 – mit der Begründung als unzulässig ab, dass es den Klägern bereits an der erforderlichen Klagebefugnis fehle. Weder existierten Vorschriften, die den Klägern subjektive Ansprüche auf Maßnahmen der Stiftungsaufsicht vermitteln könnten, noch seien diese befugt, Rechte der Zeppelin-Stiftung im Wege einer Prozessstandschaft wahrzunehmen. Hiergegen richten sich die vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufungen der Kläger.
In dem Verfahren (1 S 1865/20) ist Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Dienstag, den 21. Juni 2022, 9.00 Uhr.
Bürgermeisterwahl in Weinsberg
Der Kläger führt als unterlegener Bewerber (Stimmenanteil: 33,39 Prozent) ein Wahlprüfungsverfahren gegen die am 2. Februar 2020 durchgeführte Wahl des Beigeladenen zu 2 (Stimmenanteil: 56,24 Prozent) zum Bürgermeister der Stadt Weinsberg. Er rügte mit seinem Einspruch u.a. die versagte Beilage eines Wahlwerbeflyers in einer Ausgabe des Nachrichtenblattes der Stadt Weinsberg und eine Benachteiligung bei der Aufstellung von Wahlplakaten. Das Landratsamt Heilbronn wies den Einspruch zurück. Mit Urteil vom 12. August 2021 – 7 K 1720/20 – hat das Verwaltungsgericht Stuttgart den Beklagten verpflichtet, die Bürgermeisterwahl in Weinsberg vom 2. Februar 2020 für ungültig zu erklären. Es sieht in der versagten Beilage des Flyers durch den Nussbaum-Verlag und der unterbliebenen Mitteilung der Beigeladenen zu 1 an den Kläger, dass die Zahl der Wahlplakate nicht limitiert gewesen sei, jeweils einen Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit. Diese beiden Wahlfehler könnten für das Wahlergebnis auch ursächlich gewesen sein, da der Beigeladene zu 1 im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit nur mit einem Vorsprung von 230 Stimmen erreicht habe. Hiergegen wenden sich der Beklagte und die Beigeladenen mit ihren von dem Senat mit Beschluss vom 8. Februar 2022 zugelassenen Berufungen.
Ein Termin zur mündlichen Verhandlung steht noch nicht fest (1 S 359/22).
Besetzung von Gemeinderatsausschüssen und Aufsichtsräten in Heilbronn
Die Klägerin, die AfD-Fraktion im Gemeinderat Heilbronn, begehrt die Umbildung der beratenden und beschließenden Ausschüsse des Gemeinderats und die Neubesetzung der von diesem zu bestellenden Aufsichtsräte. Im Februar 2020 trat ein bis dahin partei- und fraktionsloser Stadtrat der Klägerin bei. Einen Antrag der Klägerin, die Gremien des Gemeinderates entsprechend der geänderten Stärkeverhältnisse neu zu besetzen, lehnte der Beklagte mehrheitlich ab. Die Klägerin hat daraufhin Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat den Beklagten mit Urteil vom 23. November 2021 – 7 K 4080/20 – verurteilt, das Verfahren zur Neubesetzung der beschließenden und beratenden Ausschüsse und der kommunalen Aufsichtsräte einzuleiten. Zur Begründung hat es angeführt, dass die Klägerin aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und § 40 GemO einen Anspruch darauf habe, dass die Besetzung der Ausschüsse die Stärkeverhältnisse im Gemeinderat widerspiegele. Das rechtsstaatliche Willkürverbot verlange zudem, entsprechend der bisherigen Praxis des Beklagten auch die Aufsichtsräte in dieser Weise neu zu besetzen. Der Beklagte hat einen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil gestellt; er wendet sich u.a. dagegen, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht einen wirksamen Fraktionsbeitritt und nicht eine bloße Zählgemeinschaft angenommen habe. Er hat mitgeteilt, dass die Ausschüsse und Aufsichtsräte im Februar 2022 unter Berücksichtigung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts neu besetzt worden seien, er sich jedoch – abhängig von dem Ausgang des zweitinstanzlichen Verfahrens – vorbehalte, dies wieder rückgängig zu machen.
Über den Zulassungsantrag ist noch nicht entschieden (1 S 210/22).
Hinweis: Über Anträge auf Zulassung der Berufung wird ohne mündliche Verhandlung entschieden. Wird die Berufung vom VGH zugelassen, wird das Verfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt. Im Berufungsverfahren wird in der Regel mündlich verhandelt.
2.Senat
Höhe der Jagdsteuer für im Ausland ansässige Personen
Der Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger, der in Zürich wohnt, wendet sich gegen den Jagdsteuerbescheid des Landkreises Waldshut für das Jagdjahr 2019/2020. Er hat eine Jagd mit 124 ha zu einem jährlichen Pachtpreis von knapp 2.900,– EUR gepachtet. Der Landkreis Waldshut ist in Baden-Württemberg inzwischen der letzte Landkreis, der die Jagdsteuer noch erhebt.
