Bei den meisten Fällen von Jugendkriminalität handelt es sich um jugendtypische Delikte wie Ladendiebstahl oder Graffiti-Schmierereien. Die Verfahrenszahlen der Staatsanwaltschaft München I im Jahr 2021, 2022 und im ersten Quartal 2023 lassen jedoch einen deutlichen Anstieg gravierender Delikte (Verbrechen wie z. B. Raub und räuberische Erpressung) bei Jugendlichen bzw. Heranwachsenden erkennen. Laut Sicherheitsbericht des Polizeipräsidiums München ist die Zahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren im vergangenen Jahr in München im Vergleich zum Vorjahr um 6,1 % auf 8.533 gestiegen, allerdings im Vergleich zu 2019 um 4,3 % niedriger (8.912 Tatverdächtige). Während es im Jahr 2022 etwas weniger tatverdächtige Heranwachsende gab (3.514; -2,1 %), ist ein deutliches Plus von fast 28 % bei tatverdächtigen Kindern (also Personen unter 14 Jahren) festzustellen.
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich: „Meistens handelt es sich um jugendtypische Delikte wie Ladendiebstahl oder Graffiti-Schmierereien. Der Großteil schwerer und wiederholter Taten wird vorwiegend durch Intensivtäter verübt. Die bayerische Justiz geht mit einem Bündel an Maßnahmen gegen Jugendkriminalität vor. Insbesondere bei Gewaltkriminalität durch jugendliche Intensivtäter greifen Polizei und Staatsanwaltschaften konsequent durch. Sobald die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, wird gerade bei gravierenden Gewaltdelikten Untersuchungshaft beantragt. Gewalt wird nicht geduldet. Dies belegt auch die Strafverfolgungsstatistik 2021: 522 jugendliche und heranwachsende Täter wurden zu Jugendstrafen ohne Bewährung verurteilt.“
I. Bayern fordert Verlängerung des Jugendarrests
Bayern wird sich für die Verlängerung des Jugendarrests einsetzen. Minister Eisenreich: „Aus meiner Sicht muss der Jugendarrest von derzeit höchstens vier Wochen auf drei Monate verlängert werden. Bayern wird einen entsprechenden Antrag bei der Justizministerkonferenz einbringen. Insbesondere jugendliche Intensivtäter müssen frühzeitig gestoppt werden. Das Jugendgerichtsgesetz ist ein Bundesgesetz und muss entsprechend angepasst werden.“ Der Jugendarrest ist die Vorstufe zur Jugendstrafe (§ 16 Absatz 4 Satz 1 Jugendgerichtsgesetz). Die Verlängerung auf drei Monate ist ein wichtiges Mittel, um im Arrest auf jugendliche Täter einwirken zu können. Das Ziel ist, die Entwicklung zum Intensivtäter frühzeitig zu verhindern.
