Das Landgericht Hamburg hat in vier weiteren Eil-Verfahren durch Beschlüsse vom heutigen Tag einstweilige Verfügungen zu Medienveröffentlichungen über Mitglieder der Band Rammstein erlassen:
Gegenstand der Verfahren 324 O 294/23 und 288/23 ist eine Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung und auf sueddeutsche.de vom 17./18. Juli 2023. Auf die Anträge von Till Lindemann und Christoph Schneider wurde dem Medium untersagt, mit der Darstellung in den Artikeln den Verdacht zu erwecken, der jeweilige Antragsteller habe im Februar 1996 an der in den Artikeln genannten Frau einen sexuellen Übergriff verübt bzw. sie vergewaltigt oder sexuelle Handlungen ohne ihre Einwilligung vorgenommen. Nach Auffassung der Kammer erwecke die Berichterstattung einen entsprechenden, auch gegen die Antragsteller gerichteten Verdacht, auch wenn der Verdacht vor allem gegen den Keyboarder der Band gerichtet werde. Für eine solche Verdachtsberichterstattung fehle es an dem erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen. Aus einer eidesstattlichen Versicherung der betroffenen Frau gehe hervor, dass sie sich bis zum späteren Aufwachen nicht daran erinnere, was geschehen sei, nachdem sie mit den drei Bandmitgliedern das Zimmer betreten hatte. Weitere Beweistatsachen, dass gerade der jeweilige Antragsteller – und nicht eine andere Person – einen sexuellen Übergriff gegen die Frau verübt haben könnte, lägen nicht vor.
Das Verfahren 324 O 273/23 betrifft eine Berichterstattung auf tagesschau.de vom 2. Juni 2023. Der Antrag Lindemanns auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hatte teilweise Erfolg. Dem NDR wurde untersagt, mit der Darstellung in dem Artikel den Verdacht zu erwecken, er habe mit den zwei dort genannten Frauen sexuelle Handlungen ohne deren Zustimmen vorgenommen. Soweit der Antragsteller darüber hinaus das Ziel verfolgt hatte, die angegriffenen Passagen des Artikels unabhängig von der Erweckung dieses Verdachts wegen der Verletzung seiner Intimsphäre untersagen zu lassen, hat das Gericht seinen Antrag zurückgewiesen. Nach Auffassung der Kammer werde der Verdacht sexueller Handlungen ohne Zustimmung der betroffenen Frauen schon in der Unterzeile des Artikels („Zwei Frauen berichten zudem von mutmaßlichen sexuellen Handlungen, denen sie nicht zugestimmt hätten.“) erweckt. Für eine solche Verdachtsberichterstattung fehle es an dem erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen. Für die eine Betroffene ergebe sich das schon aus dem gegenteiligen Inhalt ihrer eidesstattlichen Versicherung. Mit Blick auf die andere Betroffene reiche der Inhalt der eidesstattlichen Versicherung für sich genommen ebenfalls nicht als Beweistatsache zur Stützung eines so schwerwiegenden Vorwurfs aus, so dass nach Abwägung mit dem „fraglich als hoch einzustufenden Berichterstattungsinteresse“ das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers überwiege. Die Betroffene verweise, was in der Berichterstattung nicht erwähnt werde, auf erhebliche Erinnerungslücken, so dass ihre Schilderung allein nicht den Verdacht trage, es habe eine Zustimmung nicht – und damit auch nicht in den Zeiträumen, an die sich die Betroffene nicht erinnere – gegeben. Weitere Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, dass im konkreten Fall eine Zustimmung fehlte, lägen nicht vor.
Soweit der Antragsteller die unmittelbare Untersagung der Passagen beantragt hatte, sieht die Kammer in der Berichterstattung – trotz der Schilderung sexueller Handlungen – keine Verletzung seiner Intimsphäre. Der Antragsteller habe Teile seines Sexuallebens in die Öffentlichkeit getragen, indem er auf einem Konzert ein Video habe einblenden lassen, das zeige, wie er in einer unter der Bühne eigens dafür installierten Vorrichtung Sex mit Besucherinnen seines Konzerts habe. Dadurch habe er zum Ausdruck gebracht, dass er hinsichtlich dieser Vorgänge kein Geheimhaltungsbedürfnis verspüre. Damit seien die in der Berichterstattung geschilderten Situationen insofern vergleichbar, als sie im unmittelbaren Zusammenhang mit einem öffentlichen Konzert des Antragstellers und mit Konzertbesucherinnen stattgefunden hätten.
In dem Verfahren 324 O 307/23 haben die übrigen fünf Bandmitglieder eine einstweilige Verfügung gegen den Verlag der taz in Bezug auf eine Berichterstattung vom 20. Juli 2023 über einen angeblichen Besuch eines Berliner Clubs im Anschluss an die Berliner Konzerte erwirkt. Die Antragsteller haben vorgetragen, den Club entgegen der Darstellung in dem Artikel weder allein noch gemeinsam mit Till Lindemann besucht zu haben. Die Antragsgegnerin hatte Gelegenheit zur Stellungnahme, sich aber zu dem Antrag nicht geäußert.
In allen vier Verfahren wurden die Entscheidungen schriftlich, d.h. ohne mündliche Verhandlung, aber nach Anhörung der Antragsgegner erlassen. Die Antragsgegner können gegen die einstweiligen Verfügungen Widerspruch einlegen mit der Folge, dass das Gericht nach mündlicher Verhandlung von neuem entscheiden müsste, ob es bei der Entscheidung bleibt oder die jeweilige Verfügung aufgehoben wird. Soweit ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erfolglos geblieben ist, besteht die Möglichkeit einer Beschwerde, über die das Hanseatische Oberlandesgericht zu entscheiden hätte.
(c) LG Hamburg, 10.08.2023