Das Verwaltungsgericht Freiburg hat der Klage des Klägers gegen die Jagdsteuer mit Urteil vom 19. Oktober 2021 – 13 K 2724/19 – stattgegeben. Die Satzungsregelung des Landkreises, wonach der Steuersatz nur für im Ausland ansässige Personen den Höchstsatz von 60 Prozent des Jahreswerts der Jagd, für Inländer hingegen nur einen minimalen Steuersatz von 4,5 Prozent des Jahreswerts vorsähe, verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG. Die 13,33-fache höhere Besteuerung von im Ausland ansässigen Personen gegenüber Inländern sei sachlich nicht gerechtfertigt. Grundsätzlich sei die Jagdsteuer nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu bemessen. Soweit der Landkreis mit der Steuererhebung den Lenkungszweck verfolge, in der Schweiz ansässige Personen den Zugang zu Jagdpachten und damit auch zur Jagdausübung im Landkreis Waldshut zu erschweren, liege hierin keine sachliche Rechtfertigung. So sei insbesondere nicht zu erkennen, dass eine Regelung zum Schutz von Inländern – etwa wegen einer besonderen Knappheit oder Nachteilssituation bei der Erlangung von Pachtverträgen – erforderlich sei. Auch das legitime Ziel, die im Ausland ansässigen Jäger, die zum allgemeinen Steueraufkommen im Inland nichts beitrügen, an der Finanzierung der Infrastruktur im Wald stärker als inländische Jäger zu beteiligen, rechtfertige den erhöhten Steuersatz ebenfalls nicht.
Der beklagte Landkreis hat die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegt und sich im Kern darauf berufen, es stelle einen zulässigen Lenkungszweck dar, in der Schweiz ansässigen Personen den Zugang zu Jagdpachten und damit auch zur Jagdausübung zu erschweren. Der Landesgesetzgeber lasse im Kommunalabgabengesetz ausdrücklich eine solche Differenzierung zwischen im Inland und im Ausland ansässigen Jägern zu. Insbesondere in der Schweiz ansässige Jäger seien aufgrund der dortigen wirtschaftlichen Verhältnisse und Einkommenssituation wesentlich leistungsfähiger als in Deutschland lebende Jäger. Das gegebene Einkommensgefälle zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz könne dazu führen, dass bei der Verpachtung an Schweizer Jäger Pachtpreise für Jagden erzielt würden, die den im Inland ansässigen Jägern den Zugang zur Jagd erschwerten. Zudem sei die starke Differenzierung des Steuersatzes auch deshalb gerechtfertigt, weil die öffentliche Hand aus allgemeinen Steuermitteln im Wesentlichen die Infrastruktur im Wald finanziere, die die Jagdausübung überhaupt erst ermögliche.
Eine Terminierung der Sache ist im Sommer beabsichtigt (2 S 3686/21).
Kurtaxe der Gemeinde Kressbronn
Gegenstand von zwei Normenkontrollverfahren ist die Gültigkeit der Satzungen der Gemeinde Kressbronn am Bodensee über die Erhebung einer Kurtaxe einmal für die Jahre 2020 und 2021 und zum anderen für den Zeitraum ab 1. Januar 2022.
Auf Grundlage dieser Satzungen soll erstmals von ortsfremden Personen, die mit einem Betreiber einer Hafenanlage einen Vertrag über die Anmietung und Nutzung eines Liegeplatzes abgeschlossen haben, eine pauschale Jahreskurtaxe erhoben werden. Für die Jahre 2020 und 2021 beträgt die Jahreskurtaxe je Person 20,– EUR, ab dem 1. Januar 2022 beträgt die pauschale Jahreskurtaxe 198,— EUR. Die Erhöhung beruht auf der Einführung der Echt Bodensee Card (EBC), mit der für die kurtaxepflichtigen Personen viele Vorteile wie ein kostenloser ÖPNV innerhalb des Bodenseegebiets verbunden ist.
Die Antragsteller, unter anderem die Betreiberin einer Hafenanlage, ein Motor-Jacht-Club und ein Angelsportverein, machen insbesondere geltend, die Gemeinde Kressbronn sei nicht normsetzungsbefugt, soweit sie von Mietern und Nutzern von Liegeplätzen die Abgabe fordere. Es fehle insoweit an der Abgabenhoheit der Gemeinde, da die Hafenanlage zum Bodensee gehöre und sich daher außerhalb des Gemeindegebiets befinde. Darüber hinaus könne der Abschluss eines Mietvertrags über einen Bootsliegeplatz kein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Erhebung der Kurtaxe sein, zumal die Stadt Kressbronn im Hafenareal oder dessen näherer Umgebung keinerlei Kureinrichtungen unterhalte.
Hintergrund dieser beiden Verfahren ist das Normenkontrollurteil des VGH vom 13. Juni 2021, mit dem der 2. Senat die Vorgängerkurtaxesatzung der Gemeinde Kressbronn, soweit sie sich auf Bootsliegeplätze in einer Hafenanlage erstreckt hatte, für unwirksam erklärt hat. In dieser rechtskräftigen Entscheidung hat der VGH ausgeführt, dass sich Bootsliegeplätze in einer Hafenanlage am Bodensee außerhalb des Gemeindegebiets der jeweiligen Bodenseegemeinde befinden, weshalb für die die Kurtaxepflicht begründende Tatbestandsvoraussetzung des „Aufenthalts in der Gemeinde“ nicht auf die Übernachtungen auf den Booten abgestellt werden könne, aber auch dargelegt, dass Inhaber eines Bootsliegeplatzes in einer Hafenanlage als qualifizierte Tagestouristen zur Kurtaxe veranlagt werden könnten.
Eine Terminierung der Verfahren, in denen die Beteiligten noch nicht abschließend Stellung genommen haben, soll gegen Ende des Jahres, spätestens in der ersten Hälfte des Jahres 2023 erfolgen (2 S 387/22 und 2 S 407/22).
