Im November vergangenen Jahres wurde der Angeklagte wegen des Raubes eines E-Scooters zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Nun stand er wegen Drogendelikten erneut vor dem Landgericht Würzburg. Im Rahmen eines „Deals“ verurteilte das Gericht ihn zu fünf Jahren und vier Monaten Haft. Das noch nicht rechtskräftige Urteil wegen Raubes konnte einbezogen werden. Zudem ordnete das Gericht die Unterbringung des 39-Jährigen in einer Entziehungsanstalt an – eine Möglichkeit seine Drogensucht in den Griff zu bekommen.
Im August 2022 dursuchte die Kriminalpolizei Schweinfurt bei einem Drogendealer in Schweinfurt. In seiner Wohnung fanden sie diverse Betäubungsmittel und Rauschgiftutensilien. Mit einem Bein in Untersuchungshaft machte dieser Angaben nach § 31 BtMG: Namen der Lieferanten und Großabnehmer im Gegenzug für Strafmilderung. Und dabei nannte er als Zulieferer den Angeklagten. Dieser habe ihm seit Dezember 2021 mehrmals Marihuana und Amphetamin besorgt: insgesamt fast fünf Kilogramm. Zudem habe der Angeklagte auch dreimal wöchentlich von ihm dann noch Amphetamin zu seinem Eigenbedarf erworben.
Gleich zu Beginn der Verhandlung regte die Verteidigerin des Angeklagten, Rechtsanwältin Kerstin Rieger aus Schweinfurt, ein Verständigungsgespräch an. Ihr Mandant befindet sich nunmehr seit August letzten Jahres – wegen des Raubes des E-Scooters – in Untersuchungshaft. Sein vorrangiges Ziel sei es, eine Drogentherapie zu beginnen, um seine Probleme künftig in den Griff zu bekommen. Für den Fall, dass man zu einer „großen Lösung“ kommen würde, man also das noch nicht rechtskräftige Urteil wegen des Raubes in die neue Strafe mit einbeziehen würde, würde sie die Revision beim BGH zurücknehmen und ihr Mandant sich geständig einlassen. Als Strafrahmen stelle sie sich dann eine Freiheitsstrafe um die fünf Jahre vor. Die 5. Strafkammer des Landgerichtes Würzburg sah dies ähnlich. Lediglich die Vertreterin der Staatsanwaltschaft tat sich sichtlich schwer mit ihrer Zustimmung zu diesem Deal. Das Problem nämlich: Gegen den Angeklagten läuft noch ein Ermittlungsverfahren wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls, bei dem er circa 1.800 Euro Beute an Werkzeugen gemacht haben soll. Die Einstellung dieses Verfahrens im Hinblick auf die Verurteilung machte die Verteidigerin aber auch zur Bedingung des Deals. Nach mehrmaliger Rücksprache und gutem Zureden des Gerichts konnte die Staatsanwältin schließlich ihr Einverständnis erklären.
Geständnis des Angeklagten
So gestand der 39-jährige Angeklagte schließlich die Drogengeschäfte mit dem Dealer aus Schweinfurt und ersparte dem Gericht eine langwierige Beweisaufnahme.
Zur Bestätigung des Geständnisses und um über die 31er-Aussage des Dealers zu berichten, wurde vom Gericht noch der Sachbearbeiter der Kriminalpolizei Schweinfurt als Zeuge gehört. Das Hauptanliegen des Dealers aus Schweinfurt sei es auf jeden Fall gewesen die drohende Untersuchungshaft zu vermeiden. „Dennoch halte ich die Angaben für glaubhaft“, so der Polizeibeamte im Zeugenstand. Den aufgrund dieser Aussage bewirkten Beschluss, den Angeklagten wegen der Drogengeschäfte zu observieren, konnten sie jedoch nicht mehr durchführen. Wenige Tage nach der Aussage des Dealers wurde der Angeklagte wegen des Raubes in Untersuchungshaft genommen.
