Die 56jährige Klägerin K stürzte im Dezember 2015 und zog sich dabei eine Wunde an der rechten Hand und eine Prellung am Knie zu. Noch am selben Tag wurde sie mit einem Kombinationswirkstoff gegen Tetanus und Diphtherie geimpft. In der Folge bildete sich an der Einstichstelle auf der linken Schulter ein Granolom [körnchenförmige Gewebeneubildung].
Mit Bescheid vom Juni 2017 erkannte das Land Baden-Württemberg als Folge einer Impfschädigung eine etwa 7×6 cm große, leicht verhärtete druckschmerzhafte Fläche im Bereich des Schultermuskels und innerhalb dieser eine etwa 1,5 cm große rot-bläulich verfärbte Verhärtung, an. Die Gewährung einer Beschädigtengrundrente wurde abgelehnt, da der Grad der Schädigung nur 10 betrage. Heilbehandlung werde aufgrund der anerkannten Schädigungsfolgen gewährt.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) machte K geltend, sie leide an attackenartigem, schmerzhaftem Stechen und Brennen im linken Arm bis zum Unterarm. Sie könne sich nicht länger auf ihren linken Arm stützen oder den Arm hängen lassen. Ihre frühere Tätigkeit als Reinigungskraft könne sie aufgrund dessen nicht mehr ausüben. Ihr sei daher eine Beschädigtengrundrente zu gewähren.
Mit Gerichtsbescheid vom Dezember 2020 hat das SG das beklagte Land verpflichtet, als weitere Folge des bereits festgestellten Impfschadens eine Reizsymptomatik von Hautästen des linken Speichennerves anzuerkennen.
Der 6. Senat des Landessozialgericht Baden-Württemberg hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zu Unrecht habe der Beklagte einen Impfschaden festgestellt, so dass K schon deshalb die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen nicht beanspruchen könne. Aufgrund der Impfung sei nur eine typische Nebenwirkung, hier das bei K aufgetretene Impfgranulom, eingetreten. Der erforderliche Nachweis einer gesundheitlichen Schädigung sei nicht erbracht, weil keine über die übliche Impfreaktion hinausgehende Impfkomplikation vorliege. Die von K darüber hinaus beschriebenen, angeblich nach der Impfung eingetretenen gesundheitlichen Veränderungen seien in keiner Weise ärztlich dokumentiert. Vielmehr habe bei K bereits vor der streitigen Impfung eine ängstlich-depressive Symptomatik mit Ausbildung von Konversionssymptomen bestanden. Wesentliche Ursache dafür seien die erheblichen familiären und sozialen Probleme der K mit langjähriger psychosozialer Belastung und chronischer Überforderung bei Alkoholkrankheit des Ehemannes. Ks Schmerzsymptomatik könne ebenfalls nicht auf die Impfung zurückgeführt werden, nachdem ein halbes Jahr nach der Impfung noch keine dauerhafte Schmerzmedikation erforderlich gewesen sei. Im Übrigen seien bereits in der Vergangenheit orthopädisch Kopf- und Nackenschmerzen mit Ausstrahlungen in beide Schultergürtel beschrieben worden.
Hinweis zur Rechtslage:
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin ist § 60 Abs. 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Danach erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, auf Grund des IfSG angeordnet wurde, gesetzlich vorgeschrieben war oder auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 61 Satz 1 IfSG). Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG anerkannt werden (§ 61 Satz 2 IfSG). Die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 61 Satz 3 IfSG).
Für die Impfopferversorgung müssen die schädigende Einwirkung (Schutzimpfung), der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, und eine dauerhafte gesundheitliche Schädigung (Impfschaden) nachgewiesen und nicht nur wahrscheinlich sein.
Quelle: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 20. Juni 2022