Gebühr für einen Bewohnerparkausweis
Gegenstand dieses Normenkontrollverfahrens und des dazu gehörigen Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO ist die Satzung der Stadt Freiburg über die Erhebung von Bewohnerparkgebühren vom 14. Dezember 2021. Danach erhebt die Stadt vom 1. April 2022 an für die Ausstellung eines ein Jahr gültigen Bewohnerparkausweises grundsätzlich eine Gebühr von 360,– EUR (statt bislang 30,– EUR). Misst das Fahrzeug in der Länge weniger als 4,21 m, so beträgt die Gebühr abweichend hiervon 240,– EUR. Misst das Fahrzeug mehr als 4,70 m, beträgt die Gebühr 480,– EUR. Für Personen, die Wohngeld, Leistungen nach dem SGB II, dem SGB XII, dem Asylbewerberleistungsgesetz oder der Kriegsopferfürsorge erhalten, ermäßigt sich die Gebühr auf 25 Prozent des jeweiligen Betrags. Das Gleiche gilt für Personen mit Behinderung, wenn sie bestimmte – im einzelnen aufgeführte – Voraussetzungen erfüllen.
Der Antragsteller ist Stadtrat in Freiburg und Halter eines Kraftfahrzeugs, das er in Ermangelung eines privaten Kraftfahrzeugstellplatzes regelmäßig auf parkraumbewirtschafteten öffentlichen Verkehrsflächen in seiner Nachbarschaft in Freiburg parkt. Er macht u.a. geltend, die Satzung sei bereits deshalb unwirksam, weil die Vorberatung in nichtöffentlicher Sitzung des zuständigen Ausschusses stattgefunden habe und das Ergebnis dieser nichtöffentlichen Beratung auch im Rahmen der öffentlichen Gemeinderatssitzung, in der die Satzung beschlossen worden sei, nicht hinreichend wiedergegeben worden sei. Die beschlossene Gebührenerhöhung um das Acht- bis Sechzehnfache, die gewählte Staffelung der Beträge nach Fahrzeuggröße sowie die Ermäßigungstatbestände legten es zudem nahe, dass mit der Gebührenbemessung in allererster Linie umwelt- und sozialpolitische Ziele verfolgt würden. Damit überschreite die Stadt Freiburg das ihr durch das Straßenverkehrsgesetz eingeräumte Ermessen, wonach in der Gebührenordnung auch die Bedeutung der Parkmöglichkeiten, deren wirtschaftlicher Wert oder ihr sonstiger Nutzen für die Bewohner angemessen berücksichtigt werden könnten. So sei insbesondere eine Gebührenbemessung unter sozialen Gesichtspunkten, wie in den Ermäßigungstatbeständen vorgesehen, im Straßenverkehrsrecht nicht gestattet. Hier gelte der Grundsatz der Präferenz- und Privilegienfeindlichkeit.
Zu den am 1. April 2022 eingegangen Anträgen liegt eine Erwiderung der Stadt Freiburg noch nicht vor. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO wird voraussichtlich im 2. Quartal 2022 entschieden werden (2 S 808/22 und 2 S 809/22).
- Senat
Hochwasserückhaltebecken Bellenkopf/Rappenwörth
Die Stadt Rheinstetten und eine Bürgerinitiative wenden sich gegen den wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschluss des Landratsamts Karlsruhe vom 23. Oktober 2020 über den Retentionsraum Bellenkopf/Rappenwörth. Der geplante Retentionsraum ist Teil des sog. Integrierten Rheinprogramms. Er erstreckt sich entlang des Rheins von Rheinstetten-Neuburgweier im Süden bis zum Rheinhafendampfkraftwerk Karlsruhe im Norden. Das Gelände weist heute wasser- sowie land- und forstwirtschaftliche Flächen auf und wird unterschiedlich genutzt. Auf einer Fläche von 510 ha soll ein Rückhaltevolumen von ca. 14 Mio. m³ geschaffen werden. Der Planfeststellungsbeschluss sieht umfangreiche Dammbauten sowie -erneuerungen sowie gesteuerte ökologische Flutungen des Retentionsraums vor. Die Kläger wenden sich gegen das Gesamtkonzept u.a. mit dem Argument, anstelle der geplanten Dammbauten und -erneuerungen wäre eine Spundwandlösung mit weniger ökologischen Eingriffen verbunden gewesen.
Das sehr komplexe Klageverfahren soll bis Ende 2022 terminiert werden (3 S 821/21 und 3 S 846/21).
Bebauungsplan „Heinkelstraße Nord“ Nr. 070/10 der Stadt Ludwigsburg
Der Bebauungsplan betrifft das „Breuningerland“ in Ludwigsburg. Er überplant den Bereich des bereits bestehenden Einkaufszentrums. In ihm werden Obergrenzen für die Verkaufs-, Dienstleistungs- und Gastronomieflächen sowie die Zahl der Stellplätze festgesetzt. Gegen den Plan wenden sich mit einer Normenkontrolle die benachbarte Gemeinde Tamm und die Stadt Bietigheim-Bissingen. Die Antragstellerinnen machen geltend, dass die festgesetzten Obergrenzen eine erneute Erweiterung des Breuningerlands ermöglichen, und befürchten negative Auswirkungen auf ihre Innenstädte, insbesondere weil der Bebauungsplan keine Beschränkung der zentrenrelevanten Sortimente enthält. Die Gemeinde Tamm befürchtet außerdem negative verkehrliche Auswirkungen infolge der Erhöhung der Stellplatzzahl. Die Antragsgegnerin hält dem entgegen, dass die Festsetzungen lediglich dem bereits genehmigten Bestand entsprächen und keine darüber hinausgehenden Erweiterungen zuließen.
