Auf Corona-Demos und im Internet kommt es immer wieder zu Holocaust-Vergleichen durch sogenannte Ungeimpft-Sterne. Unsere neue Recherche zeigt: Fast alle Bundesländer gehen bei den Sternen mittlerweile von einem Anfangsverdacht der Volksverhetzung aus, in einigen wurden die Sterne verboten. Die Gerichte urteilen bisher unterschiedlich.

Seit Beginn der Corona-Pandemie kommt es auf Demonstrationen und im Internet immer wieder zu Holocaust-Vergleichen durch sogenannte Ungeimpft-Sterne: Demonstrierende tragen Davidsterne mit der Aufschrift „Ungeimpft“, die aussehen wie die „Judensterne“ der NS-Zeit. Sie vergleichen dadurch die Verfolgung von Juden und Jüdinnen im Nationalsozialismus mit der heutigen Situation ungeimpfter Personen. 

Wie die Vergleiche strafrechtlich zu beurteilen sind, ist nicht eindeutig: Nicht jede antisemitische Äußerung, nicht jede Holocaust-Verharmlosung ist strafbar. Zwar kommt die Strafbarkeit wegen Volksverhetzung in Betracht, in Form der Holocaust-Verharmlosung gemäß § 130 Absatz 3 des Strafgesetzbuchs. Allerdings kommt es dabei immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Zudem muss laut § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch die Holocaustverharmlosung geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören.

Der MEDIENDIENST hat die Innen- und Justizministerien aller Bundesländer gefragt, wie sie auf justizieller und polizeilicher Ebene auf die „Ungeimpft“-Sterne reagieren, ob Ermittlungsverfahren geführt werden und ob bereits Urteile vorliegen. Zu den Ergebnissen hier (PDF).

Die Recherche des MEDIENDIENSTES zeigt: Die Gerichte urteilen bislang unterschiedlich. Das Oberlandesgericht im Saarland hat die Strafbarkeit eines „Ungeimpft“-Sterns verneint, das Oberlandesgericht in Bayern hingegen hat eine Gleichsetzung eines „Judensterns“ mit einem AfD-Logo verurteilt. Auch vor einigen Amtsgerichten hat es Verurteilungen gegeben.

Für die Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden der Bundesländer gibt es daher einen großen Handlungsspielraum: Sie können die „Ungeimpft“-Sterne für grundsätzlich strafbar erachten – oder weitere Gerichtsurteile abwarten. Wenn sie sie für strafbar erachten, bedeutet das: Sie können die Sterne auf Demos verbieten, Ermittlungsverfahren einleiten und die Personen vor Gericht anklagen.

Auf Anfrage des MEDIENDIENSTES betonen die Justiz- und Innenministerien der Bundesländer, dass letztlich die Gerichte über die jeweiligen Fälle urteilen müssen. Es zeigt sich allerdings eine klare Tendenz hin zur Kriminalisierung der „Ungeimpft“-Sterne. In fast allen Bundesländern wird mittlerweile mindestens von einem Anfangsverdacht der Holocaust-Verharmlosung nach § 130 Abs. 3 StGB ausgegangen.

In einigen Bundesländern gehen die Behörden besonders entschlossen vor: In Berlin erachtet die Senatsverwaltung für Inneres, Sport und Digitalisierung die „Ungeimpft“-Sterne für strafbar. Die Polizei unterbindet das Tragen der Sterne auf Demonstrationen. In Brandenburg führt die Polizei vor Versammlungen individualisierte Kooperationsgespräche durch, bei denen sie auf die Strafbarkeit der „Ungeimpft“-Sterne hinweist. In Niedersachsen hat eine Beratung der drei Generalstaatsanwälte und der Justizministerin stattgefunden mit dem Ergebnis, den „Ungeimpft“-Stern für strafbar zu erachten. Die Polizei und Versammlungsbehörden wurden daraufhin angewiesen, das Tragen dieser Symbole zu unterbinden und Strafverfahren einzuleiten. In Bremen hat der Senator für Inneres einen Erlass im Umgang mit „Ungeimpft“-Sternen auf Demos herausgegeben, wonach Versammlungsleiter eine Straftat begehen, wenn „Ungeimpft“-Sterne gezeigt werden.

