Der 1. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Urteil vom 10. Juni 2024 das Regionale Raumordnungsprogramm 2020 (RROP 2020) des Landkreises Rotenburg (Wümme) teilweise für unwirksam erklärt (Az.: 1 KN 90/21).
Die Antragsteller sind Eigentümer einer im Jahr 2015 planfestgestellten Deponie der Klasse I zur Ablagerung nicht gefährlicher mineralischer Abfälle, üblicherweise von Bauschutt, im „Haaßeler Bruch“. Das nach dem Urteil des 7. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. Juli 2017 (Az.: 7 KS 7/15, Pressemitteilung vom 4.7.2017) erforderliche Planergänzungsverfahren für die Errichtung und den Betrieb der Deponie steht kurz vor dem Abschluss.
Mit ihrem Normenkontrollantrag wandten sich die Antragsteller gegen die Festlegung von Teilen der Deponiefläche als Vorranggebiet Natur und Landschaft sowie als Vorranggebiet Biotopverbund. Diese Gebiete sind nach dem RROP 2020 vor störenden Einflüssen und Nutzungen zu schützen (Ziffer 3.1.2 Abs. 04 Satz 2). Zwar sieht das RROP hinsichtlich dieser Zielvorgabe eine Ausnahmeregelung zugunsten der Deponieplanung vor (vgl. Ziffer 3.1.2 Abs. 06). Diese ist nach Auffassung der Antragsteller jedoch zu eng. Sie hindere sie, erforderliche Anpassungen im Planergänzungsverfahren bzw. während des laufenden Betriebs an sich ändernde rechtliche Vorgaben vornehmen zu können.
Der 1. Senat ist der Argumentation der Antragsteller gefolgt. Die Festlegungen beruhten auf einer fehlerhaften Abwägung, da der Landkreis Rotenburg (Wümme) die dem RROP 2020 zeitlich vorangehende Deponieplanung nicht hinreichend berücksichtigt habe. Zudem habe der Landkreis Rotenburg (Wümme) durch eigenes Verhalten (Verkauf von Teilflächen zur Errichtung einer Deponie, Zielabweichungsbescheid hinsichtlich bereits nach dem RROP 2005 vergleichbarer Zielvorgaben) bei den Antragstellern ein Vertrauen auf die Umsetzbarkeit der vorhandenen Deponieplanung einschließlich erforderlicher Anpassungen hervorgerufen. Um dieses Vertrauen zu überwinden, bedürfe es sehr guter Sachgründe (z.B. neuer naturschutzfachlicher Erkenntnisse); die bloße politische Neubewertung reiche dagegen nicht aus. Aus ähnlichen Gründen hatte bereits der 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts die Verordnung über das Naturschutzgebiet „Haaßeler Bruch“ teilweise mit Urteil vom 18. April 2024 für unwirksam erklärt (Az.: 4 KN 262/20, Pressemitteilung vom 25.4.2024).
Auch die von den Antragstellern ebenfalls angegriffenen Zielvorgaben zu Deponiekapazitäten der Klasse I (Ziffer 4.3 Abs. 02 Sätze 1 und 3), die auf eine Neuschaffung von Deponiekapazitäten in Kooperation mit den Nachbarlandkreisen setzen und ohne plausible Begründung auf eine Einbeziehung der geplanten Deponie der Antragsteller verzichten, hat der Senat für unwirksam erklärt. Diese widersprächen sowohl dem Landesraumordnungsprogramm, das bei der Abfallentsorgung das Prinzip der Nähe vorgebe (Ziff. 4.3 Abs. 03 LROP 2017), als auch dem Abfallwirtschaftsplan Niedersachsen, der u.a. für das Gebiet des Landkreis Rotenburg (Wümme) eine erhebliche Lücke bei den Deponiekapazitäten der Klasse I feststellt. In diesem Zusammenhang habe der Landkreis Rotenburg (Wümme) übersehen, dass er im Hinblick auf die Schaffung von Entsorgungsmöglichkeiten sämtliche Abfälle in den Blick zu nehmen habe und nicht nur diejenigen, für die er primär entsorgungspflichtig sei. Es liege in seiner Verantwortung, für die zeitnahe Sicherstellung ausreichender Deponiekapazitäten zu sorgen. Das erfordere, die im Wesentlichen rechtlich gesicherte und bei dem gebotenen kooperativen Verhalten des Landkreises zügig zu realisierende Deponie der Antragsteller in die Betrachtung einzubeziehen.
Die Revision hat der Senat nicht zugelassen. Dagegen kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde eingelegt werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
(c) OVG Niedersachsen, 11.06.2024