Die mündliche Verhandlung hat am Montag, den 25. April 2022, 10.30 Uhr stattgefunden (3 S 3115/19). Ein Urteil wird in Kürze vorliegen.
- Senat
Hohenloher Ebene: Sondergebiet für Windenergienutzung
Am 22. Januar 2018 beschloss der Gemeindeverwaltungsverband Hohenloher Ebene die 6. Fortschreibung seines Flächennutzungsplans (Teilflächennutzungsplan Thema Wind). Der Plan enthält die Darstellung einer Sonderbaufläche „Sondergebiet für Windenergienutzung“.
Die Antragstellerinnen wenden sich mit einem Normenkontrollantrag gegen diese Planung, soweit diese bewirkt, dass nunmehr regelmäßig davon auszugehen ist, dass der Errichtung und dem Betrieb von Anlagen zur Windenergienutzung außerhalb der dargestellten Sonderbaufläche öffentliche Belange entgegenstehen. Hintergrund für die Rechtschutzbegehren der Antragstellerinnen ist, dass drei von ihnen die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen im Geltungsbereich des angegriffenen Plans, aber (auch) außerhalb der geplanten Sonderbaufläche „Sondergebiet für Windenergienutzung“ geplant haben. Die vierte Antragstellerin ist Eigentümerin von Flächen, die außerhalb der Sonderbaufläche liegen, vertraglich aber schon einer der anderen Antragstellerinnen zur Realisierung von Windenergieanlagen überlassen wurden.
Nachdem die Antragstellerinnen ihren Normenkontrollantrag beim Verwaltungsgerichtshof gestellt haben, beschloss der Gemeindeverwaltungsverband Hohenloher Ebene, zunächst ein ergänzendes Verfahren zu der angegriffenen Planung durchzuführen, um zu vermeiden, dass diese gerichtlich für unwirksam erklärt wird. Am 20. Dezember 2021 beschloss er sodann eine neue Fassung der angegriffenen Planung. Zusätzlich beschloss er die Einholung einer Genehmigung und die Bekanntmachung der neuen Fassung. Beides steht derzeit noch aus.
Ein Termin zur mündlichen Verhandlung steht noch nicht fest (5 S 1297/19).
Enzweihingen: Neubau der B 10 – nördliche Umfahrung
In vier Klageverfahren (5 S 2371/21, 5 S 2578/21, 5 S 2516/21 und 5 S 2547/21) und zwei Eilverfahren (5 S 2372/21 und 5 S 2515/21) ist der Planfeststellungsbeschluss für den Neubau einer nördlichen Umfahrung des Stadtteils Enzweihingen der Stadt Vaihingen/Enz im Zuge der B10 vom 20. Mai 2021 streitig. Die zweibahnige Neubaustrecke soll mit einem Fahrstreifen je Fahrtrichtung mit einer 170 Meter langen Brücke über die Enz und einer weiteren 180 Meter langen Brücke über den Strudelbach geführt werden und der verkehrlichen Entlastung des Ortskerns von Enzweihingen dienen. Vorhabenträgerin ist die Bundestraßenbauverwaltung, die durch das Regierungspräsidium Stuttgart vertreten wird.
Angefochten wird der Planfeststellungsbeschluss unter anderem von einer anerkannten Umweltvereinigung. Diese macht insbesondere geltend, dass das Vorhaben gegen artenschutzrechtliche Zugriffsverbote und das Verbot des Eingriffs in ein geschütztes Natura 2000-Gebiet verstoße. Insbesondere stünde nach Ansicht der Umweltvereinigung mit einem Tunnelbauwerk unter der bisherigen B10 im Ortszentrum von Enzweihingen eine naturschutzfachlich vorzugswürdige und dem Vorhabenträger zumutbare Alternative zur Verfügung. Daneben wenden sich auch die Eigentümer von gewerblich genutzten Grundstücken, die für das Vorhaben in Anspruch genommen werden sollen, sowie ein Gewerbebetrieb gegen den Planfeststellungsbeschluss. Sie wenden insbesondere ein, dass die betrieblichen Interessen bei der vorzunehmenden Abwägung nicht hinreichend berücksichtigt worden seien und dass durch das Vorhaben die Existenz der Gewerbebetriebe gefährdet werde.
In den Klage- und Eilverfahren liegen die Begründungen und Erwiderungen vor. Es ist beabsichtigt, jedenfalls über die beiden Eilverfahren bis zum Sommer 2022 zu entscheiden.
- Senat
Ostalbkreis: Verstärkung des Hochspannungsnetzes
Die Kläger wenden sich gegen den auf Antrag der Netze BW GmbH erlassenen Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 22. Januar 2020 für die Netzverstärkung Ostalbkreis auf den 110-kV-Leitungen Goldshöfe-Ellwangen (LA 0412), Ellwangen-Nördlingen (LA 0401), Hohenberg-Goldshöfe (LA 0321) und Ellwangen-Hohenberg (LA 0408). Der Planfeststellungsbeschluss dient der Verstärkung des Hochspannungsnetzes im Ostalbkreis zur Gewährleistung der Netzstabilität.
