Mit schwierigen Bedingungen war das Sozialgericht Aachen im Jahr 2024 konfrontiert. Während landesweit die Eingänge sozialgerichtlicher Verfahren weiter rückläufig waren, sah sich das Sozialgericht Aachen erneut mehr Eingängen als im Vorjahr gegenüber. Zwar hielten sich die Klageeingänge auf ungefähr gleichem Niveau (3230 im Jahr 2024 gegenüber 3281 im Jahr 2023). Jedoch fielen die Eilverfahren, die sich schon im Vorjahr um 21 % gesteigert hatten, mit einem Anstieg um weitere 33 % erheblich ins Gewicht (351 in 2024 gegenüber 264 in 2023).

Aufgrund von Elternzeiten und Abordnungen einiger Richterinnen und Richter war das Gericht im richterlichen Dienst personell geschwächt. Zum Stichtag 31.12.2024 standen fast zwei Vollzeitkräfte weniger als im Vorjahr zur Verfügung – für ein kleines Gericht eine spürbare Einbuße an Schlagkraft.

So mag es nicht verwundern, dass die Bestände anhängiger Verfahren von 3516 im Jahr 2023 auf 4016 im Jahr 2024 anstiegen. Auch auf eine etwas längere Verfahrensdauer mussten sich die Rechtsschutzsuchenden im letzten Jahr beim SG Aachen einstellen. Dauerten die Klageverfahren im Jahr 2023 noch im Schnitt 11,2 Monate und Eilverfahren 1,1 Monate, endeten die Klageverfahren 2024 im Schnitt nach 12,3 Monaten und Eilverfahren nach 1,4 Monaten. Die Gründe hierfür sind auch in den Nachwehen der Umstellung auf die elektronische Akte und krankheitsbedingten Ausfällen zu suchen. Die Laufzeiten sind damit aber weiterhin kürzer als im Landesdurchschnitt.

Der größte Zuwachs an Eingängen war im Rechtsgebiet Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) zu verzeichnen (+ 21,9 % insgesamt). Insbesondere die Eilverfahren stiegen von 159 im Vorjahr auf 258 im Jahr 2024. Hier beschäftigte das Gericht insbesondere die Frage, unter welchen Voraussetzungen Drittstaatenangehörige, die vor dem 24.02.2022 in der Ukraine Schutz genossen haben und von dort nach Deutschland eingereist sind, Anspruch auf Bürgergeld haben (z.B. Beschluss vom 29.07.2024 – S 4 AS 299/24 ER, Beschluss vom 27.09.2024 – S 9 AS 517/24 ER). Hierbei waren komplexe ausländerrechtliche Bestimmungen zu berücksichtigen. Nach Auffassung der Kammern war maßgeblich darauf abzustellen, ob die Betroffenen einen Antrag auf vorübergehenden Schutz gem. § 24 AufenthG gestellt hatten – unabhängig von den Erfolgsaussichten des Antrags.

Auch im Sachgebiet Sozialhilfe/ Eingliederungshilfe waren mehr Klage- und Eilverfahren zu bewältigen. Dabei war häufig strittig, in welchem Umfang Kinder mit einer wesentlichen Behinderung Anspruch auf eine Inklusionsassistenz im Kindergarten haben.

Steigende Eingangszahlen betrafen schließlich auch das Schwerbehindertenrecht (+ 12,9 %). Hier stehen für die Betroffenen in der Regel – so auch letztes Jahr – die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung, insbesondere der Schwerbehinderteneigenschaft, und die Zuerkennung verschiedener Merkzeichen im Vordergrund.

Etwas rückläufig waren die Klageeingänge in den Rechtsgebieten der Renten-, Kranken- und Unfallversicherung. Im Sachgebiet Rente stehen meist Erwerbsminderungsrenten im Vordergrund. Aber auch interessante versicherungsrechtliche Fragen beschäftigen die Kammern. So hatte die 7. Kammer darüber zu befinden, ob eine gemeinnützige Kulturstiftung, die zur Umsetzung ihrer Projekte freischaffende Künstler beauftragt, für diese Abgaben an die Künstlersozialkasse abzuführen hat. Die 7. Kammer hat die Abgabepflicht bejaht. Die Abgabepflicht treffe auch Einrichtungen, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgen, sofern sie die Absicht hätten, Einnahmen zu erzielen. Eine Gewinnerzielungsabsicht sei nicht erforderlich. Hintergrund hierfür sei die spezifische Solidaritäts- und Verantwortungsbeziehung zwischen selbstständigen Künstlern und Publizisten auf der einen Seite und den Vermarktern und Verwertern von Kunst und Publizistik auf der anderen Seite (Urteil vom 16.01.2024 – S 7 R 185/22).

Im Krankenversicherungsrecht war die 6. Kammer mit der gewichtigen Frage befasst, ob ein Kläger, der unter einem Prostata-Adenokarzinom mit ausgedehnter Metastasierung und Befall von Nebennieren, Leber und Gehirn litt, Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine neue Therapieform, einer ambulanten transarteriellen Chemoperfusion und Chemoembolisation (TACP/TACE) zur Behandlung der festgestellten Lebermetastasen, durch seine Krankenkasse hat. Die Kammer hat die Klage abgewiesen. Zwar könnten Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung wie im vorliegenden Fall nicht zur Verfügung stehe, solche Leistungen beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Eine solche positive Einwirkung lasse sich jedoch im konkreten Fall nicht begründen. Denn zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung des Versicherten habe ein Mindestmaß an wissenschaftlicher Datenlage zu den Erfolgsaussichten der TACP/TACE-Behandlung nicht vorgelegen (Urteil vom 20.12.2024 – S 6 KR 392/21).

Im Unfallversicherungsrecht ist oft streitgegenständlich, ob bestimmte Erkrankungen als Berufskrankheit anzuerkennen sind. Dies hat die 4. Kammer im Fall eines Klägers bejaht, der in einem Betrieb der Kupferveredelung und -beschichtung als Verfahrensmechaniker an einer Verzinnungsanlage eingesetzt und dort der Einwirkung von Bromwasserstoffsäure ausgesetzt war. Die Kammer hat eine wesentliche Verursachung von bei dem Kläger festgestellten Zahnschäden durch die berufliche Exposition angenommen. Bei der Zahnerosion des Klägers handle es sich um einen säurebedingten Verlust der Zahnstruktur. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Säureschäden an den Zähnen des Klägers nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung, sondern andere Ursachen wie z.B. eine kariesfördernde Ernährung zurückzuführen seien, läge nach umfassender Würdigung nicht vor (Urteil vom 06.11.2024 – S 4 U 92/23).

„Für das Jahr 2025 ist zu hoffen, dass sich der Trend rückläufiger Eingangszahlen auch am Sozialgericht Aachen durchsetzt und – bei sich erholender Personallage – aufgebaute Bestände schnell wieder abgebaut werden können. Effektiver und überzeugender Rechtsschutz, auch und gerade in einem immer komplexer werdenden Sozialrecht, trägt dazu bei, das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat zu erhalten und zu stärken. Hierzu haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialgerichts Aachen 2024 durch ihren Einsatz einen wesentlichen Beitrag geleistet und werden dies auch in Zukunft weiter tun“, ist sich der Präsident des Sozialgerichts Aachen Dr. Volker Bischofs sicher.

Sozialgericht Aachen, 14.04.2025

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