Das Oberverwaltungsgericht hat mit heute verkündetem Urteil entschieden, dass die durch Landesverordnung vorgesehene Sonn- und Feiertagsöffnung von öffentlichen Bibliotheken rechtmäßig und damit wirksam ist. Ein hiergegen gerichteter Normenkontrollantrag der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hatte keinen Erfolg.
Nach dem Arbeitszeitgesetz kann die Landesregierung Ausnahmen von dem Verbot einer Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zur Vermeidung erheblicher Schäden unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe für Betriebe zulassen, in denen eine solche Beschäftigung zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist. § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung erlaubt die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in öffentlichen Bibliotheken, soweit sie ihre Funktionen nach § 47 und § 48 Absätze 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW vom 1.12.2021 erfüllen. Die Einführung dieser Verordnungsbestimmung war damit begründet worden, dass öffentliche Bibliotheken als sog. Dritte Orte der Begegnung dienten, der Kommunikation, der gesellschaftlichen Integration, der Information, der (staatsbürgerlichen) Bildung, als Stätten der Familie sowie als kulturelle Veranstaltungsorte. Sie böten zu diesen Zwecken Menschen aus unterschiedlichen sozialen Kontexten auch im ländlichen Raum und in kleinen Städten einen zentralen, besonders niederschwellig zugänglichen, nichtkommerziellen Raum für nichtkonsumtive Freizeitgestaltung. All diese Nutzungsbedürfnisse vor Ort könnten an Sonntagen nur durch eine Öffnung der Bibliotheken erfüllt werden. Insofern könne eine Sonntagsarbeit von Bibliotheksmitarbeitern durch zumutbare planerische Vorkehrungen der Bevölkerung nicht vermieden werden. Der Entwurf, mit dem die Sonntagsöffnung von Bibliotheken erstmals eingeführt werden sollte, war aus der Mitte des Parlaments in den Landtag NRW eingebracht und dort einstimmig angenommen worden.
Die antragstellende Gewerkschaft hatte im Jahr 2020 gegen die ursprünglich eingefügte Fassung von § 1 Abs. 1 Nr. 11 Bedarfsgewerbeverordnung den hiesigen Normenkontrollantrag gestellt und die im Jahr 2021 geänderte Fassung kürzlich auf einen entsprechenden Hinweis des Gerichts in das Verfahren einbezogen. Zur Begründung ihres Normenkontrollantrags führte die Antragstellerin aus, das Bundesverwaltungsgericht habe mit seinem Urteil vom 26.11.2014 – 6 CN 1.13 – zur hessischen Bedarfsgewerbeverordnung bereits entscheiden, dass die Voraussetzungen für eine sonn- und feiertägliche Öffnung öffentlicher Bibliotheken grundsätzlich nicht vorlägen, weil Nutzer die in Bibliotheken vorgehaltenen Medien an Werktagen für das Wochenende ausleihen könnten. Die angegriffene nordrhein-westfälische Regelung sei nicht anders zu bewerten, nur weil ihr Anwendungsbereich auf bestimmte Funktionen öffentlicher Bibliotheken beschränkt sei.
Der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Nach Einschätzung des zuständigen Landesgesetzgebers und den auf dieser Grundlage schlüssigen und vertretbaren Annahmen des Verordnungsgebers besteht angesichts der gewandelten kulturellen Funktionen öffentlicher Bibliotheken als niederschwellig zugängliche, nichtkommerzielle Orte der Kultur jedenfalls in Nordrhein-Westfalen an Sonn- und Feiertagen ein Bedürfnis für die Nutzung derartiger Bibliotheksräume an Ort und Stelle, welches eine Beschäftigung von Arbeitnehmern in solchen öffentlichen Bibliotheken an diesen Tagen als erforderlich erscheinen lässt. Die im ursprünglichen Gesetzgebungsverfahren befragten Sachverständigen – mit Ausnahme der Antragstellerin – waren einhellig der Auffassung, dass gerade die Sonn- und Feiertagsöffnungen der öffentlichen Bibliotheken, die ihre gesetzlich in § 47 und § 48 Absätze 4 bis 6 des Kulturgesetzbuchs NRW beschriebenen kulturellen Funktionen erfüllen, für die (gemeinsame) Nutzung an Ort und Stelle einen erheblichen Besucherstrom aus verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen anziehen. Dabei waren auch Erfahrungen mit sonntags geöffneten Bibliotheken ausgewertet worden.
Diese Einschätzung des Verordnungsgebers ist schlüssig und vertretbar, weil der Kreis der von der angegriffenen Regelung erfassten öffentlichen Bibliotheken gerade auf solche Bibliotheken beschränkt ist, die die beschriebenen Funktionen in einem so nennenswerten Umfang anbieten, dass wegen der deswegen dort möglichen Erfüllung des zu erwartenden Nutzungsbedürfnisses an Ort und Stelle eine Öffnung an Sonn- und Feiertagen gerechtfertigt erscheint. Die Einschätzung des Verordnungsgebers über die Erforderlichkeit der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen ist gerichtlich nur eingeschränkt auf ihre Schlüssigkeit und Vertretbarkeit überprüfbar; insbesondere darf das Gericht keine eigene Einschätzung vornehmen.
Der Senat hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage zugelassen, ob für die nachträgliche Einbeziehung einer inhaltlich unteilbar geänderten Fassung einer Norm in ein Normenkontrollverfahren die einjährige Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu beachten ist.
Aktenzeichen: 4 D 94/20.NE