Die acht Kläger sind Eigentümer von mit Wohngebäuden bebauten Grundstücken im Bereich der bereits bestehenden 110-kV-Leitung in Ellwangen-Neunheim, auf deren Masten ein zweiter 110-kV-Stromkreis zubeseilt werden soll durch Auflegung dreier Leiterseile auf die freien Traversenplätze der Bestandsleitung. Sie machen im Wesentlichen geltend, aufgrund der erheblichen Belastung durch die bereits bestehende Leitung und die zu erwartende höhere Belastung durch die zweite Leitung sei eine Erdverkabelung in ihrem Bereich die zu bevorzugende Art der Trassenführung. Die diesbezügliche, im Planfeststellungsbeschluss enthaltene Abwägung zu ihren Lasten sei im Ergebnis nicht haltbar. Der Planfeststellungsbeschluss stehe überdies nicht im Einklang mit immissionsschutzrechtlichen Vorschriften. Ihr Interesse an jeglicher Verschonung vor elektromagnetischen Feldern sei nicht hinreichend berücksichtigt worden.
Das Regierungspräsidium Stuttgart tritt den Klagen für das beklagte Land entgegen. Die Abwägung der zu berücksichtigenden Belange sei fehlerfrei erfolgt. Die für die klägerischen Grundstücke prognostizierten Werte der niederfrequenten elektrischen und magnetischen Felder lägen weit unter den gesetzlich definierten Grenzwerten. Die Netze BW GmbH wurde zum Verfahren beigeladen. Auch sie hält die Klagen für nicht begründet.
Der VGH entscheidet über die Klagen gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 4 VwGO in erster Instanz. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung steht noch nicht fest, wird jedoch für dieses Jahr angestrebt (6 S 833/20).
Kaiserstuhl: Zulässigkeit des Abbaus von Phonolit
Die Beteiligten streiten über die bergrechtliche Zulassung eines Rahmenbetriebsplans für den Abbau von Phonolit. Die Klägerin betreibt seit 1964 auf der Gemarkung der Gemeinde Bötzingen im Gewann „Fohberg“ (im Kaiserstuhl) einen Steinbruch mit Mineralstoffwerk, in dem Phonolit abgebaut wird – ein vulkanisches Gestein, das vielfältige Verwendung findet. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre plant sie, den Phonolitabbau auch im ca. 1 km entfernten Gewann „Endhahlen“ zu erschließen. Zu Beginn der 2000er Jahre ließ das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau einen Probebetrieb zu. Hiergegen gerichtete Klagen u.a. der Gemeinde Bötzingen blieben erfolglos.
Die Klägerin beantragte 2015 die Durchführung eines bergrechtlichen Planfeststellungsverfahrens für die Zulassung eines Rahmenbetriebsplans für den Abbau von Phonolit im Gewann „Endhahlen“. Dieser bezieht sich auf eine im Vogelschutzgebiet „Kaiserstuhl“ liegende Gesamtfläche von ca. 8,96 ha und eine Rohstoffabbaufläche von ca. 3,56 ha und ist auf eine Gesamtlaufzeit von 28 Jahren ausgelegt. Das Landesamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14. Juni 2019 ab. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt stehe fest, dass der Klägerin zentral im Abbaugebiet gelegene Grundstücke nicht zur Verfügung stünden. Die bereits zu diesem Zeitpunkt erforderliche Grundabtretungsprognose nach dem Bundesberggesetz falle zu Lasten der Klägerin aus. Das Abbauvorhaben weise keinen so bedeutsamen Gemeinwohlbezug auf, dass es die Enteignung von rund 15 Grundstückseigentümern rechtfertige.
Der hiergegen erhobenen Klage der Klägerin gab das Verwaltungsgericht Freiburg mit Urteil vom 5. November 2020 statt (10 K 2788/19). Es verpflichtete das beklagte Land, über den Antrag der Klägerin auf Zulassung des Rahmenbetriebsplans zum Vorhaben „Endhahlen“ unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, im Verfahren zur Zulassung eines Rahmenbetriebsplans sei zwar eine Prognose darüber anzustellen, ob später erforderlich werdende Grundabtretungen bzw. Enteignungen gerechtfertigt sein würden. Grundsätzlich sei eine solche Prognose aber erst anzustellen, nachdem dieses Verfahren abgeschlossen sei, da die Behörde erst zu diesem Zeitpunkt in die Lage versetzt sei, die im Rahmen der Grundabtretungsprognose erforderliche Gesamtabwägung aller für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange durchzuführen. Daran fehle es hier. Das Landesamt habe die Prognose auch nicht ausnahmsweise vorziehen dürfen. Denn es liege nicht auf der Hand, dass das Interesse am Abbau von Phonolith offensichtlich hinter den Interessen von Grundstückseigentümern zurücktrete.
Das beklagte Land hat gegen das Urteil die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung eingelegt und begründet.
Ein Termin zur mündlichen Verhandlung ist für Freitag, den 15. Juli 2022, 10.00 Uhr anberaumt (6 S 4216/20).
Rechtmäßigkeit einer Putenhaltung im Landkreis Schwäbisch Hall
Der Kläger ist ein nach dem Gesetz über Mitwirkungsrechte und das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzorganisationen (TierSchMVG) anerkannter Tierschutzverein. Er begehrt die Verpflichtung des beklagten Landes, dem beigeladenen Geflügelhof auf der Grundlage des Tierschutzgesetzes seine Putenhaltung zu untersagen.