Urteile und Strafbefehle

Bislang gibt es einzelne Urteile und Strafbefehle mit Bezug zu den „Ungeimpft“-Sternen. Relevant sind vor allem die höhergerichtlichen Urteile des OLG Saarlands und des OLG Bayerns: Im Saarland gab es einen Freispruch im Fall eines „Ungeimpft“-Sternsin Bayern hingegen eine Verurteilung im Fall einer Gleichsetzung eines „Judensterns“ mit einem AfD-Logo.

Folgende Urteile und Strafbefehle haben die Justiz- und Innenministerien der Bundesländer dem MEDIENDIENST im Rahmen der Recherche übermittelt:

  • In Baden-Württemberg gibt es bislang vier Strafbefehle von Amtsgerichten zum öffentlichen Tragen des „Ungeimpft“-Sterns und zum Verbreiten des Ausdrucks „Impfung macht frei“.
  • In Bayern hat das Landgericht Augsburg eine Person verurteilt, die auf dem AfD-Bundesparteitag und im Internet den „Judenstern“ mit dem AfD-Logo gleichsetzte. Das Oberlandesgericht Bayern hat die Verurteilung bestätigt. Das Bundesverfassungsgericht wies die Verfassungsbeschwerde gegen die Verurteilung in Bayern ab.
  • In Berlin verurteilte das Amtsgericht Tiergarten eine Person, die im Internet ein Bild mit einem „Nicht geimpft“-Stern unter der Überschrift „Die Jagd auf Menschen kann nun wieder beginnen“ veröffentlicht hatte.
  • In Hessen hat das Amtsgericht Wiesbaden in einem Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung die polizeiliche Beschlagnahme eines Helms mit einem aufgeklebten „Ungeimpft“-Stern bestätigt, der auf einem sogenannten Montagsspaziergang getragen worden war.
  • Im Saarland hingegen hat das Amtsgericht Saarbrücken eine wegen eines „Ungeimpft“-Sterns Angeklagte freigesprochen. Das Saarländische Oberlandesgericht Saarbrücken hat diese Entscheidung bestätigt.

Ermittlungsverfahren

Einen Überblick über alle Ermittlungsverfahren mit Bezug zu „Ungeimpft“-Sternen gibt es nicht, da die Landeskriminalämter darüber keine gesonderten Statistiken führen. Vereinzelte Informationen über abgeschlossene und laufende Ermittlungsverfahren haben die Bundesländer dem MEDIENDIENST im Rahmen der Recherche übermittelt:

  • In Brandenburg sind circa fünf Verfahren anhängig.
  • In Hamburg wird in drei Fällen ermittelt.
  • In Mecklenburg-Vorpommern gibt es vereinzelte Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung im Zusammenhang mit Corona, davon mindestens eins mit Bezug zu einem „Ungeimpft“-Stern.
  • In Rheinland-Pfalz hat die Polizei seit Beginn der Corona-Pandemie zwei Fälle von Volksverhetzung wegen Anstecker mit „Ungeimpft“-Sternen registriert sowie ein Plakat mit einer solchen Aufschrift.
  • In Sachsen hat die Staatsanwaltschaft im Zeitraum von Juni bis Dezember 2021 in drei Fällen Ermittlungsverfahren eingeleitet.
  • In Sachsen-Anhalt läuft eine „niedrige Anzahl“ an Ermittlungsverfahren.
  • In Schleswig-Holstein wurden mehrere Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die betreffen vor allem online-Veröffentlichungen, nur vereinzelt bestand ein Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen.

Der MEDIENDIENST hat die Innen- und Justizministerien aller Bundesländer befragt, wie sie auf justizieller und polizeilicher Ebene auf die „Ungeimpft“-Sterne reagieren, ob Ermittlungsverfahren geführt werden und ob bereits Urteile vorliegen. Zur kompletten Recherche hier (PDF).

Quelle: Mediendienst Integration, Donata Hasselmann, 24. Februar 2022

Veröffentlicht unter Creative Commons

Cookie Consent mit Real Cookie Banner