Das Landgericht München I – 1. Große Strafkammer als Schwurgericht – hat die Angeklagte Havva S. heute wegen heimtückischen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Nach der Feststellung der Kammer traf die Angeklagte im Januar 2023 im Beisein ihres Ehemannes und einer ihrer Töchter beim Einkaufen zufällig auf den später Getöteten Halil O., einem alten Bekannten der Familie. Während des Gespräches erwähnte der Geschädigte einen gemeinsamen Bekannten, mit dem er noch in Kontakt stünde.

Aufgrund des Treffens befürchtete die Angeklagte, dass ihr Ehemann von dem Geschädigten Halil. O. die Telefonnummer des Bekannten erhalten könnte. Diesen empfand die Angeklagte als existentielle Bedrohung für ihre Ehe. Ihrer Meinung nach legte der Zeuge Bekannte es bereits in der Vergangenheit – der letzte Kontakt zu diesem lag allerdings bereits über 15 Jahre zurück – darauf an, ihre Ehe zu zerstören, indem er einen schlechten Einfluss auf ihren Ehemann ausübte. Nach der Vorstellung der Angeklagten sei ihr Ehemann von gemeinsamen Abenden mit dem Bekannten regelmäßig betrunken zurückgekommen und habe sich aggressiv und gewalttätig gegenüber der Angeklagten verhalten.

Diese Ideen und Ängste der Angeklagten seien – so die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl – ein Ausfluss der akzentuierten Persönlichkeit der Angeklagten mit emotional-instabilen, histrionischen und dependenten Zügen und ohne ernsthaften Bezug zur Realität. Im Hinblick auf ihre Familie sei diese übertrieben anhänglich, und sei von einem starken Kontrollbedürfnis sowie von Eifersucht geleitet. Die Angeklagte konnte sich aufgrund ihrer Externalisierungstendenzen nicht eingestehen, dass ihre Ehe auch ohne Kontakt zu dem Bekannten seit Jahren unter erheblichen Problemen litt. Die Angeklagte habe sich den Bekannten daher subjektiv zu einem Feindbild stilisiert, das für alles Negative in ihrem Leben verantwortlich sei.

Deswegen suchte die Angeklagte den Geschädigten Halil O am folgenden Tag unter dem Vorwand, ihm selbstgekochtes Essen vorbeizubringen, in seiner Wohnung auf und entwendete dessen Mobiltelefon. Die Angeklagte durchsuchte das Telefon nach der Telefonnummer des Bekannten, wurde jedoch nicht fündig. Sie ging daher davon aus, dass die Nummer auf einem anderen Mobiltelefon des später Getöteten Halil O. abgespeichert sei. Die Angeklagte suchte den Geschädigten Halil O. wenige Tage später erneut in seiner Wohnung auf und bat ihn, die Telefonnummer nicht an ihren Ehemann herauszugeben. Dieser lehnte den Wunsch jedoch entschieden ab. Die Angeklagte zog nach den Feststellungen des Gerichts daraufhin ein von zuhause mitgebrachtes Küchenmesser und fügte dem Geschädigten Halil O. insgesamt mehr als 100 Schnittverletzungen am Kopf und im oberen Körperbereich zu, um ihn zu töten. Der Geschädigte war infolge seiner Schwerbehinderung nicht in der Lage, sich gegen die Angriffe der Angeklagten aktiv zur Wehr zu setzen. Um seine Schreie zu dämpfen, drückte die Angeklagte dem Geschädigten Halil O. während des Verlaufs ihres Angriffs kurzzeitig ein Kissen ins Gesicht. Der Geschädigte verstarb innerhalb weniger Minuten aufgrund des massiven Blutverlustes nach außen.

Die Angeklagte verließ anschließend die Wohnung, entsorgte die blutgetränkten Kissen an einem nahegelegenen See und legte das Küchenmesser bei sich zuhause in die Spülmaschine.

Die Angeklagte wurde erst knapp ein halbes Jahr später aufgrund von DNA-Untersuchungen von den Ermittlungsbehörden als Täterin in Betracht gezogen. Die Angeklagte litt zum Zeitpunkt der Tat an einer rezidivierenden depressiven Störung, die Schuldfähigkeit der Angeklagten war jedoch zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt.

Die Angeklagte hat die Tat gestanden, sich jedoch hinsichtlich der eigentlichen Tathandlungen auf eine Gedächtnislücke berufen. Das Gericht stützte sein Urteil auf Sachverständigengutachten zur Persönlichkeit der Angeklagten sowie auf zahlreiche Zeugenaussagen und objektive Beweismittel, wie ein DNA-Gutachten, ein daktyloskopisches Gutachten und ein Blutspurenmusterverteilungsgutachten.

Das Schwurgericht wertete die Tat als heimtückischen Mord. Der Getötete Halil O. habe nicht mit einem Angriff gegen seine Person gerechnet und habe sich daher dagegen auch nicht verteidigen können. Das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe sah das Gericht dagegen nicht als verwirklicht an. Die Angeklagte habe aufgrund ihrer Persönlichkeit subjektiv nicht erkennen können, dass ihr Motiv, den Getöteten Halil O. wegen einer möglichen Weitergabe einer Telefonnummer zu töten, menschlich nicht nachvollziehbar ist und damit objektiv auch dieses Mordmerkmal erfüllt hat. Eine besondere Schwere der Schuld stellte die Kammer abweichend vom Antrag der Staatsanwaltschaft nicht fest.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft München I steht das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen, das binnen einer Woche ab heute eingelegt werden müsste.

(c) LG München I, 27.09.2024

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