Der Landtagspräsident hat die sich aus der Landesverfassung ergebenden Rechte der antragstellenden AfD-Fraktion NRW aus Art. 65 und Art. 30 Abs. 2 der Landesverfassung nicht dadurch verletzt, dass er einen von ihr eingebrachten Gesetzentwurf unter Verweis auf die parlamentarische Ordnung gemäß §§ 71, 69 der Geschäftsordnung des Landtags zurückgewiesen hat. Das hat der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster mit einem im Anschluss an die heutige mündliche Verhandlung verkündeten Urteil entschieden.
Mit Entscheidung vom 4. Oktober 2021 wies der Landtagspräsident den Gesetzentwurf der Antragstellerin mit dem Titel „Gesetz gegen antisemitische und islamistische Umtriebe beim Westdeutschen Rundfunk Köln“ vom 28. September 2021 zurück und lehnte ab, den Entwurf im Landtag zu verteilen und als Beratungsgegenstand auf die Tagesordnung einer Sitzung des Landtags zu nehmen. Er begründete die auf § 71 Abs. 1 Nr. 1 GO LT gestützte Zurückweisungsentscheidung insbesondere damit, dass im Begründungstext des Gesetzentwurfs (Abschnitte A. und B.) mehrfach der Name einer Journalistin genannt werde, die derzeit im Mittelpunkt einer öffentlichen Debatte stehe. Der Schutz ihres Persönlichkeitsrechts genieße hier Vorrang vor dem parlamentarischen Initiativrecht der Antragstellerin, nicht zuletzt, weil der Gesetzentwurf in seinem normativen Textteil unbeanstandet bleibe. Gegen einen Gesetzentwurf mit entsprechenden redaktionellen Anpassungen bestünden hingegen keine geschäftsordnungsrechtlichen Bedenken.
Die Antragstellerin hat im November 2021 vor dem Verfassungsgerichtshof ein Organstreitverfahren gegen den Landtagspräsidenten eingeleitet. Den zugleich gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Verfassungsgerichtshof bereits mit Beschluss vom 7. Dezember 2021 als unzulässig verworfen (VerfGH 121/21, Pressemitteilung).
Mit dem heute im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündeten Urteil hat der Verfassungsgerichtshof die Organklage der Antragstellerin zurückgewiesen.
In der mündlichen Urteilsbegründung wurde ausgeführt:
Der Antragsgegner hat den Gesetzentwurf der Antragstellerin am 4. Oktober 2021 zu Recht zurückgewiesen. Der Landtagspräsident hat das aus Art. 30 Abs. 2, 5 i. V. m. Art. 65 LV folgende Recht der antragstellenden Fraktion, Gesetzesinitiativen in den Landtag einzubringen, nicht verletzt.
Das Parlament hat das Recht, seine Angelegenheiten zu regeln. Dieses Recht erstreckt sich insbesondere auf den Geschäftsgang und damit auch den Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens. Die Regelung des § 71 Abs. 1 Nr. 1 GO LT ist daher mit ihrem inhaltlich offenen Bezug auf das Schutzgut der „parlamentarischen Ordnung“ grundsätzlich verfassungsgemäß. Das Merkmal der parlamentarischen Ordnung erstreckt sich auch auf den Schutz der Grundrechte Dritter und verleiht dem Antragsgegner die Befugnis, hiergegen verstoßende Gesetzentwürfe zurückzuweisen und nicht in den parlamentarischen Beratungsgang weiterzuleiten.
Auch die konkrete Anwendung der Vorschrift durch den Antragsgegner ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Die vom Antragsgegner zur Begründung der Zurückweisung allein herangezogene Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der betroffenen Journalistin ist im Ergebnis tragfähig:
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Journalistin ist durch die Namensnennung in den Abschnitten A. und B. des Gesetzentwurfs vom 28. September 2021 grundsätzlich betroffen. Denn grundsätzlich dürfen Klarnamen in Parlamentsdokumenten nicht verwendet werden. Hiervon gibt es indes Ausnahmen.
Die Betroffenheit des Persönlichkeitsrechts steht in einem Spannungsverhältnis zum parlamentarischen Initiativrecht der Antragstellerin, das der Antragsgegner in einen schonenden und wirksamen Ausgleich im Wege praktischer Konkordanz zu bringen hatte. Dies hat der Antragsgegner zutreffend erkannt und gestützt hierauf eine vertretbare Abwägung vorgenommen
Quelle: Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, Pressemitteilung vom 4. April 2022