In dem Musterfeststellungsverfahren zur Geltendmachung von Inkassokosten durch die Otto-Tochter EOS Investment GmbH hat das Hanseatische Oberlandesgericht heute das Urteil verkündet und der Klage der Verbraucherzentrale stattgegeben. In den der Klage zugrunde liegenden Fällen, in denen von Verbrauchern für die Beauftragung der EOS Deutscher Inkasso-Dienst GmbH (EOS DID) eine Inkassovergütung geltend gemacht wurde, stellen diese Kosten keinen ersatzfähigen Verzugsschaden der Beklagten dar. Diese 15 Verbraucher müssen deshalb die von ihnen verlangten Inkassokosten nicht zahlen und können bereits geleistete Zahlungen gegebenenfalls zurückfordern. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache hat das Oberlandesgericht die Revision zugelassen, über die – wenn die Beklagte von dieser Möglichkeit Gebrauch macht – der Bundesgerichtshof zu entscheiden hätte.
Das heutige Urteil betrifft unmittelbar die in der Musterfeststellungsklage benannten 15 Einzelfälle, in denen unbezahlte Forderungen gegen Verbraucher von Unternehmen der Otto Group oder von konzernfremden Unternehmen an die Beklagte übertragen und im Auftrag der Beklagten durch die EOS DID in den Jahren 2020/21 geltend gemacht wurden. Für die Tätigkeit der EOS DID als Inkassodienstleister ließ die Beklagte gegenüber den Verbrauchern jeweils die Erstattung von Inkassokosten in einer an die Vergütung für Rechtsanwälte angelehnten Höhe geltend machen. In allen Fällen waren die Verbraucher zwar mit ihren Zahlungen in Verzug und deshalb grundsätzlich zum Ersatz von Rechtsverfolgungskosten verpflichtet, allerdings gilt dies nur, wenn diese Kosten beim Gläubiger im konkreten Fall auch tatsächlich anfallen und damit einen echten Vermögensnachteil darstellen. Das ist nach Auffassung des Gerichts hier jedoch wegen der zwischen der Beklagten als Forderungsgläubigerin und der EOS DID als Inkassodienstleisterin vereinbarten Vergütungsstruktur nicht der Fall.
Die Inkassovergütung falle dem Urteil zufolge faktisch nur an, wenn sie von dem Verbraucher erfolgreich eingezogen werden könne. Gegenüber der Beklagten als Auftraggeberin des Inkassos sei die Vergütung dagegen zunächst gestundet und müsse auch bei Erfolglosigkeit der Einziehung nicht von der Beklagten gezahlt werden. Der (vermeintliche) Ersatzanspruch werde an den beauftragten Inkassodienstleister abgetreten, dieser nehme die Abtretung an Erfüllungs statt – also anstelle der mit dem Auftraggeber vereinbarten Vergütung – an, so dass der Auftraggeber die Inkassokosten faktisch nie selbst tragen müsse. Unter diesen Umständen handele es sich um Aufwendungen, die der Gläubiger tatsächlich so nicht habe, und damit um eine lediglich fiktive Schadensposition, für die er keinen Ersatz beanspruchen könne.
Über die der Klage zugrunde liegenden Einzelfälle hinaus wirkt das Urteil auch für Verbraucher, die sich in das beim Bundesamt für Justiz geführte Klageregister haben eintragen lassen, soweit deren Fälle gleich gelagert sind. Für das hiesige Musterfeststellungsverfahren hatten vor der mündlichen Verhandlung insgesamt rund 680 Verbraucherinnen und Verbraucher eigene Ansprüche oder Rechtsverhältnisse zur Eintragung in das Klageregister angemeldet. Die Anmeldungen betreffen zum einen die Feststellung, dass die Kosten bestimmter Inkassovorgänge der Beklagten nicht geschuldet werden, zum anderen wurden Ansprüche auf Rückerstattung bereits gezahlter Inkassokosten angemeldet.
Das Verfahren betrifft die erste Musterfeststellungsklage, die seit Einführung am 1. November 2018 am Hanseatischen Oberlandesgericht anhängig gemacht wurde. Die Musterfeststellungsklage ermöglicht es, Rechtsfragen, die für eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen bedeutsam sind, in einem Musterverfahren zu klären. Sie soll ausgleichen, dass es für Verbraucher oft zu aufwändig ist, Schadensersatz- oder Erstattungsansprüche individuell zu verfolgen, wenn der erlittene Nachteil im Einzelfall gering ist. Zu diesem Zweck können qualifizierte Einrichtungen generell Rechtsfragen klären lassen, von denen bestimmte Ansprüche oder Rechtsverhältnisse zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer abhängen. Das Urteilim Musterfeststellungsverfahren ist dann bindend für Verbraucher, die eigene Ansprüche oder Rechtsverhältnisse zur Eintragung in das beim Bundesamt für Justiz geführte Klageregister angemeldet haben. Die Durchsetzung einzelner Ansprüche ist allerdings ggf. individuellen Folgeprozessen der Verbraucher vorbehalten.
(c) OLG Hamburg, 15.06.23