II. Das Maßnahmenpaket gegen Jugendkriminalität
Bayern geht konsequent gegen jugendliche Intensivtäter vor. Die Rahmenvorgaben für sogenannte JUIT (jugendliche und heranwachsende Intensivtäter) wurden in Bayern bereits im Jahr 2008 durch das Innenministerium unter Beteiligung des Justizministeriums eingeführt und 2018 erneut überarbeitet. Das Ziel: Die Verstärkung von präventiven, erzieherischen und repressiven Maßnahmen und eine bessere Vernetzung aller beteiligten Behörden. Eisenreich: „Um die Verfahren zu beschleunigen, stehen der Polizei bei allen bayerischen Staatsanwaltschaften direkte Ansprechpartner in JUIT-Fällen zur Verfügung. Zudem haben wir Spezialstaatsanwälte eingesetzt, so auch bei der größten bayerischen Staatsanwaltschaft München I. Die enge Zusammenarbeit mit der Polizei funktioniert hervorragend.“
Zum Maßnahmenbündel der Staatsanwaltschaft München I gehören eine Vielzahl an Projekten. Eine Auswahl:
- Beschleunigte Verfahren bei jugendlichen Intensivtätern: Das bayernweite JUIT-Konzept wird in München durch das Projekt ProPER umgesetzt. Aktuell werden von der Münchner Polizei 81 JUIT geführt. Wer binnen eines halben Jahres mehr als fünf Straftaten und/oder schwerwiegende Straftaten begangen hat, kann vom Polizeipräsidium München in das Programm ProPER (Personenorientierte Ermittlungen und Recherchen) aufgenommen werden, wenn eine Wiederholungsgefahr besteht. Mit der Aufnahme stehen jugendliche Intensivtäter unter besonderer Beobachtung von Polizei und Staatsanwaltschaft. Damit sind stets dieselben Beamten zuständig – unabhängig davon, um welches Delikt es sich handelt. Eisenreich: „Polizei und Justiz greifen bei Intensivtätern konsequent durch. Sobald die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, wird gerade bei gravierenden Gewaltdelikten Untersuchungshaft beantragt. Ziel ist es, junge Gewalttäter besonders eng im Blick zu halten, die Verfahren durch einen schnellen Informationsaustausch zu beschleunigen und die Resozialisierung durch besondere Betreuung zu fördern.“ Die Ermittlerinnen und Ermittler beobachten dabei, dass die Täter teils immer jünger werden. Bereits bei strafunmündigen Kindern wird die Aufnahme in das ProPER-Programm geprüft. Mit dem 14. Geburtstag kann dann sofort die Aufnahme erfolgen.
- Sonderzuständigkeiten für Verkehrsstraftaten von Jugendlichen und Heranwachsenden: Die Zahl der wegen verbotener Kraftfahrzeugrennen Verurteilten stieg 2021 bayernweit um 62,8 % auf 210 Personen – 65 Verurteilte waren Heranwachsende und Jugendliche. Eisenreich: „Das zeigt, wie wichtig es war, dass der Bund 2017 – auf Initiative Bayerns – die Beteiligung an illegalen Autorennen unter Strafe gestellt hat.“ Hinter dem Steuer sitzen häufig junge Raser (Raserinnen sind die Ausnahme). Bei der Staatsanwaltschaft München I sind in diesem Bereich in den Verkehrsabteilungen zwei Referate mit Sonderzuständigkeiten für Jugendliche und Heranwachsende eingesetzt. Auffällig ist, dass Jugendliche und Heranwachsende weitaus häufiger verbotene Kraftfahrzeugrennen durchführen als Erwachsene.
- Täter-Opfer-Ausgleich (TOA): Das Verfahren bringt Beschuldigte und Opfer an einen Tisch. Mit einem neutralen Vermittler wie beispielsweise dem Verein „Brücke e. V. München“ sprechen sie über die Tat und einigen sich auf eine Wiedergutmachung. Eisenreich: „Mit dem TOA kann der hinter einer Straftat stehende Konflikt zwischen Täter und Opfer aufgearbeitet werden. Zugleich kann er Geschädigten dabei helfen, rasch und unkompliziert finanzielle Wiedergutmachung zu erlangen.Gerade im Jugendstrafrecht, in dem der Erziehungsgedanke im Vordergrund steht, hat sich das Verfahren als besonders sinnvoll bewährt.“
- Teen Court München: Bayerns Schülergerichte sind ein echtes Erfolgsmodell. Seit November 2020 kann die Staatsanwaltschaft München I geeignete Fälle wie gestohlene Handys oder frisierte Mofas an den Teen Court weitergeben. Dort verhandeln Schülerrichterinnen und Schülerrichter, die so jung sind wie die Beschuldigten. Eisenreich: „Für schwere Fälle sind die Staatsanwaltschaften zuständig. Einfach gelagerte jugendtypische Fälle können aber einem Teen Court übertragen werden. So findet ein Dialog auf Augenhöhe statt, und es kann gemeinsame eine Sanktion erarbeitet werden.“ Statt eines Urteils wird eine erzieherische Maßnahme vereinbart wie ein Aufsatz oder eine Arbeitsleistung. Danach stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren in der Regel ein. Sie kann aber auch Anklage erheben, insbesondere wenn die Auflagen nicht erfüllt worden sind. Vor dem Teen Court München wurden bis heute 170 Fälle verhandelt.