Das Verwaltungsgericht hat in der ersten Instanz die Klage als unzulässig abgewiesen. Der Senat hat nach Zulassung der Berufung mit – rechtskräftig gewordenem – Zwischenurteil vom 3. November 2021 die Zulässigkeit der Klage bejaht (vgl. dazu Pressemitteilung vom 23. November 2021). Am 21. Dezember 2021 hat der 6. Senat beschlossen, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis zu den aktuellen Haltungsbedingungen in der Putenhaltung der Beigeladenen zu erheben. Nachdem der zunächst bestimmte Sachverständige nach Erhalt der Akten mitgeteilt hatte, er sehe sich nicht in der Lage, das Gutachten zu erstatten, hat der Senat mit Beschluss vom 20. Januar 2022 die Landesbeauftragte für Tierschutz Baden-Württemberg und ihre Vertreterin zu Sachverständigen bestimmt. Diese Sachverständigen sind von der Beigeladenen und dem Beklagten wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden. Über die Befangenheitsgesuche wird der Senat voraussichtlich Ende April/Anfang Mai entscheiden. Sodann wird die Erstattung des Gutachtens durch die derzeit bestimmten oder ggf. neu zu bestimmende Sachverständige voraussichtlich mehrere Monate in Anspruch nehmen.
Ein erneuter Termin zur mündlichen Verhandlung über das Ergebnis der Beweisaufnahme und die Begründetheit der Klage wird deshalb voraussichtlich erst Ende dieses oder Anfang kommenden Jahres bestimmt werden können (6 S 3018/19).
- Senat
Ulm: Staatlich anerkannte Ersatzschule ohne Religionsunterricht?
Die Klägerin ist Trägerin von Privatschulen. Mit Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 31. Juli 2012 erhielt sie die Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines Gymnasiums als Ersatzschule. Auf den Antrag der Klägerin verlieh das Regierungspräsidium dieser Schule mit Bescheid vom 16. April 2019 auch die Eigenschaft einer staatlich anerkannten Ersatzschule für die gymnasiale Oberstufe. Die Anerkennung wurde allerdings mit der Auflage versehen, das Fach Religionslehre (katholische und/oder evangelische Religion) entsprechend der für öffentliche Gymnasien geltenden Grundsätze auch in der gymnasialen Oberstufe zu unterrichten bzw. als Unterrichtsfach anzubieten.
Mit ihrer Klage will die Klägerin erreichen, dass die Auflage im Anerkennungsbescheid aufgehoben wird. Mit Urteil vom 23. Februar 2021 – 4 K 4011/19 – hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Klage abgewiesen. § 96 Abs. 1 des Schulgesetzes statuiere – wie Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG und Art. 18 Satz 1 der Landesverfassung – den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an allen öffentlichen Schulen. Biete die Ersatzschule mithin Religionsunterricht nicht an, erfülle sie nicht dauernd die gesetzlichen Anforderungen an öffentliche Schulen. Im Unterschied zu einer lediglich genehmigten Privatschule übe eine anerkannte Privatschule hoheitliche Funktionen aus. Sie stelle den Bildungsgrad ihrer Schüler mit öffentlich-rechtlicher „Außenwirkung“ fest, vermittle also öffentlich-rechtliche Zugangsberechtigungen oder erteile Berechtigungen zur Führung einer Berufsbezeichnung. Der Staat könne die Anforderungen an die Übertragung von Hoheitsrechten selbst bestimmen. Durch das Verlangen, Religionsunterricht an Ersatzschulen anzubieten, werde die Privatschulfreiheit nicht unzumutbar beeinträchtigt.
In dem Verfahren ist Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Montag, den 9. Mai 2022, 10.30 Uhr (9 S 994/21).
Hinweis: Die Verleihung der Eigenschaft einer anerkannten Ersatzschule hat für eine Privatschule erhebliche Bedeutung. Mit der staatlichen Anerkennung erhält sie das Recht, nach den allgemein für öffentliche Schulen geltenden Vorschriften Prüfungen abzuhalten und Zeugnisse zu erteilen (§ 10 Abs. 4 Satz 1 PSchG). Bei einer lediglich genehmigten Ersatzschule müssen die Schüler zum Abschluss des Bildungsgangs hingegen eine sog. Schulfremdenprüfung an einer öffentlichen Schule ablegen; auch sind ausgestellte Zeugnisse der nur genehmigten Ersatzschule bei einem Wechsel an öffentliche Schulen nicht bindend, d.h. die öffentliche Schule entscheidet ggf. aufgrund einer Aufnahmeprüfung, welcher Klassenstufe der Schüler zugeordnet wird.
- Senat
Deutsche Umwelthilfe verlangt Integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept
Mit ihrer beim VGH erhobenen Klage begehrt die Klägerin, die Deutsche Umwelthilfe e.V., die Verurteilung des Landes dazu, ein Integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept zu beschließen. Zur Begründung beruft sie sich auf § 6 Abs. 1 Satz 1 des Klimaschutzgesetzes Baden-Württemberg, wo es heißt: „Die Landesregierung beschließt im Jahr 2020 und danach alle fünf Jahre auf Basis der Monitoringberichte nach § 9 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 2 nach Anhörung von Verbänden und Vereinigungen ein integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept, das wesentliche Ziele, Strategien und Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele nach § 4 benennt.“ Bislang hat die Landesregierung ein solches Konzept nicht beschlossen.
Ein Termin zur mündlichen Verhandlung steht noch nicht fest (10 S 3542/21).
