„Das OLG blickt auf eine eindrucksvolle Bilanz des vergangenen Jahres sowie des ersten Halbjahres 2024: Konstant hohe Erledigungszahlen in allen drei Bereichen der Rechtsprechung, die punktgenaue Fertigstellung der Leichtbauhalle in Sossenheim für das Staatsschutzverfahren gegen neun Angeklagte, innovative Methoden zur Nachwuchsgewinnung im nichtrichterlichen Bereich, die vollständige Einführung der E-Akte und der Umzug zahlreicher Verwaltungsabteilungen in eine Außenstelle in Niederrad zeigen exemplarisch das breite Spektrum der Herausforderungen und die hohe Belastbarkeit und Motivation aller am OLG Beschäftigten“, leitete Präsident Dr. Seitz die diesjährige Jahresbilanzpressekonferenz ein.

Hinsichtlich der personellen Rahmenbedingungen hat sich die Situation im richterlichen Bereich auch 2024 weiter verbessert. Am OLG arbeiten gegenwärtig 158 Richterinnen und Richter sowie 21 Erprobungsrichterinnen und Richter (2023: 157 Richterinnen und Richter sowie 16 Erprobungsrichterinnen und Richter).

Ausbildung und Gewinnung von Personal im nichtrichterlichen Dienst stellen dagegen weiterhin große Herausforderungen für das OLG dar. Zur Nachwuchsgewinnung ist das OLG inzwischen u.a. auf verschiedenen Social-Media-Kanälen (Instagram, X, Youtube, TikTok und Spotify), in Schüler-Apps (wie etwa „notyz“) und auf Ausbildungs- und Studienmessen sowie mit Internetwerbeanzeigen präsent. Zudem wurden u.a. 10 „Zukunftssäulen“ mit Bildschirmwerbung in Schulen im Rhein-Main-Gebiet errichtet, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des OLG halten Vorträge in Schulen und arbeiten u.a. mit Schülermagazinen zusammen. Nicht zuletzt soll der Bauzaun für den Umbau des Justizzentrums mit einem großflächigen Werbebanner versehen werden. Mithilfe dieser Bemühungen plant das OLG, trotz der angespannten Arbeitsmarktsituation die Zahl der Einstellung von neuen Auszubildenden im Tarifbereich 2024 mit 148 Auszubildenden noch einmal gegenüber 2023 (139 Auszubildende) zu erhöhen. 2023 haben 123 Auszubildende ihr Ausbildung beendet (voraussichtlich 2024: 127). Im mittleren und gehobenen Dienst sollen ebenfalls im Jahr 2024 mit 211 Anwärtern (davon 75 Rechtspfleger) die Ausbildungskapazitäten weiter gesteigert werden (2023: 185, davon 62 Rechtspfleger). Dort werden voraussichtlich 141 (davon 68 Rechtspfleger) im Jahr 2024 ihre Ausbildung beenden (gegenüber 135 im Jahr 2023).

Mit 5.436 erledigten Zivilberufungen bewegte sich das OLG im vergangenen Jahr 2023 auf dem hohen Niveau der Vorjahre (2022: 5.684 Verfahren). 2024 dürfte der Wert annähernd stabil bleiben (hochgerechnet 2024: 5.256 Verfahren). Die Eingangszahlen gingen im Jahr 2023 mit 4.805 Zivilberufungen gegenüber dem Vorjahr zurück (2022: 6.274 Verfahren; hochgerechnet 2024: 3.736 Verfahren). Die durchschnittliche Verfahrensdauer nahm 2023 leicht zu (2023: 12,6 Monate, 2022: 12,0 Monate). 