- Schülerhandykampagne „Mach dein Handy nicht zur Waffe“: Verfahren wegen Kinderpornografie sind in den vergangenen Jahren bayern- und bundesweit angestiegen. Bei den Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende befindet sich das kinderpornografische Material oft auf Schülerhandys. Bei den Bildern handelt es sich meist um vielfach geteiltes Material, das von Posing-Bildern bis hin zu Videos von schwerem sexuellem Missbrauch reicht. Eisenreich: „Schülerinnen und Schüler ist oft nicht bewusst, wie schnell sie sich strafbar machen können. Die Masse handelt aus Spaß, Neugier oder Unbedachtheit. Deshalb haben wir zur Aufklärung die sehr erfolgreiche und preisgekrönte Schülerhandykampagne ‚Mach dein Handy nicht zur Waffe‘ entwickelt. Im Mittelpunkt steht ein Video, für das wir mit Falco Punch einen der erfolgreichsten deutschen Influencer gewinnen konnten. Mit der Landingpage unter ‚www.machdeinhandynichtzurwaffe.de‚ und weiteren Materialeninformieren wir Kinder und Jugendliche, aber auch Eltern und Lehrer darüber, wie schnell man mit dem Gesetz in Konflikt geraten und eine strafbare Handlung mit dem Handy begehen kann.“
- Das Projekt Graffiti München (ProGraM) richtet sich an Sprayer zwischen 14 und 21 Jahren. Geständige Ersttäter können eine Strafe vermeiden, wenn sie ihre Schmierereien selbst wieder entfernen. Dabei kooperiert die Münchner Staatsanwaltschaft mit der Münchner Kriminalpolizei, der Brücke München e.V. und weiteren Partnern. Finanziert wird das Projekt durch die Jugendämter der Landeshauptstadt und des Landkreises München. Der Vorteil: Täter können den verursachten Schaden wiedergutmachen und müssen keine Verschuldung im jungen Alter fürchten. Im vergangenen Jahr gab es 92 Fälle, von denen 45 abgeschlossen werden konnten. Bis Ende Juni 2023 wurden 31 Fälle neu zugewiesen.
- Das mithilfe der Suchthilfeeinrichtung Prop e.V. durchgeführte Projekt FreD (Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten) richtet sich an Jugendliche und Heranwachsende im Alter zwischen 14 und 21 Jahren, die mit einer geringen Menge an Betäubungsmitteln (z. B. Cannabis oder Partydrogen wie Ecstasy) auffällig geworden sind. Ziel des Präventionsprogramms ist es, jungen Menschen den Zugang in das Suchthilfesystem zu erleichtern und der Entwicklung einer Suchtmittelabhängigkeit durch kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten entgegenzuwirken. Wenn die Ersttäter erfolgreich an dem Kurs teilgenommen haben, wird das Ermittlungsverfahren regelmäßig eingestellt. Zu FreD kommen Täter freiwillig oder durch eine Auflage der Polizei oder der Staatsanwaltschaft. Vergangenes Jahr haben 80 % der 787 Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Maßnahme erfolgreich abgeschlossen. In diesem Jahr gibt es bereits 527 Jugendliche und Heranwachsende, die die Frühintervention nutzen.
Eisenreich: „Durch Prävention einerseits und durch eine frühzeitige Intervention andererseits sollen Straftaten im Leben von jungen Menschen vermieden werden. Dafür setzen wir uns mit zahlreichen Maßnahmen ein. Bei jugendlichen Intensivtätern gehen Polizei und Staatsanwaltschaft konsequent vor. Ich möchte unseren Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und der Polizei für ihren engagierten Einsatz herzlich danken.“
(c) StMJ, 11.08.2023