Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg (LVerfG) hat mit Beschluss vom 17. Februar 2023 § 2 des Brandenburgischen kommunalen Notlagegesetzes (BbgKomNotG) für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 4 und Art. 80 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) erklärt (Az.: VfGBbg 10/21).
Der Landtag Brandenburg hatte unter dem Eindruck der am 11. März 2020 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Pandemie erklärten Verbreitung der Atemwegserkrankung COVID-19 und vor dem Hintergrund der in Brandenburg im Frühjahr 2020 geltenden Kontaktbeschränkungen mit § 2 BbgKomNotG den Minister des Innern und für Kommunales gesetzlich ermächtigt, durch Erlass einer Rechtsverordnung Abweichungen von einer Vielzahl von Regelungen der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg (BbgKVerf) durch die Kommunen zuzulassen. Damit sollten kommunale Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten unter den Bedingungen der SARS-CoV-2-Pandemie gewährleistet werden. Die dem Minister möglichen Regelungen betrafen unter anderem die Übertragungsmöglichkeit von durch die BbgKVerf der Gemeindevertretung in ausschließlicher Zuständigkeit zugewiesenen Entscheidungsbefugnissen auf den Hauptausschuss, haushaltsrechtliche Vorgaben, den Ablauf von Sitzungen der Kommunalvertretung (z. B. Video- und Telefonkonferenzen), die Möglichkeit, Entscheidungen im schriftlichen Umlaufverfahren zu treffen, und die Verschiebung bereits angesetzter Kommunalwahlen. Die Vorschrift trat am 16. April 2020 in Kraft und sollte zunächst bis zum 30. September 2020 gelten, wurde aber bis zum 30. Juni 2021 verlängert.
Mit ihrem Normenkontrollantrag haben 23 Mitglieder des Landtags Brandenburg, die der AfD-Fraktion angehören, das BbgKomNotG im Februar 2021 zur Überprüfung gestellt. Das LVerfG hat nunmehr einen Verstoß gegen die LV festgestellt. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung des § 2 BbgKomNotG eine Ermächtigung zum Erlass gesetzesändernder Verordnungen erteilt. Für eine solche „gesetzesändernde“ Verordnung ergäben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 2 Abs. 4 LV) Grenzen. Dies gelte insbesondere bei Ausformung der Grundprinzipien des demokratischen Gemeinwesens auch für die kommunale Ebene, die grundsätzlich ein Handeln des Parlamentsgesetzgebers erfordere. § 2 BbgKomNotG habe dem Verordnungsgeber die Möglichkeit eröffnet, durch freie Entscheidung über das (auch kumulativ mögliche) Außerkraftsetzen wesentlicher Vorschriften der Kommunalverfassung weitreichende Veränderungen des gesetzlich ausgeformten Bilds kommunaler Selbstverwaltung zu bewirken. Dies habe zu einer nicht mehr mit der LV zu vereinbarenden Gewichtsverschiebung zwischen gesetzgebender und exekutiver Gewalt geführt. Der Gesetzgeber hätte den Umfang und die Voraussetzungen der Abweichungsmöglichkeiten dem Verordnungsgeber in einer Art Handlungsprogramm vorgeben müssen. Mit der umfangreichen Übertragung der Befugnis auf den Verordnungsgeber, die Anwendung gesetzlicher Regelungen der BbgKVerf außer Kraft zu setzen, habe der Gesetzgeber zudem nicht den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Satz 2 LV genügt, wonach Inhalt Zweck und Ausmaß der Ermächtigung in der gesetzlichen Regelung bestimmt sein müssen.
Das LVerfG hat die Vorschrift aber nicht für nichtig, sondern für mit der LV für unvereinbar erklärt. Rechtsakte, die direkt oder indirekt auf dem BbgKomNotG und der daraufhin erlassenen Verordnung beruhen, gelten daher fort.
Quelle: Landesverfassungsgericht Brandenburg, Pressemitteilung vom 24. Januar 2023