Der 5. Strafsenat (Staatsschutzsenat) des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) hat heute die 33-jährige Laura H. der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit der Zuwiderhandlung gegen ein Bereitstellungsverbot (§ 18 Abs. 1 AWG) sowie in einem weiteren Fall in Tateinheit mit der Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung dieser Gesamtfreiheitsstrafe hat der Senat zur Bewährung ausgesetzt.
Im Rahmen der heutigen mündlichen Urteilsbegründung erläuterte der Senat, dass er aufgrund der an zehn Tagen durchgeführten Hauptverhandlung Folgendes festgestellt habe:
Die Angeklagte, die im Alter von 17 Jahren zum Islam konvertiert sei und sich anschließend einer radikal-islamistischen bzw. salafistischen Glaubenseinstellung zugewandt habe, habe im Frühjahr 2011 nach islamischem Ritus Ahmed D. geheiratet. Dieser habe zu diesem Zeitpunkt wegen Kontakten zur terroristischen Vereinigung „Al-Shabab“ im Visier der britischen Behörden gestanden. Wegen eines hieraus folgenden Einreiseverbots nach England sei das Paar nach Ägypten gezogen, wo Ahmed D. im Zuge des Sturzes der Regierung Mursis festgenommen worden sei. Unmittelbar nach seiner Entlassung aus ägyptischer Haft sei Ahmed D. in der Türkei aufgrund einer Interpol-Fahndung der USA wegen Terrorismusverdachts festgenommen. Nachdem die Auslieferung in die USA abgelehnt worden sei, sei er in Abschiebehaft gekommen und im Rahmen eines Gefangenenaustauschs im Herbst 2014 nach Syrien gelangt. Dort habe er sich der terroristischen Vereinigung „IS“ angeschlossen und sei von der Vereinigung unter anderem als Kämpfer und später für Verwaltungstätigkeiten eingesetzt worden.
Die Angeklagte habe im Frühjahr 2016 den Entschluss gefasst, nach Syrien zu reisen, um sich dort ebenfalls der terroristischen Vereinigung „IS“ anzuschließen und dort mit den beiden gemeinsamen, 2012 und 2013 geborenen Söhnen und Ahmed D. ein Leben nach den Regeln des „IS-Kalifats“ zu führen. In Umsetzung dieses Entschlusses habe sie sich im Mai 2016 mit ihren beiden Söhnen und mithilfe von Schleusern auf die Reise in das „IS“-Herrschaftsgebiet gemacht, wo sie Mitte Juli 2016 angekommen sei. Von Juli 2016 bis April 2017 habe sie mit Ahmed D. und den gemeinsamen Söhnen in Raqqa gelebt. Die Miete der gemeinsamen Wohnung sei teilweise vom „IS“ getragen worden. Zudem habe die Familie finanzielle Zuwendungen der Vereinigung erhalten. Die Angeklagte habe sich in das Vereinigungsleben eingegliedert, an einer Informationsveranstaltung des Frauenbataillons „Katiba Nusaiba“ sowie einem „Aqida“-Kurs (Glaubenskurs) teilgenommen und erfolgreich die Prüfung absolviert. Zudem sei die Angeklagte unternehmerisch tätig geworden, indem sie mit Genehmigung und nach den Vorgaben der Vereinigung selbst hergestellte Kuchen und Desserts in „IS“-Märkten verkauft habe. Außerdem habe sie für Ahmed D. den Haushalt geführt und ihm so ermöglicht, sich auf seine Tätigkeit für den „IS“ zu konzentrieren.
Im Februar und März 2017 sei sie maßgeblich an der Transaktion von 27.220 € aus Deutschland in das Herrschaftsgebiet des „IS“ beteiligt gewesen. Einen Betrag in Höhe von 24.620 € habe die Angeklagte an eine Freundin, ein weiteres „IS“-Mitglied und späteres Mitglied der „Katiba Nusaiba“ weitergeleitet, während ein Betrag in Höhe von 2.600 € für die Angeklagte selbst bestimmt gewesen sei. Dieses Geld habe die Angeklagte in der Folge zur Deckung ihres Lebensunterhalts während ihres Verbleibs im „IS“-Gebiet genutzt.
Die immer gefährlicher werdende Lage in Raqqa habe die Angeklagte veranlasst, nach Hama zu gehen. Von dort habe sie gehofft, mittels eines Schleusers das „IS“-Gebiet verlassen zu können. Nachdem Ahmed D. im Mai 2017 bei einem Bombenangriff getötet worden sei, sei die Angeklagte jedoch weiter im „IS“-Gebiet verblieben. Sie habe ein weiteres „IS“-Mitglied namens Atiba Joel G. geheiratet. In der Folgezeit habe sich die Angeklagte mit ihren beiden Söhnen und der im August 2017 geborenen Tochter ständig auf der Flucht vor dem Frontverlauf entlang der Rückzugsroute des „IS“ Richtung Baghuz befunden. Ende 2018 sei ihr schließlich die Flucht aus dem „IS“-Herrschaftsgebiet gelungen und sie habe sich kurdischen Sicherheitskräften ergeben und bis zu ihrer Rückführung nach Deutschland im November 2019 in dem von der autonomen kurdischen Selbstverwaltung geführten Flüchtlingslager al-Hawl nahe der nordsyrisch-irakischen Grenze gelebt.
Während ihres Aufenthalts in Syrien seien ihre beiden Söhne zunächst jedenfalls im Februar 2017 Luftangriffen auf Raqqa ausgesetzt gewesen. In Hama seien sie in unmittelbarer Nähe gewesen, als ihr Vater bei einem Bombenangriff getötet worden sei. Bis zu ihrem Aufgriff durch die kurdischen Sicherheitskräfte seien sie ständig auf der Flucht vor dem Frontverlauf und den Schrecken und Gefahren des Krieges ausgesetzt gewesen.
Trotz des Gewichts der Taten sei bei der Strafzumessung ganz erheblich zu Gunsten der Angeklagten ihr umfassendes und von Reue getragenes Geständnis zu berücksichtigen gewesen. Erheblich strafmildernd wirke sich zudem aus, dass die Taten bereits viereinhalb Jahre zurücklägen, die Angeklagte sich bereits im Lager al-Hawl sehr deutlich vom „IS“ und dessen salafistischen Ideologie unter Gefährdung ihres eigenen Lebens losgesagt, mit deutschen und ausländischen Behörden kooperiert und sich seit ihrer Rückführung nach Deutschland vor dreieinhalb Jahren ohne Beanstandungen bewährt und mit ihren Kindern wieder in das gesellschaftliche Leben integriert habe.
Die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe sei erfolgt, weil die nicht vorbestrafte Angeklagte sich seit Begehung der Taten straffrei geführt habe und ihr während des fast einjährigen Gewahrsams im Lager al-Hawl unter schwierigsten Lebensbedingungen das von ihr begangene Unrecht bereits – jedenfalls teilweise – verdeutlicht worden sei. Hinzu komme, dass die Angeklagte nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik eine durchweg positive Entwicklung genommen habe.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Angeklagte hat Rechtsmittelverzicht erklärt. Der Generalbundesanwalt kann binnen einer Woche gegen das Urteil Revision einlegen, über die der Bundesgerichtshof zu entscheiden hätte.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 17.7.2023, Az. 5-2 StE 7/22 – 7 -2/22
(c) OLG Frankfurt am Main, 17.07.2023