Genügt das bei der Conterganstiftung geführte Verfahren auf Bewilligung von Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz nicht den gesetzlichen Anforderungen, kann die Stiftung im Einzelfall zu einer erneuten Entscheidung über den Antrag verpflichtet werden. Das hat das Oberverwaltungsgericht mit seinem heute verkündeten Urteil entschieden.
Der im Jahr 1961 geborene Kläger beantragte im Jahr 2011 die Festsetzung von Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz wegen mehrerer Körperschäden. Er machte geltend, seine Mutter habe während ihrer Schwangerschaft mit ihm wegen Schlafstörungen das Mittel Contergan eingenommen. Die Conterganstiftung lehnte den Antrag des Klägers ab und wies den dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers zurück. Sie stützte sich dabei auf die Einschätzung einzelner Mitglieder der bei ihr eingerichteten Medizinischen Kommission, wonach die Schädigungen des Klägers nicht typisch für einen Thalidomidschaden (bzw. einen Conterganschaden) seien. Das Verwaltungsgericht Köln hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, die nun teilweise Erfolg hatte.
Zur Begründung seines Urteils hat der 16. Senat des Oberverwaltungsgerichts ausgeführt: Nach dem Conterganstiftungsgesetz besteht ein Anspruch auf die Gewährung von Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, (wie etwa des Mittels Contergan) durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können. Diese Voraussetzungen liegen für einen Teil der geltend gemachten Schädigungen schon deshalb nicht vor, weil diese nicht auf vor der Geburt entstandenen oder angelegten Fehlbildungen beruhen. Hinsichtlich der weiteren Schädigungen konnte der Senat auch unter Berücksichtigung des herabgesetzten Beweismaßstabs nicht abschließend feststellen, ob diese Schädigungen mit der Thalidomideinnahme der Mutter während der Schwangerschaft mit dem Kläger in Verbindung gebracht werden können. Der Senat hatte diesbezüglich auch kein bzw. keine Sachverständigengutachten zur weiteren Aufklärung einzuholen, weil der Gesetzgeber insoweit ein besonderes gesetzliches Verfahren vorgesehen hat, was vorliegend nicht den darin geregelten Anforderungen entsprechend durchgeführt worden ist. In einer solchen Fallkonstellation kann das Gericht ausnahmsweise von der Herstellung der Spruchreife absehen. Denn das Conterganstiftungsgesetz sieht vor, dass eine aus medizinischen Sachverständigen verschiedener Fachbereiche sowie einem Vorsitzenden mit der Befähigung zum Richteramt bei der Conterganstiftung eingerichtete Kommission, die sog. Medizinische Kommission, darüber entscheidet, ob ein Schadensfall nach dem Gesetz vorliegt, und diesen bejahendenfalls bewertet. Auf der Grundlage dieser Entscheidung setzt der Vorstand der Conterganstiftung die Leistungen fest. Dieses Verfahren wurde im Fall des Klägers nicht eingehalten. Es wurde keine Entscheidung der Kommission als Gremium eingeholt, sondern nur ein Teil ihrer Mitglieder (8 von 22) mit dem Fall befasst. Aus dieser Befassung, die sich im Wesentlichen auf die Einholung medizinischer Stellungnahmen beschränkte, war zudem eine Entscheidungsfindung nicht nachzuvollziehen. Unter diesen Umständen hat der Senat die Beklagte verpflichtet, über den Antrag insoweit erneut zu entscheiden.
Der Senat hat die Revision zugelassen.
Aktenzeichen: 16 A 1884/22 (I. Instanz: VG Köln 7 K 2730/17)
(c) OVG NRW, 23.11.2023