Mit Urteil vom heutigen Tag hat der 4. Zivilsenat auf die Berufung des Bundes der Freien Waldorfschulen e.V. das im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 9. März 2023 (Aktenzeichen 11 O 46/23) teilweise abgeändert und der Zeit Online GmbH mehrere Äußerungen in dem am 23.11.2022 auf „ZEIT ONLINE“ veröffentlichten Artikel „Esoterik an Waldorfschulen: Falscher Filz“ untersagt.
Sachverhalt und Entscheidung des Landgerichts
Mit seiner Klage im einstweiligen Verfügungsverfahren verlangte der klagende Dachverband der Freien Waldorfschulen von der Zeit Online GmbH und deren Chefredakteur die Unterlassung mehrerer Äußerungen in dem am 23.11.2022 auf „ZEIT ONLINE“ veröffentlichten Artikel „Esoterik an Waldorfschulen: Falscher Filz“. Bei den angegriffenen Äußerungen handele es sich um unwahre Tatsachenbehauptungen oder unwahre Schlussfolgerungen, die den Kläger in seinen Rechten verletzten.
Die Beklagten haben vor dem Landgericht einen Unterlassungsanspruch im Zusammenhang mit Äußerungen zu einem „ausgewachsenen Gewaltproblem“ der „als so sanft geltenden Waldorfpädagogik“ anerkannt und wurden insoweit auf das Teil-Anerkenntnis verurteilt. Soweit die Beklagten die Klage nicht anerkannt haben, hat das Landgericht den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Denn der Kläger sei von den angegriffenen Äußerungen nicht unmittelbar betroffen. Keine der angegriffenen Äußerungen befasse sich unmittelbar mit dem Kläger und seiner Tätigkeit als Dachverband der Waldorfschulen. Der Kläger könne auch nicht für seine Mitglieder Unterlassungsansprüche geltend machen.
Entscheidung des 4. Zivilsenats
Soweit das Landgericht die Unterlassungsklage abgewiesen hatte, verfolgte der Dachverband der Freien Waldorfschulen mit seiner Berufung die Unterlassung der angegriffenen Äußerungen gegen die Zeit Online GmbH weiter. Mit Urteil vom heutigen Tag hat der 4. Zivilsenat das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und der Zeit Online GmbH zusätzlich zu den in erster Instanz bereits als unzulässig anerkannten die folgenden Äußerungen untersagt:
- „Daraus folgt dann, wie das Kind in der weiteren pädagogischen Arbeit behandelt wird: (…) mit welchen Farben es malen darf (…).“ und/oder„Dieser Anspruch der (…) karmischen Einordnung ist der Grund dafür, dass Waldorfeinrichtungen oft extrem komplizierte und detaillierte Auswahlverfahren haben.“ und/oder„Daraus wird dann per spiritueller Geisteslehre abgeleitet, was dieses Kind so an Erfahrungen aus früheren Leben mitbringt und welche Erfahrungen es braucht, um sich aus seiner momentanen Entwicklungsstufe zu befreien und der geistigen Welt näherzukommen.“ und/oder„Darin wird empfohlen, mit Kindern über Fehlverhalten nicht zu sprechen, sondern dieses durch eine „kurze, kräftige Ohrfeige“ abzustellen: „Und so ist der Schmerz in der Tat als der große Gewissenserwecker der strenge und harte, aber echte und treue Freund des Menschen“, schreibt der Waldorftheoretiker Erich Gabert in „Die Strafe in der Selbsterziehung und in der Erziehung des Kindes.