Das Familiengericht darf die Unterbringung des Kindes im Heim nicht allein deshalb anordnen, da eine betreuende Mutter ihr Kind dahin beeinflusst, dass es den nicht betreuenden Vater nicht mehr sehen möchte und es deswegen zu einem Kontaktabbruch kommt. Das hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden. Die von dem Kind empfundene Ablehnung des nicht betreuenden Elternteils kann – wenn überhaupt – durch eine Heimunterbringung nicht ohne gravierende Verletzung des Grundrechts des Kindes auf freie Persönlichkeitsentwicklung überwunden werden. Die negativen Folgen dieser Grundrechtsverletzung überwiegen nach Auffassung des 7. Familiensenats das berechtigte Umgangsinteresse des Vaters. Eine Maßnahme, mit der ein Kind über eine Heimunterbringung dazu gebracht werden soll, gegen seinen Willen in den Haushalt desjenigen Elternteiles zu wechseln, zu dem es aktuell jeden Kontakt ablehnt, ist daher nicht rechtmäßig.
In dem Verfahren ging es um ein Mädchen, das ausschließlich im Haushalt seiner Mutter aufgewachsen war. Nach langjährigen regelmäßigen und ausgedehnten Umgangskontakten zum getrenntlebenden Vater hatte das Kind im Alter von sieben Jahren plötzlich Umgänge verweigert. Die Mutter war davon ausgegangen, dass es zwischen Vater und Tochter zu sexuell getönten Vorfällen gekommen war. Sie hatte das Mädchen seither in seiner Umgangsverweigerung bestärkt. Ein Sachverständigengutachten hatte ergeben, dass kein für eine strafrechtliche Verurteilung hinreichender Tatverdacht eines Kindesmissbrauchs vorlag. Es sprach daher, so der Senat, einiges dafür, dass die Ablehnung des Mädchens maßgeblich auf eine Beeinflussung durch die Mutter zurückging.
Der Vater des Mädchens hatte nach jahrelangem Streit beantragt, ihm die elterliche Sorge zu übertragen. Da es wegen der absoluten Verweigerung des Mädchens nicht möglich schien, das Kind in seinen Haushalt zu geben, hatte das Amtsgericht das zu diesem Zeitpunkt 9-jährige Kind in einem Eilverfahren aus dem Haushalt der Mutter genommen und in ein Kinderheim gegeben. Dabei kam das Amtsgericht den Empfehlungen eines Sachverständigen nach, denen auch Jugendamt und der Verfahrensbeistand des Kindes gefolgt waren. Während der Heimunterbringung sollte sich – fern der Beeinflussung durch die Mutter, mit der keinerlei Umgang stattfinden durfte – das Kind dahin stabilisieren, dass es die unerklärliche Kontaktverweigerung zum Vater aufgeben würde. So sollte perspektivisch die gewünschte Übersiedlung des Kindes in den Haushalt des Vaters ermöglicht werden.
Diese Vorgehensweise ist nicht rechtmäßig, entschied der zuständige 7. Familiensenat. Er hatte umgehend nach Eingang der Beschwerde der Mutter gegen den Sorgerechtsbeschluss des Amtsgerichts die Rückführung des Kindes in den Haushalt der Mutter veranlasst. Die Wünsche und Vorstellungen des Kindes völlig zu ignorieren stelle eine nicht zu vertretende Grundrechtsverletzung dar. Eine besondere Rolle spielte für die Entscheidung, dass es keine Anhaltspunkte für eine unzulängliche Versorgung des Kindes im Haushalt der Mutter gab. Das Mädchen sei eine exzellente Grundschülerin mit altersgerechten Kontakten zu Gleichaltrigen und guten sozialen Kompetenzen. Unter solchen Umständen, so das OLG Frankfurt, könne der entgegenstehende Wille eines neun Jahre alten Mädchens nicht übergangen werden. Die nachvollziehbare Verzweiflung des umgangsberechtigten Vaters habe nach Auffassung des Senats dazu beigetragen, dass Jugendamt, Sachverständiger und Verfahrensbeistand eine solche den Willen des Kindes brechende Maßnahme befürwortet hätten. Dabei sei jedoch nicht hinreichend beachtet worden, dass der Kontaktabbruch zur hauptbetreuenden Mutter für das Kind unerträglich gewesen sei, während das Kind unter dem fehlenden Umgang zum Vater in keiner Weise gelitten, sondern diesen aktiv gewünscht habe. Da zudem äußerst fraglich schiene, ob das gewünschte Ziel eines Wechsels in den Haushalt des Vaters durch die Heimunterbringung überhaupt erreicht werden könne, sei die Maßnahme im Übrigen völlig ungeeignet.
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 3.4.2024, Az. 7 UF 46/23
(c) OLG Frankfurt am Main, 06.05.2024