Herbertingen: Sanierung nach Löschschaumeinsatz
Im Jahr 2007 kam es bei Entladearbeiten eines mit Schrott gefüllten Eisenbahnwaggons zu einem Großbrand auf einer Schrotthalde, der erst nach fünf Tagen gelöscht werden konnte. Am Abend des zweiten Brandtages entschloss sich die Einsatzleitung zu einem massiven Schaummittelangriff, um den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Zum Einsatz kamen große Mengen PFC-haltigen Löschschaums (etwa 130.000 Liter), der nicht vollständig wieder aufgefangen werden konnte und zum Teil in den Boden gelangte. Die Sanierung der eingetretenen Verunreinigungen ist Gegenstand der streitigen, gegen das Unternehmen und zwei damalige Geschäftsführer gerichteten behördlichen Anordnung. In den anhängigen Beschwerdeverfahren geht es um die sofortige Vollziehbarkeit der bodenschutzrechtlichen Sanierungsanordnung in Bezug auf eine Boden- und Grundwasserverunreinigung durch per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC).
Ein Entscheidungstermin steht noch nicht fest (10 S 2801/21 und 10 S 2829/21).
Hinweis: In Beschwerdeverfahren wird in der Regel ohne mündliche Verhandlung entschieden.
Auskunft über die Gutachter für Honorarprofessur des Präsidenten des BVerfG
Das Verwaltungsgerichts Karlsruhe verpflichtete mit Urteil vom 18. Januar 2022 – 11 K 1571/20 – (vgl. Pressemitteilung des VG Karlsruhe vom 8. Februar 2022) die Universität Heidelberg, dem Kläger die Namen derjenigen Gutachter mitzuteilen, die in dem Verfahren zur Bestellung des jetzigen Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Prof. Dr. Harbarth zum Honorarprofessor ein Gutachten erstattet haben; die weitergehende Klage auf Verpflichtung zur Herausgabe der betreffenden Gutachten lehnte das Verwaltungsgericht ab. Zwischen den Beteiligten ist insbesondere streitig, ob der Informationsanspruch nach dem Landesinformationsfreiheitsgesetz (LIFG) aufgrund einer Bereichsausnahme für den Bereich Forschung und Lehre oder besonderer Vertraulichkeitserfordernisse ausgeschlossen ist. Das Verwaltungsgericht hat argumentiert, die Wissenschaftsfreiheit umfasse zwar auch das Recht der Universitäten zur Bestellung von Honorarprofessoren, nicht aber die Auswahl der in einem Bestellungsverfahren beauftragten Gutachter. Hierbei handle es sich um einen bloßen Verfahrensschritt, dem keine inhaltliche Aussagekraft oder Vorentscheidung zukomme. Die den Universitäten zustehende Beurteilungskompetenz über die wissenschaftliche Qualifikation potentieller Honorarprofessoren werde deswegen nicht berührt. Die Universität hat gegen das Urteil Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.
Ein Entscheidungstermin steht noch nicht fest (10 S 598/22).
Hinweis: Über Anträge auf Zulassung der Berufung wird ohne mündliche Verhandlung entschieden. Wird die Berufung vom VGH zugelassen, wird das Verfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt. Im Berufungsverfahren wird in der Regel mündlich verhandelt.
Zugang zu Informationen über Tierversuche an den Universitäten Tübingen und Ulm
Die Tierschutzorganisation PETA begehrt vom Land Baden-Württemberg nach dem Landesinformationsfreiheitsgesetz (LIFG) den Zugang zu Informationen darüber, ob und in welchem Umfang bei den beigeladenen Universitäten Tübingen und Ulm im Zeitraum zwischen 1. Januar 2014 und 1. Oktober 2019 hinsichtlich der Aus-, Fort- und Weiterbildung im Bereich Humanmedizin Tierversuche stattgefunden haben. Die Verpflichtungsklage gegen den auf den Ausschlussgrund des § 2 Abs. 3 Nr. 2 LIFG (Schutz von Forschung und Lehre) gestützten Ablehnungsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen mit Urteil vom 17. November 2021 – 8 K 5171/19 – abgewiesen. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Informationszugang gemäß § 1 Abs. 2 LIFG seien zwar grundsätzlich erfüllt. Das LIFG sei vorliegend aber schon nicht anwendbar, da es gegenüber den beigeladenen Hochschulen nicht gelte und die in § 2 Abs. 3 Nr. 2 LIFG geregelte Bereichsausnahme nach ihrem Sinn und Zweck auch gegenüber dem Regierungspräsidium Anwendung finde. Dieser Gesetzesauslegung tritt PETA mit der vom Verwaltungsgericht wegen Grundsatzbedeutung zugelassenen Berufung entgegen.
Ein Termin zur mündlichen Verhandlung steht noch nicht fest (10 S 125/22).
Mannheim: Auskunft zu Kaufvertrag über „Spinelli-Areal“
Der Kläger begehrt von der beklagten Stadt Mannheim Auskunft über den von dieser – gemeinsam mit kommunalen Unternehmen – mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) geschlossenen Kaufvertrag über den bundeseigenen Teil des sogenannten „Spinelli-Areals“, eines früher von den amerikanischen Streitkräften genutzten Kasernengeländes, auf dem in den kommenden Jahren Wohneinheiten für rund 4.500 Menschen und ein zentraler Teil des neuen Grünzugs Nordost der Stadt Mannheim entstehen sollen und in dessen Mitte die Bundesgartenschau 2023 stattfinden soll. Der geltend gemachte Anspruch auf Informationszugang nach dem Landesinformationsfreiheitsgesetz (LIFG) bezieht sich vor allem auf die Höhe des Kaufpreises. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat mit Urteil vom 17. Dezember 2021 – 1 K 3842/20 – der Klage stattgegeben und die Stadt verpflichtet, dem Kläger (unter Schwärzung personenbezogener Daten) Einsicht in den Grundstückskaufvertrag zu gewähren. Der aus dem Landesinformationsfreiheitsgesetz (LIFG) folgende Informationsanspruch sei nicht wegen einer Sperrwirkung der Grundbuchordnung (§ 12 GBO), aus Gründen der Vertraulichkeit bzw. Geheimhaltungsbedürftigkeit oder schutzwürdigen wirtschaftlichen Interessen ausgeschlossen. Hiergegen richten sich die vom Verwaltungsgericht wegen Grundsatzbedeutung zugelassenen Berufungen der kommunalen Unternehmen und der BIMA.