Die Zahl der erledigten strafrechtlichen Revisionen war im Jahr 2023 mit 269 Verfahren ebenfalls gleichbleibend hoch (2022: 262 Verfahren, hochgerechnet 2024: 300 Verfahren). Auch das Niveau der Eingänge lag im Jahr 2023 mit 255 Verfahren ungefähr auf dem des Vorjahres (2022: 269 Verfahren; hochgerechnet 2024: 296 Verfahren). Die durchschnittliche Verfahrensdauer betrug im Jahr 2023 3,4 Monate (2022: 1,9 Monate, hochgerechnet 2024: 2,4 Monate). Die Zahl der Haftprüfungen stieg mit 680 Neueingängen im Jahr 2023 leicht an (2022: 626 Verfahren, hochgerechnet 2024: 572 Verfahren). 

„Im Jahr 2023 lag die durchschnittliche Verfahrensdauer im Bereich der Familiensachen erstmals seit über zehn Jahren mit 5,8 Monaten unter 6 Monaten“, freute sich Vizepräsidentin Dr. Römer. Dieser Wert dürfte auch im Jahr 2024 zu halten sein. Die Zahl der Eingänge blieb mit 1.589 Verfahren im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr konstant (2022: 1.590 Verfahren; hochgerechnet 2024: 1.504 Verfahren). Die Menge der Erledigungen war im Jahr 2023 mit 1.581 Verfahren leicht rückläufig (2022: 1.704 Verfahren; hochgerechnet 2024: 1.556 Verfahren).

Weiterhin beschäftigen das OLG verschiedene Komplexe an Massenverfahren: Dabei ebbt die Welle der Dieselverfahren weiter signifikant ab. Im Jahr 2023 gingen lediglich noch 721 Berufungen im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal ein; hochgerechnet ist im laufenden Jahr 2024 lediglich mit rund 240 Verfahren zu rechnen (Stand 31.5.2024: 100) gegenüber dem absoluten Höchststand mit 2.237 Verfahren im Jahr 2019.

Die Zahl der Verfahren im Zusammenhang mit Verstößen gegen die DSGVO nimmt derzeit dagegen stetig zu. Nach einem ersten Verfahrensschwung im Zusammenhang mit einem behaupteten Datenverstoß von Facebook/Meta in Form des sog. Daten-Scrapings sind inzwischen weitere Vorfälle gegen andere Plattformen (u.a. Deezer, „X“) Gegenstand zahlreicher Berufungsverfahren. Die Kläger behaupten jeweils, dass ihre Daten von Dritten rechtswidrig abgezogen werden konnten. Nachdem im Jahr 2023 allein 99 Verfahren gegen Facebook/Meta eingegangen waren, ist für 2024 hochgerechnet mit rund 250 Verfahren zu rechnen (Stand 31.5.2024: 103 Verfahren). Die streitgegenständlichen Vorfälle betreffen potentiell viele Millionen Geschädigter. Vertreten werden die Kläger derzeit häufig von bereits aus dem sog. Dieselskandal bekannten Rechtsanwaltskanzleien.

Hinzu kommen seit letztem Jahr zahlreiche Berufungsverfahren im Zusammenhang mit der Rückforderung von Wetteinsetzen bei Sport- und Onlineglücksspielen; Ende Juni waren bereits rund 120 Verfahren beim OLG anhängig.

Die Belastung der beiden Staatsschutzsenate liegt erneut auf einem Rekordhoch. Beide Staatsschutzsenate zusammen haben im Jahr 2023 an 164 Tagen Hauptverhandlungen durchgeführt (2022: 130 Sitzungstage, 2021: 95 Sitzungstage); im ersten Halbjahr 2024 waren es bereits 54 Hauptverhandlungstage.

