Der Kreis Viersen ist nicht verpflichtet, die Landratswahl vom 13. September 2020 für ungültig zu erklären und eine Neuwahl anzuordnen. Das hat das Oberverwaltungsgericht heute entschieden, das anderslautende Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf geändert und die Klage des Vorstandes des Kreisverbandes DIE LINKE. Viersen abgewiesen.
Am 6. September 2020 schaltete der Kreis Viersen eine vierseitige Anzeige unter der Rubrik „Blickpunkt“ in dem Anzeigenblatt „Extra-Tipp am Sonntag“, das kostenlos an alle Haushalte im Kreis verteilt wurde. Die Anzeige, die auf allen vier Seiten mit „Kreis Viersen“ sowie dem Kreiswappen überschrieben war, enthielt mehrere Artikel, in denen über Aktivitäten des beklagten Kreises, seiner Wohnungsbaugesellschaft GWG und der Wirtschaftsförderungsgesellschaft berichtet wurde. In einem Editorial auf der ersten Seite der Anzeige stellte der seinerzeit amtierende, mit Foto abgebildete Landrat Dr. Andreas Coenen, der als Kandidat für die CDU zur Wiederwahl stand, die einzelnen Beiträge in knapper Form vor. In den Artikeln wurden wörtliche Zitate des Landrates wiedergegeben, die teilweise drucktechnisch hervorgehoben waren. Mehrere Beiträge befassten sich mit Themen des Kommunalwahlkampfes im Kreis Viersen. Bei der Kommunalwahl wurde der amtierende Landrat bei einer Wahlbeteiligung von 52,7 % mit 54,1 % der gültigen Stimmen im ersten Wahlgang bestätigt. Von 126.684 gültigen Stimmen entfielen 68.536 auf Dr. Andreas Coenen und 35.062 auf die zweitplatzierte SPD-Kandidatin Annalena Rönsberg (= 27,7 % der gültigen Stimmen). Der Kreisvorstand des Kreisverbandes DIE LINKE. Viersen, der seinerseits ebenfalls einen Wahlvorschlag eingereicht hatte, legte erfolglos Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl ein. Auf die Klage des Kreisvorstandes des Kreisverbandes DIE LINKE. Viersen verpflichtete das Verwaltungsgericht Düsseldorf den Kreis zur Ungültigkeitserklärung der Wahl und Anordnung einer Neuwahl. Auf die Berufungen des Kreises Viersen und des beigeladenen Landrats änderte das Oberverwaltungsgericht nun das Urteil des Verwaltungsgerichts und wies die Klage ab.
In der mündlichen Urteilsbegründung führte der Vorsitzende aus: Zwar ist es bei der Vorbereitung der Wahl durch eine unzulässige Wahlbeeinflussung zu einer Unregelmäßigkeit im wahlrechtlichen Sinne gekommen. Es fehlt aber an ernst zu nehmenden Gründen für die Annahme, dass die Wahl bei ordnungsgemäßem Ablauf möglicherweise zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.
Die Veröffentlichung der Anzeige durch den Kreis Viersen eine Woche vor der Wahl stellte eine unzulässige Wahlbeeinflussung durch eine amtliche Stelle dar. Das Gebot der freien Wahl untersagt es staatlichen und gemeindlichen Organen, sich in amtlicher Funktion vor Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern und -bewerberinnen zu identifizieren und sie als Amtsträger zu unterstützen oder zu bekämpfen. In der „heißen Phase des Wahlkampfes“ ist äußerste Zurückhaltung geboten und auf jegliche amtliche Öffentlichkeitsarbeit in Form sogenannter Arbeits-, Leistungs- und Erfolgsberichte zu verzichten. Dieser Wahlfehler ist aber nicht von entscheidendem Einfluss auf das Ergebnis der Landratswahl gewesen. Bei der Prüfung der Mandatsrelevanz des Wahlfehlers ist auch das Ergebnis einer potentiellen Stichwahl zu berücksichtigen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Landrat ohne die Veröffentlichung die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang möglicherweise verfehlt hätte, so ist es fernliegend, dass bei der dann durchzuführenden Stichwahl die zweitplatzierte Kandidatin obsiegt hätte. Sie hätte dafür einen erheblichen Abstand im Stimmenanteil aufholen und nahezu sämtliche Wählerinnen und Wähler der Kandidaten von FDP, der Linken und der Partei im ersten Wahlgang nun für sich gewinnen müssen. Das ist nach allgemeinen Erkenntnissen über das Wahlverhalten sehr unwahrscheinlich.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen. Dagegen kann Nichtzulassungsbeschwerde erhoben werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
Aktenzeichen: 15 A 976/22 (I. Instanz: VG Düsseldorf 1 K 1157/21)
Quelle: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Pressemitteilung vom 17. Januar 2023