Der Niedersächsische Staatsgerichtshof in Bückeberg hat am heutigen Donnerstag (02.05.2024) entschieden, dass das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport die Vornamen der Tatverdächtigen der Silvesternacht 2022/2023 nicht an die Mitglieder des Niedersächsischen Landtages herausgeben muss. Die entsprechende Forderung war zuvor von Abgeordneten der AfD erhoben worden.

Der Niedersächsische Staatsgerichtshof hat in seinem heute verkündeten Urteil den Antrag des Landtagsabgeordneten der Partei Alternative für Deutschland (AfD) Stephan Bothe gegen die Niedersächsische Landesregierung wegen der Verletzung des Frage- und Informationsrechts aus Art. 24 Abs. 1 der Niedersächsischen Verfassung (NV)*zurückgewiesen. 

In der Silvesternacht 2022/2023 kam es in Niedersachsen an mehreren Orten zu Übergriffen auf Einsatzkräfte. Die Landesregierung teilte hierzu im Landtag u.a. mit, dass zum damaligen Zeitpunkt 35 Tatverdächtige im Zusammenhang mit diesen Ausschreitungen ermittelt worden waren, darunter 19 Personen mit ausschließlich deutscher Staatsangehörigkeit. Der Antragstellerhatte mit seiner Kleinen Anfrage vom 27. Februar 2023 (LT-Drs. 19/693) von der Landesregierung Auskunft über die Vornamen dieser 19 Tatverdächtigen begehrt. Die Landesregierung lehnte die Nennung der Vornamen unter Verweis auf die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und die insofern geltende Unschuldsvermutung ab (LT-Drs. 19/1076). Darin sah der Antragsteller eineVerletzung seines verfassungsrechtlichen Frage- und Informationsrechts durch die Landesregierung. Mit seinem Antrag im Organstreitverfahren hat er die Feststellung dieser Rechtsverletzung begehrt.

Der Antrag hatte vor dem Staatsgerichtshof keinen Erfolg. Die Landesregierung hat das Auskunftsrecht des Antragstellers nicht verletzt. Sie war nach Art. 24 Abs. 3 Satz 1 NV berechtigt, die Nennung der Vornamen der ermittelten Tatverdächtigen zu verweigern. Angesichts der ausunterschiedlichen Quellen bereits in der Öffentlichkeit bekannten Informationen zu den Geschehnissen in der Silvesternacht 2022/2023 bestand bei Bekanntgabe der Vornamen im Parlament die konkrete Gefahr einer Identifizierung einzelner Personen. Darin liegt ein Eingriff in das verfassungsrechtlich in Art. 3 Abs. 2 NV, Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 desGrundgesetzes (GG) geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht und das daraus folgende Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Personen. Der angesichts der massiven Auswirkungen, die die Identifizierung für die Betroffenen haben kann, erhebliche Grundrechtseingriff ist nur bei Vorliegen besonderer Umstände gerechtfertigt. Das parlamentarische Informationsinteresse muss im Einzelfall von besonders hohem Gewicht sein. Fehlt es an einem überwiegenden Interesse an der parlamentarischen Bekanntgabe derVornamen, kommt auch eine vertrauliche Unterrichtung nicht in Betracht, zumal Beschuldigten in einem Strafverfahren mit Blick auf die Unschuldsvermutung vor Erhebung einer Anklage besonderer Schutz gebührt. Das von dem Abgeordneten Bothe geltend gemachte abstrakte politische Ziel der Zuordnung möglicher Straftäter zu einem „Milieu“ als Grundlage für einen allgemeinen politischen Diskurs ist kein derartiges, besonders gewichtiges, die schutzwürdigenInteressen der Betroffenen überwiegendes Informationsinteresse. 

Niedersächsischer Staatsgerichtshof, Urt. vom 2.5.2024 – StGH 3/23 –

(c) StGH Niedersachsen, 02.05.2024

Cookie Consent mit Real Cookie Banner