„Im Fokus nationaler und internationaler Berichterstattung liegt dabei gegenwärtig das am 21.5.2024 begonnene Staatsschutzverfahren gegen neun Angeklagte wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer inländischen terroristischen Vereinigung sowie der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens. Es ist uns durch den hochmotivierten Einsatz aller Beteiligten gelungen, binnen weniger Monate für dieses Großverfahren eine Leichtbauhalle mit neuester Ton- und Übertragungstechnik zu planen, zu bauen und in Betrieb zu nehmen. Organisatorisch und logistisch bleibt dieses Verfahren eine große Herausforderung. Allein 40 bis 45 Wachtmeister aus ganz Hessen sind jeden Verhandlungstag vor Ort im Einsatz“, erläuterte Präsident Dr. Seitz. Der Senat hat bereits 12 teilweise bis in den frühen Abend andauernde Hauptverhandlungstermine durchgeführt. Gegenwärtig haben die Angeklagten Gelegenheit, sich zur Person einzulassen. Das Verfahren ist derzeit bis Mitte Januar 2025 terminiert.

Im dritten Jahr – bis voraussichtlich Ende diesen Jahres – verhandelt der 5. Strafsenat das Verfahren gegen den syrischen Arzt Alaa M. wegen des Vorwurfs des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Der Senat hat an bislang 145 Sitzungstagen bereits 41 Zeugen und 45 Sachverständige gehört. Seit dem 12.6.2024 verhandelt der 5. Strafsenat zudem über den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gegen Zuhal A (hier: „IS“). Im Jahr 2024 wurden darüber bereits drei Verfahren beendet: Mit Urteil vom 24.1.2024 wurde Nadja R. rechtskräftig vom 5. Strafsenat nach 14 Verhandlungstagen u.a. wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland – hier dem sog. „IS“ – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Am 22.3.2024 verurteilte der 8. Strafsenat Ali Ö. nach 42 Verhandlungstagen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung in der ausländischen terroristischen Vereinigung „PKK“ zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Schließlich hat der 5. Strafsenat am 13.5.2024 Deniz B. rechtskräftig u.a. wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. 

Anhängig sind gegenwärtig mehrere Zwischenverfahren: Die Bundesanwaltschaft hat die Eröffnung eines selbständigen Einziehungsverfahrens wegen eines nach dem Außenwirtschaftsgesetz strafbaren versuchten Embargo-Verstoßes beantragt. Darüber soll das Kontoguthaben eines russischen Finanzinstituts bei einer Bank in Frankfurt am Main in Höhe von mehr als 720 Millionen Euro eingezogen werden. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat zudem im April 2024 eine Anklage wegen des Verdachts der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor dem Staatsschutzsenat gegen einen 61-Jährigen erhoben. Im Zusammenhang mit diesen Tatvorwürfen – u.a. einer geplanten Entführung des Bundesministers Prof. Dr. Karl Lauterbach – verantworten sich bereits fünf mutmaßliche Rädelsführer und Mitglieder der Vereinigung vor dem Staatsschutzsenat des OLG Koblenz.  Anhängig ist zudem ein Zwischenverfahren gegen Duygu D., dem gemäß Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft mitgliedschaftliche Beteiligung am „IS“ vorgeworfen wird. 

Diese inhaltlichen Herausforderungen treffen mit einem im Umbruch befindlichen Arbeitsumfeld zusammen. Sowohl die konkrete Arbeitsplatzstruktur als auch die Räumlichkeiten selbst befinden sich im Wandel. Die vor knapp einem Jahr noch pilotierte elektronische Akte ist nunmehr vollständig im OLG – mit Ausnahme der Strafsenate – eingeführt worden; dies bezieht sich auch auf die Außenstellen in Kassel und Darmstadt und umfasst alle Verfahren vor den Zivil- und Familiensenaten, dem Senat für Baulandsachen, dem Vergabesenat, dem Wertpapiererwerbs- und -übernahmesenat sowie dem 1. Kartellsenat. Der Strafrechtsbereich ist bislang nicht erfasst. „Nachdem das OLG bis vor drei Tagen hybrid gearbeitet hat und die Papierakte noch führend war, ist seit dem 1.7.2024 die digitale Akte führend. Dies bedeutet im Grundsatz, dass neu eingehende Zivil- und Familienberufungsverfahren ausschließlich digital geführt werden. Bereits anhängige Verfahren werden dagegen weiterhin hybrid bearbeitet. Neben der digitalen Abbildung wird in den Altverfahren eine Papierakte geführt, die jeweils aktuell mit Ausdrucken der digitalen Schriftstücke paginiert wird“, erläuterte Präsident Dr. Seitz die Situation. Neben den technischen Herausforderungen der Umstellung liegt ein weiterer Schwerpunkt in der gesundheitlichen Betreuung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit der E-Akte ist die Transformation der Arbeitsplätze in reine Bildschirmarbeitsplätze verbunden. Etwaige Auswirkungen auf die Gesundheit werden gegenwärtig erhoben und Ausgleichsmaßnahmen angeboten und geprüft.