16-Jährigen von E-Scooter geschlagen
Am 24. August 2022 hat der Angeklagte nämlich einen 16-Jährigen mit einem Faustschlag in den Bauch von dessen E-Scooter geholt und ist anschließend mit diesem geflüchtet. Die Flucht dauerte jedoch nur wenige Meter. Der völlig betrunkene Angeklagte krachte gegen ein Polizeiauto, das wegen eines Streites des Angeklagten mit seiner Lebensgefährtin sowieso schon zuvor vor Ort gewesen ist. Für diesen Vorfall wurde der Angeklagte im November dann zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe von der 1. Strafkammer des Landgerichts Würzburg verurteilt.
Urteil als Chance
Unter Einbeziehung dieses Urteils verurteilte ihn das Gericht schließlich zu fünf Jahren und vier Monaten Freiheitsstrafe und ordnete die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt an. Der Vorsitzende der 5. Strafkammer, Boris Raufeisen, betonte in der Urteilsbegründung, dass das Geständnis des Angeklagten viel wert gewesen sei. Zum einen für das Gericht und die Staatsanwaltschaft, um den Prozess deutlich abzukürzen. Zum anderen aber auch für den Angeklagten. Rechne man nämlich die Strafe für den Raub heraus, sei der Angeklagte mit lediglich zwei Jahren und acht Monaten für die Drogengeschäfte im Kilobereich sehr gutweggekommen. Der Angeklagte habe nun die Möglichkeit nach einer circa zweijährigen erfolgreichen Drogentherapie, den Rest der Strafe auf Bewährung verbüßen zu können.
Da das Urteil aufgrund einer Verständigung zustande gekommen ist, konnte auf Rechtsmittel nicht verzichtet werden. Das Urteil ist somit nicht rechtkräftig.
Rechtlicher Hintergrund: Mitteilung des Gerichts über Verfahrensabsprachen
Gemäß § 243 Abs. 4 StPO muss das Gericht in der Hauptverhandlung informieren, ob es im Vorfeld der Verhandlung Verfahrensabsprachen zwischen den Prozessbeteiligten gegeben hat. Dies erfolgt meist nach Verlesung der Anklage mit der folgen Formel, die – nach Verlesung des Protokolls – auch von allen Verfahrensbeteiligten bestätigt werden muss:
„Der Vorsitzende teilt mit, dass keine Erörterungen nach den §§ 202 a, 212 StPO stattgefunden haben, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung nach § 257 c StPO gewesen ist.“
Warum dies wichtig ist und welche Bedeutung dies hat, hat jüngst der BGH nochmals in seinem Beschluss vom 8. Februar 2023 (6 StR 284/22) betont:
Die Mitteilungspflicht ist Teil der im Verständigungsverfahren geltenden Transparenz- und Dokumentationsregeln, die gewährleisten sollen, dass Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung strafprozessualer Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 80 ff.; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22 mwN). Die Mitteilungspflicht verfolgt zum einen den Zweck, den Angeklagten, der an Verständigungsgesprächen nicht teilgenommen hat, durch eine umfassende Unterrichtung über die wesentlichen Gesprächsinhalte seitens des Gerichts in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte autonome Entscheidung über sein Verteidigungsverhalten zu treffen (vgl. BVerfG und BGH aaO). Zum anderen soll insbesondere § 243 Abs. 4 StPO eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit gewährleisten (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 65, 81, 87 ff.; Beschluss vom 4. Februar 2020 – 2 BvR 900/19, NJW 2020, 2461 Rn. 22 f., 26, 32, 35; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 243 Rn. 37 mwN). Hiernach ist nicht nur der Umstand mitzuteilen, dass es solche Erörterungen gegeben hat, sondern auch deren wesentlicher Inhalt. Dabei ist regelmäßig anzugeben, wer an dem Gespräch teilgenommen hat, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen worden ist, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertreten haben und ob diese bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 85; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22; Beschluss vom 31. August 2021 – 2 StR 339/20, NStZ 2022, 245 Rn. 8).