Insgesamt fast 5 Kilo Marihuana und Amphetamin soll ein 35-Jähriger Mann der sognannten „Drogen-WG“ aus dem Landkreis Main-Spessart geliefert haben. Dafür verurteilte ihn die 8. Strafkammer des Landgerichts Würzburg nun zu 5 Jahren und 9 Monaten Freiheitsstrafe. Auf die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zur Drogentherapie verzichtete das Gericht wegen Aussichtslosigkeit: der junge Mann will keine weitere Therapie mehr.
Der Verfahrenskomplex um die „Drogen-WG“ beschäftigt die Würzburger Justiz schon des Längeren. Fast 100 Beschuldigte sind mittlerweile aktenkundig. Vor wenigen Wochen hat das Landgericht Würzburg eine junge Frau, die als Fahrerin bei Drogengeschäftefungierte zu einer 2-jährigen Bewährungsstrafe verurteilt (wir berichteten).
Nun stand ein 35-Jähriger Mann vor Gericht, der die „WG“ zwischen Oktober 2020 und April 2021 wöchentlich mit jeweils 200 Gramm Marihuana und 200 Gramm Amphetamin beliefert hat. Insgesamt jeweils fast zweieinhalb Kilo.
Drogenkonsum begann bereits im Jugendalter
Die kriminelle Karriere des Angeklagten begann bereits mit 14 Jahren – die erste Inhaftierung dann mit 17. Unzählige Bewährungsstrafen – bei allen wurde die Bewährung widerrufen, der junge Mann musste alle Strafen in diversen Justizvollzugsanstalten absitzen. Im Jahre 2018 wurde er vom Landgericht Würzburg zu 3 Jahren und 3 Monaten Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt und eine Drogenentzugstherapie angeordnet. Diese brach der Angeklagte im Bezirkskrankenhaus Lohr ab und flüchtete, bis er durch einen Zufall bei einer anderen Drogenrazzia in seinem Versteck wieder aufgegriffen wurde und zurück in den Maßregelvollzug gebracht wurde. Ohne Erfolg – die Therapie wurde vom Angeklagten erneut abgebrochen und er wechselte in die JVA um den Rest seiner Strafe – bis heute – abzusitzen.
Kronzeuge packte aus: Namen der Lieferanten für Strafmilderung
Als die Drogendealer-WG aufflog, packte einer aus: Geständnis für Strafmilderung. Und dabei nannte er auch den Namen des Angeklagten.
„Mit der Sache habe ich abgeschlossen“, so der 24-Jährige im Zeugenstand. Ganz genau könne könne er sich nicht mehr an die ganze Sache erinnern, aber er bestätigte seine Aussage bei der Polizei. „Ich habe damals das gesamte Drogenalphabet von oben nach unten durchkonsumiert“, so der Zeuge weiter. Dass er sich da nach über 2 Jahren nicht mehr an alles erinnern könne, müsse doch nachvollziehbar sein.
Zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft äußerte sich der Angeklagte nicht. Nur eines war ihm sehr wichtig: Eine weitere Drogentherapie möchte er nicht.
Ein Beamter der Kriminalpolizeiinspektion mit Zentralaufgaben, die in Unterfranken für schwere und organisierte Kriminalität zuständig ist, berichtete ausführlich vom gesamten Ermittlungskomplex und bestätigte im Wesentlichen den Anklagevorwurf. „Wir haben in der Telekommunikationsüberwachung auch Hinweise gefunden, dass der Angeklagte auch bei weiteren Lieferungen eine Rolle gespielt haben könnte- beweisen können wir es ihm aber nicht“, so der Polizist. Die Beschuldigten haben viel über verschlüsselte Messenger-Dienste kommuniziert und seien sehr penibel im Löschen von konspirativen Nachrichten gewesen.
Verteidiger: „Tatnachweis nicht erbracht“
Die Staatsanwaltschaft sah den Sachverhalt – wie angeklagt – als erwiesen an. Sie forderte für den einschlägig vorbestraften, weiterhin drogensüchtigen Angeklagten 6 Jahre und 4 Monate Freiheitsstrafe.
Für den Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Jan Paulsen, war die Sache jedoch nicht so eindeutig: „Die Beweisaufnahme hat heute keinen Tatnachweis ergeben“. Der einzige Zeuge erinnere sich nur noch bruchstückhaft und habe in der ganzen Hauptverhandlung kaum mehr als 5 Sätze gesagt. Dies reiche definitiv nicht für eine Verurteilung seines Mandanten für die Drogenlieferungen an die „WG“. Da sein Mandant bei seiner Verhaftung noch im Besitz geringer Mengen Betäubungsmittel gewesen ist, beantrage er eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten.
5 Jahre und 9 Monate Freiheitsstrafe lautete schließlich das Urteil der 8. Strafkammer. Man habe sich beim bei der Beweiswürdigung nicht nur auf den Belastungszeugen gestützt, sondern auch die von der Polizei gesammelten objektiven Indizien. Auch das bisherige Leben des Angeklagten sei ein Indiz für die Tatneigung. Auf eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verzichtet das Gericht: „Wenn es keinerlei Erfolgsaussichten für eine Maßregel gebe, darf sie dem Bundesverfassungsgericht nach nicht verhängt werden“ (siehe Hintergrund). Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Rechtlicher Hintergrund: Erfolglosigkeit der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
Bereits im Urteil vom 16.03.1994 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB nur dann verfassungsgemäß sei, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht auf den Erfolg der Behandlung besteht (2 BvL 3/90, BVerfGE 91,1):
1. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und ebenso ihr Vollzug müssen von Verfassungs wegen an die Voraussetzung geknüpft sein, daß eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Süchtigen zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf nicht weiter vollzogen werden, wenn entgegen einer anfänglichen positiven Prognose keine hinreichend konkrete Aussicht mehr auf einen solchen Behandlungserfolg besteht.
2. Die Freiheitsstrafe und die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verfolgen verschiedene Zwecke. Sie können deshalb auch nebeneinander angeordnet werden.
a) Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG erfordert es, Freiheitsstrafe und Unterbringung einander so zuzuordnen, daß die Zwecke beider möglichst weitgehend erreicht werden, ohne dabei in das Freiheitsrecht des einzelnen Betroffenen mehr als notwendig einzugreifen.
b) Vom Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist jedenfalls eine volle Anrechnung der Zeit des Maßregelvollzugs auf die Freiheitsstrafe nicht geboten. Allerdings müssen die gesetzlichen Regelungen darauf Bedacht nehmen, daß bei der jeweils vorgesehenen Art der Kumulierung die Freiheitsentziehung insgesamt nicht übermäßig wird und Anrechnungsausschlüsse nicht ohne Beziehung zu Grund und Ziel der Unterbringungsmaßregel erfolgen.