Dazu befindet sich das OLG nunmehr mitten in der Umbauphase im Zusammenhang mit dem Gesamtbauprojekt des Gerichtsstandortes Konstabler Wache. „Seit Januar 2024 sind fünf Verwaltungsabteilungen des OLG mit insgesamt 74 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in ein Bürogebäude in Niederrad umgezogen. Das im Gebäude Z untergebrachte Archiv des OLG wurde zwischenzeitlich in das Haupthaus verlagert. Nunmehr steht der Abriss des an das OLG angrenzenden Gebäudes Z unmittelbar bevor“, erläuterte Vizepräsidentin Dr. Römer, „ab dem 8.7.2024 wird dort keine Nutzung mehr möglich sein“. Der Abbruch des Gebäudes Z wird nach einer Entkernung unter Beseitigung aller nicht mineralischen Baustoffe maschinell mittels baggergeführter Zangen und Greifer kontrolliert von oben nach unten erfolgen. Es wird mit ca. 30 LKWs pro Tag während der Abrissphase (einschließlich des Gebäudes C) gerechnet. Das neue Gebäude Z soll bis Mitte 2027 errichtet werden. Es entstehen 2.500 qm Nutzfläche verteilt über vier Vollgeschosse plus Staffelgeschoss. Diese Räumlichkeiten werden dem OLG und der Generalstaatsanwaltschaft zur Verfügung stehen.  

Die im OLG ansässige Stabsstelle koordiniert und betreut darüber hinaus das gesamte in vier Phasen über einen Zeitraum von 12 Jahren angelegte Gesamtprojekt „Bau am Gerichtsstandort Konstabler Wache“. Dies umfasst insbesondere die zwischenzeitlich abgeschlossenen Vorabmaßnahmen, die Neubaumaßnahmen für das Gebäude C (Staatsanwaltschaft) und Z, die Grundsanierung der Gebäude B, A und E (jeweils Land- und Amtsgericht), die Erneuerung der Sicherheitstechnik und die Interimsunterbringung während der Neubau- und Grundsanierungszeiten. 

„Schließlich ist das OLG um einen weiteren Baustein der Erinnerungskultur reicher geworden. Am 2.2.2024 wurde in einer Feierstunde, zu der nicht nur alle Behördenleiter am Standort, sondern über 100 Richterkollegen gekommen waren, eine neue Gedenktafel im Sitzungssaaltrakt eingeweiht. Die Tafel befasst sich als eine der ersten in der Bundesrepublik an zentraler Stelle mit dem Oberlandesgericht in der NS-Zeit“, rundete Pressesprecherin Dr. Fehns-Böer das Bild ab. Die Tafel schildert zum einen die Umstände der Rechtsprechung in der Zeit ab 1933 und zum anderen das Schicksal zweier jüdischer Richter und einer jüdischen Justizangestellten (Abbildung Pressemappe).

„Die Menge und Art der gegenwärtigen Aufgaben fordert uns alle täglich. Die Ihnen vorgestellten Bilanzzahlen machen mich aber zuversichtlich, dass es auch weiterhin gelingen wird, die unterschiedlichen Herausforderungen zügig und überzeugend zu bewältigen“, schloss Präsident Dr. Seitz die diesjährige Pressekonferenz. 

(c) OLG Frankfurt am Main, 03.07.2024

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