“ und/oder„Der anthroposophiekritische Blogger Oliver Rautenberg, der sich mit vielen Hundert ehemaligen Waldorfschülern über deren Erfahrungen ausgetauscht hat, schreibt dazu: „Es ist davon auszugehen, dass das Buch vielen noch immer als Nachschlagewerk dient“. und/oder„Ein weiteres Problem ist, dass in vielen Waldorfeinrichtungen handfeste medizinische Diagnosen nicht anerkannt und stattdessen spirituelle Gründe für gesundheitliche Probleme gesucht werden. So kommt es, dass Kindern mit (…) ADHS jahrelang eine fachgerechte therapeutische Begleitung verwehrt wird, Kinder mit Autismus oft jahrelang zur Heileurythmie verdonnert werden, statt eine fundierte Diagnostik zu bekommen, und Kindern mit Asthma, Neurodermitis oder Allergien Probleme mit ihrem Karma attestiert werden.“ und/oder„Die Waldorfpädagogik, die in Schulen und Kindergärten Anwendung findet, geht bis heute davon aus, dass Kinder bis zum Alter von 14 Jahren nicht selbst denken können und sollten, sondern von einer charismatischen Lehrperson blind vertrauend geführt werden sollten“
Der Kläger sei durch die Aussagen im äußerungsrechtlichen Sinn betroffen. Denn diese bezögen sich auf die Waldorfpädagogik allgemein und damit nicht nur auf einzelne, sondern auf alle Waldorfschulen, die „unter dem Dach“ des Klägers arbeiteten. Damit sei unmittelbar auch die „Tätigkeit“ des Klägers betroffen, die satzungsgemäß in „der Förderung und Entwicklung der Pädagogik Rudolf Steiners (Waldorfpädagogik) auf wissenschaftlicher Grundlage, der Forschung auf diesem Gebiet, der Durchführung wissenschaftlich-kultureller Veranstaltungen und der Ausbildung von Lehrkräften nach wissenschaftlichen und künstlerischen Grundsätzen“ bestehe.
Zwar müsse sich der Kläger als Dachverband der Freien Waldorfschulen Kritik an den von ihnen vertretenen pädagogischen Ansätzen gefallen lassen. Etwa die vom Kläger angegriffene Äußerung, wonach für Kinder, denen ein schlechtes Karma oder eine problematische Aura attestiert werde, ein Leidensweg beginnen könne, sei als Werturteil zulässig.
Den berichtenden Medien obliege aber eine erweiterte Darlegungslast, Belege für die behaupteten und in das Persönlichkeitsrecht des Vereins eingreifenden Tatsachen anzugeben. Mangels zureichender Belege seien daher mehrere Passagen der Berichterstattung unzulässig.
Die von der Beklagten vorgelegten Berichte zum Beleg einer karmischen Einordnung gerade im Rahmen des Auswahlverfahrens böten keine zureichende Grundlage für die dazu getroffenen Tatsachenbehauptungen. Dass allgemein die Ermittlung karmischer Erfahrungen in der Pädagogik Rudolf Steiners eine Rolle spiele, genüge insoweit nicht. Die Aussage, einem ADHS-Patienten sei jahrelang eine fachgerechte Begleitung verwehrt worden, habe die Beklagte gleichfalls nicht zureichend glaubhaft gemacht. Dasselbe gelte für die weiteren Erkrankungen Autismus, Asthma, Neurodermitis und Allergien. Auch belegten die von der Beklagten genannten Quellen die Tatsachenbehauptung nicht, die Waldorfpädagogik gehe bis heute davon aus, dass Kinder bis zum Alter von 14 Jahren nicht selbst denken könnten und sollten.
Soweit in Passagen der Berichterstattung der Eindruck erweckt werde, dass Strafen oder gar körperliche Strafen durch die Waldorfpädagogik befürwortet würden, sei ein Zitat aus einem Buch des Waldorftheoretikers Erich Gabert durch Weglassungen in sein Gegenteil verkehrt worden. Es handle sich danach um ein falsches Zitat, mithin sei die Tatsachenbehauptung erweislich unwahr und deshalb unzulässig.
Eine Revision gegen das im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene Urteil ist nicht eröffnet. Das Urteil ist damit rechtskräftig.
Aktenzeichen
OLG Stuttgart: 4 U 46/23
LG Stuttgart: 11 O 15/23
(c) OLG Stuttgart, 07.02.2024