Das Saarländische Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 4. August 2023 die Beschwerden der Staatsanwaltschaft und einer Geschädigten gegen die Nichtzulassung der Anklage im Strafverfahren gegen den Präsidenten der Ärztekammer des Saarlandes als unbegründet verworfen.

Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken wirft dem Angeschuldigten mit Anklage vom 22. Februar 2022 vor, er habe in seiner Funktion als Präsident der Ärztekammer des Saarlandes in den Jahren 2013 bis 2015 sowie im Zeitraum zwischen Februar und Mai 2018 von einer Suchterkrankung und Diagnosefehlern des damals niedergelassenen Pathologen Dr. H. Kenntnis erlangt, ohne das Landesamt für Soziales als zuständige Approbationsbehörde hiervon zu unterrichten. Deshalb seien approbationsrechtliche Maßnahmen nicht ergriffen worden. Dr. H. habe in der Folge in den Jahren 2015 bis 2018 aufgrund suchtbedingter Beeinträchtigungen sieben Fehlbefunde zum Nachteil sechs verschiedener Patientinnen und Patienten gestellt. Infolge dessen seien u.a. bei krebserkrankten Patientinnen und Patienten medizinisch notwendige Behandlungen nicht eingeleitet und andererseits bei gesunden Patientinnen und Patienten nicht notwendige Behandlungen und Operationen durchgeführt worden. Dadurch habe der Angeschuldigte sich wegen Unterlassens strafbar gemacht. Die Anklage lautet auf „versuchten Totschlags in zwei Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung in sechs Fällen, hiervon eine Körperverletzung mit Todesfolge, zwei schwere Körperverletzungen und zwei gefährliche Körperverletzungen durch Unterlassen, hiervon in vier Fällen in mittelbarer Täterschaft“.

Das Landgericht Saarbrücken hat die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens aus Rechtsgründen abgelehnt. Es bestehe kein hinreichender Tatverdacht für eine Strafbarkeit wegen Unterlassens. Der Angeschuldigte habe rechtlich nicht dafür einzustehen gehabt, die von der Suchterkrankung des Dr. H. ausgehenden Gefahren für Patientinnen und Patienten zu verhindern.

Der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts hat die hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft und einer Geschädigten mit Beschluss vom 4. August 2023 als unbegründet verworfen und die Rechtsauffassung des Landgerichts bestätigt.

Nach dem Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen lägen zwar hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeschuldigte in amtlicher Funktion Kenntnis von einer Suchterkrankung und von Hinweisen auf mögliche Fehldiagnosen des Dr. H. erlangt hatte, ohne die Approbationsbehörde hierüber zu informieren. Dieser etwaige Verstoß gegen Pflichten gegenüber der Approbationsbehörde begründe aber keine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeschuldigten wegen Unterlassens für die Folgen etwaiger Fehlbefundungen des Dr. H.

Nach § 13 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) sei wegen Unterlassens nur strafbar, wer aufgrund eines besonderen Schutzverhältnisses rechtlich für die Abwendung einer bestimmten Gefahr einzustehen habe.

Eine solche Schutzfunktion des Angeschuldigten für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Patientinnen und Patienten des Dr. H. habe nicht bestanden. Sie folge nicht aus der Stellung des Anschuldigten als Präsident der Landesärztekammer als solcher. Zwar obliege der Ärztekammer nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 des Saarländischen Heilberufekammergesetzes (SHKG), die Einhaltung der Berufspflichten durch die in ihrem Zuständigkeitsbereich zugelassenen Ärzte zu überwachen. Diese Verpflichtung diene nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung aber ausschließlich dazu, die ordnungsgemäße ärztliche Berufsausübung im Allgemeininteresse zu gewährleisten.

Eine Einstandspflicht ergebe sich überdies nicht aus § 3 Abs. 3 Satz 2 SHKG. Dieser verpflichte die Ärztekammer dazu, die zuständige Approbationsbehörde über Tatsachen zu informieren, die das Ruhen oder den Widerruf von Approbationen zur Folge haben können. Dies diene indes nicht individuellen Patienteninteressen. Weder dem Wortlaut noch den Motiven des Gesetzgebers (vgl. LT-Drucks. 11/1327, S. 37) lasse sich eine solche Schutzrichtung entnehmen. Dies bestätige auch die Reaktion des Landesgesetzgebers nach dem öffentlichen Bekanntwerden der gegen den Angeschuldigten erhobenen Vor-würfe. Der Gesetzgeber habe nach dem Vorbild von Heilberufsgesetzen anderer Länder zunächst beabsichtigt, neben der Regelung des § 3 Abs. 3 Satz 2 SHKG eine eigenständige Pflicht der Ärztekammer einzuführen, die Approbationsbehörde über patientengefährdende Umstände zu unterrichten (vgl. LT-Drucks. 16/1833, S. 7). Hiervon habe er indes Abstand genommen, nachdem der Angeschuldigte in seiner Funktion als Präsident der Landesärztekammer bei der Anhörung vor dem zuständigen Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Landtages des Saarlandes sich aufgrund rechtlicher Bedenken gegen eine entsprechende Verpflichtung ausgesprochen hatte (vgl. Protokoll zur Anhörung vom 12. Januar 2022, SGFF 16/170, S. 5 ff.).

(c) OLG Saarbrücken, 09.08.2023

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