Ein Termin zur mündlichen Verhandlung steht noch nicht fest (10 S 439/22).
Streitigkeiten über Windkraftanlagen
Im 10. Senat sind mehrere Verfahren zu Windkraftanlagen anhängig. In diesem Jahr sind jedenfalls Entscheidungen zu Anlagen an den Standorten Taubenkopf, Geislingen-Stätten und Donzdorf sowie Straubenhardt zu erwarten.
Taubenkopf (10 S 3815/21)
Der Kläger, eine anerkannte Umweltvereinigung, begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen eine der Beigeladenen von der Antragsgegnerin (der Stadt Freiburg) erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von zwei Windkraftanlagen mit einer Nabenhöhe von 166 m und einem Rotordurchmesser von 160 m auf dem (auf der Gemarkung der Stadt Freiburg) liegenden sog. Taubenkopf.
Geislingen-Stätten und Donzdorf (10 S 1485/21)
Die Klage eines Umweltschutzverbandes richtet sich gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb eines Forschungstestfeldes für zwei Windenergieanlagen und vier meteorologischen Messmasten an den Standorten Geislingen-Stätten und Donzdorf. Gerügt werden das Unterlassen einer gebotenen Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) sowie Verstöße gegen bau- und artenschutzrechtliche Vorschriften (Fledermäuse, Rotmilan, Uhu und Raubwürger).
Straubenhardt (10 S 2056/21)
Es handelt sich um eine Klage eines Anwohners gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines Windparks mit elf Windkraftanlagen auf dem Gebiet der Gemeinde Straubenhardt. In der Umgebung des Windparks befinden sich u.a. die FFH-Gebiete „Albtal mit Seitentälern“ und „Eyach oberhalb Neuenbürg“ in einer Entfernung von ca. 700 m bzw. 1.000 m. Die Anlagen wurden ab Juni 2017 nach und nach errichtet und ab Frühjahr 2018 sukzessive in Betrieb genommen. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat mit Urteil vom 12. April 2021 – 9 K 3203/19 – die Berufung wegen Grundsatzbedeutung zugelassen. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist u. a. die Frage der Reichweite der Rügebefugnis betroffener Anwohner in Bezug auf die immissionsschutzrechtliche Genehmigung von Windenergieanlagen (vor allem hinsichtlich der Berücksichtigung artenschutzrechtlicher Belange).
Die sofortige Vollziehbarkeit der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung war Gegenstand zweier Beschwerdeentscheidungen des Senats im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. hierzu Pressemitteilung vom 30. Januar 2019).
- Senat
BAföG für ein Praktikum in London
Die Klägerin absolviert eine schulische Ausbildung als Erzieherin am Institut für soziale Berufe (ifsb) in Ravensburg. Zu dieser Ausbildung gehört ein verpflichtendes Praktikum, das die Klägerin vom 1. Januar 2019 bis zum 30. April 2019 an der Mary Paterson Nursery School in London ableistete. Für das Auslandspraktikum erhielt die Klägerin eine leistungs- und begabungsabhängige Förderung nach dem Erasmus+-Programm in Höhe von insgesamt 3.393,– EUR. Das Amt für Ausbildungsförderung der Beklagten bewilligte für das Auslandspraktikum Leistungen nach dem BAföG, und zwar in Höhe von monatlich 81,– EUR, wobei die Erasmus+-Förderung als Einkommen angerechnet wurde.
Die Klägerin hat hiergegen Klage erhoben und begehrt eine höhere Förderung. Das Erasmus+-Stipendium habe angesichts der hohen Mietpreise in London gerade für die Wohnkosten gereicht. Ferner habe sie täglich mit Bus und Bahn zu ihrer Praktikumsstelle fahren und auch den Hin- und Rückflug von Friedrichshafen nach London bestreiten müssen. Die allgemeinen Lebenshaltungskosten in London seien ebenfalls sehr hoch gewesen. Die Beklagte macht geltend, die Erasmus+-Förderung sei nach § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG ab einem Betrag von 300,– EUR als Einkommen anzurechnen. Sie diene insoweit denselben Zwecken wie die Ausbildungsförderung nach dem BAföG, nämlich der Bedarfsdeckung.
Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat der Klage mit Urteil vom 29. Januar 2020 – 1 K 1199/19 – stattgegeben und die Berufung zugelassen. Die Klägerin habe Anspruch auf Ausbildungsförderung ohne Anrechnung der erhaltenen Erasmus+-Förderung. Die Erasmus+-Förderung sei nicht als Einkommen nach dem BAföG anzusehen, weil deren Zweckbestimmung einer Anrechnung auf den Bedarf entgegenstehe. Die Erasmus+-Stipendien dienten zwar ebenfalls der Deckung des Lebensbedarfs, stellten nach europäischem Recht aber zugleich einen Zuschuss zu den zusätzlichen Kosten des Auslandsaufenthalts dar und sollten damit den mit dem Auslandsaufenthalt verbundenen erhöhten Bedarf abdecken. Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt.
Ein Termin zur Verhandlung steht noch nicht fest (12 S 757/20).
Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 27. April 2022