Der WDR muss den Spitzenkandidaten für die Europawahl der Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW), Fabio De Masi, zur ARD-Sendung „Wahlarena 2024 Europa“ einladen und an der Diskussion mit dem Studiopublikum teilnehmen lassen. Dies hat das Oberverwaltungsgericht heute in einem Eilverfahren entschieden und damit einen anderslautenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln geändert.
Am 06.06.2024 findet im unmittelbaren Vorfeld der Europawahl in der ARD die Wahlsendung „Wahlarena 2024 Europa“ statt. Eingeladen hat der federführende WDR Vertreter der Parteien SPD, CDU, CSU, B90/Grüne, FDP, AfD und Die Linke. Nach der eidesstattlichen Versicherung des für die Sendung verantwortlichen Redakteurs soll diese in Form eines sogenannten Townhall Meetings durchgeführt werden, bei dem das Publikum den eingeladenen Politikern unter Begleitung der Moderatoren vorab eingereichte Fragen stellt. Das Konzept sehe bei den einzelnen Themen auch Rückblicke auf die ablaufende Wahlperiode vor. Aus diesem Grund und um die Zahl der Gäste zu begrenzen, damit noch eine für das Fernsehpublikum informationsgewinnende, verarbeitbare und lebendige Diskussion möglich sei, habe man sich dafür entschieden, Vertreter derjenigen Parteien einzuladen, die im aktuellen Europäischen Parlament mit relevanter Stärke vertreten seien und die auch im Übrigen in Deutschland ein relevantes Gewicht hätten. In erster Instanz hat des Verwaltungsgericht Köln einen auf Teilnahme gerichteten Eilantrag der Partei BSW (Antragstellerin) abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde hatte beim Oberverwaltungsgericht Erfolg.
Zur Begründung hat der 13. Senat des Oberverwaltungsgerichts ausgeführt: Bei Prüfung im Eilverfahren kann die Antragstellerin aus dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Gebot der (abgestuften) Chancengleichheit politischer Parteien die Teilnahme an der „Wahlarena 2024 Europa“ beanspruchen. Das mitgeteilte Sendungskonzept rechtfertigt die Nichtberücksichtigung der Antragstellerin nicht. Zwar wäre es dem WDR grundsätzlich nicht verwehrt, sich in Wahrnehmung seiner grundrechtlich geschützten redaktionellen Freiheit dafür zu entscheiden, eine Wahlsendung ausschließlich oder zumindest schwerpunktmäßig dem Rückblick auf die vergangene Wahlperiode zu widmen und dementsprechend den Teilnehmerkreis auf Vertreter der Parteien zu begrenzen, die derzeit im Europaparlament vertreten sind. Es ist allerdings weder aufgrund der Erläuterungen des WDR noch sonst erkennbar, dass ein solcher Ansatz tatsächlich im Vordergrund der Sendung steht. So sollen nach den Angaben des verantwortlichen Redakteurs bei den einzelnen Themen „auch“ Rückblicke auf die vergangene Legislaturperiode vorgenommen werden. Zudem lässt gerade das gewählte Format eines „Townhall Meetings“ hauptsächlich zukunftsgerichtete Fragen der in das Konzept eingebundenen Bürgerinnen und Bürger an die anwesenden Politiker erwarten.
Das verbleibende Kriterium des redaktionellen Konzepts, nur Parteien einzuladen, die „auch im Übrigen in Deutschland ein relevantes Gewicht“ haben, verlangt eine Teilnahme der Antragstellerin an der Sendung „Wahlarena 2024 Europa“. Mit diesem Kriterium wollte der WDR dem Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit Geltung verschaffen, dem im Rahmen der Vorwahlberichterstattung besondere Bedeutung zukommt. Mit Blick auf die anstehende Europawahl lässt sich gegenwärtig jedenfalls nicht feststellen, dass die Antragstellerin gegenüber den eingeladenen Parteien FDP und Die Linke hinsichtlich ihrer gegenwärtigen Bedeutung einen derart großen Abstand aufweist, der ihren Ausschluss von der Sendung rechtfertigen könnte. Dabei ist unter den besonderen Umständen dieses Einzelfalls maßgeblich auf das Kriterium der Erfolgsaussichten bei den bevorstehenden Wahlen abzustellen, das naturgemäß bei den Parteien an besonderer Bedeutung gewinnt, die – wie die Antragstellerin aufgrund ihrer erst im Januar 2024 erfolgten Gründung – bisher nicht im Parlament vertreten sind. Seit Februar 2024 bewegt sich die Antragstellerin in einem „Umfragekorridor“ von 4 bis 7 Prozent, womit ihr zum Teil bessere Wahlchancen attestiert werden als etwa den Parteien FDP und Die Linke. In den jüngsten aktuellen Wahlumfragen liegt sie zwischen 6 und 7 Prozent. Ungeachtet der eingeschränkten Verlässlichkeit von Umfragen vor einer Wahl lässt sich hieraus jedenfalls eine deutliche Tendenz für die aktuellen Erfolgsaussichten der Antragstellerin herleiten. Diese werden bestätigt durch entsprechende Wahlumfragen für verschiedene Landesparlamente und den Bundestag sowie die Ergebnisse der Kommunalwahlen in Thüringen. Darüber hinaus verfügt die Antragstellerin schon nach kurzer Zeit unter anderem über eine Struktur, die es ihr erlaubt, bereits in ihrem Gründungsjahr neben der Europawahl an verschiedenen Kommunal- und Landtagswahlen mit entsprechenden Erfolgsaussichten teilzunehmen und mit Wahlkampfveranstaltungen das Interesse einer – auch im Vergleich zu den übrigen Parteien – nicht geringen Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern auf sich zu ziehen. Dass sie gleichwohl im Hinblick auf etwa ihre Mitgliederzahl, ihre Vertretung im Parlament und ihre Beteiligung an der Regierung in Bund oder Ländern hinter den übrigen Parteien zurücksteht, ist in diesem Fall angesichts der Besonderheiten einer jungen Parteineugründung nicht ausschlaggebend.
Schließlich können durch eine Einladung der Antragstellerin die kollidierende Rundfunkfreiheit des WDR und ihr Recht auf Chancengleichheit in Ausgleich gebracht werden. Eine Teilnahme eines Vertreters der Antragstellerin zwingt den WDR nicht dazu, von seinem redaktionellen Sendungskonzept in der zu erwartenden Umsetzung (erheblich) abzuweichen. Zum einen ist es weder dargelegt noch sonst festzustellen, dass bei dem gewählten Format eines „Townhall Meetings“ die Gesamtzahl der möglichen Gäste zwingend auf sieben begrenzt sein muss. Weshalb die Teilnahme zumindest auch eines achten Gastes der geordneten Durchführung und Attraktivität der 90-minüten Sendung entgegenstehen sollte, ist nicht weiter substantiiert. Dass mit der Zulassung der Antragstellerin noch weiteren Parteien die Teilnahme aus Gleichbehandlungsgründen zu ermöglichen wäre, ist nicht erkennbar. Zum anderen ist davon auszugehen, dass nicht auf retrospektive Elemente in der Sendung verzichtet werden muss, wenn der WDR hieran in redaktioneller Freiheit festhalten möchte.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Aktenzeichen: 13 B 494/24 (I. Instanz VG Köln 6 L 928/24)
(c) OVG NRW, 05.06.2024