Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Ein Arbeitsunfall kann dabei auch die Infektion mit einem Krankheitserreger im Rahmen der versicherten Tätigkeit sein. Der 1. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg hat nunmehr erstmals über die Anerkennung einer Corona-Infektion als Arbeitsunfall entschieden und dabei auch grundsätzliche Kriterien aufgestellt, die für eine solche Anerkennung vorliegen müssen.
Der Kläger ist bei einem Großunternehmen der Fahrzeugindustrie in Baden-Württemberg beschäftigt. Bei ihm wurde am Montag, dem 8. März 2021, mit einem PCR-Test eine Infektion mit einer Subgruppe des Virus SARS-CoV-2 festgestellt. Nach seiner Aussage war ein Schnelltest bereits am vorangegangenen Samstag positiv gewesen. Der Kläger war längere Zeit erkrankt und leidet nach eigenen Angaben bis heute an den Folgen der Infektion. Seine Krankenkasse gewährte ihm Heilbehandlung und Krankengeld.
Die Arbeitgeberin teilte mit, welche Infektionen in dem fraglichen Zeitfenster auf der Betriebsstätte des Klägers vorlagen. Es kam insbesondere ein Kollege als „Indexperson“ in Betracht, also als Person, von der die Infektion möglicherweise herrührt. Dieser Kollege war ebenfalls am 8. März positiv getestet worden. Die zuständige Berufsgenossenschaft Holz und Metall lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, weil eine Infektion während einer versicherten betrieblichen Verrichtung nicht nachgewiesen sei.
Der Kläger erhob Klage zum Sozialgericht Karlsruhe und führte zu dem ebenfalls am 8. März positiv getesteten Kollegen aus, dieser habe auch schon vor seinem eigenen Test „herumgeschnupft“. Das SG vernahm unter anderem diesen Kollegen als Zeugen. Er gab an, bei ihm seien die ersten Symptome am Freitag, dem 5. März, aufgetreten. Es stellte sich auch heraus, dass er am 5. März nicht im Betrieb gewesen war.
Nachdem das SG die Klage abgewiesen hatte, hat der Kläger mit seiner Berufung zusätzlich vorgetragen, die Ehefrau des Kollegen sei schon am 3. März 2021 positiv getestet worden, die Infektionskette müsse daher von ihr über den Kollegen auf ihn, den Kläger, gegangen sein. Um diesen Verlauf festzustellen, müsse Beweis erhoben werden über den Subtypus des Virus bei diesen drei infizierten Personen, über dessen Verbreitung in der Bevölkerung in dem fraglichen Zeitfenster und über die Inkubationszeiten bei den Infizierten. Er selbst, so der Kläger, habe in der fraglichen Zeit seine privaten Kontakte auf ein Minimum reduziert und seine Kinder seien im Heimunterricht gewesen, sodass er sich nirgendwo anders als auf der Arbeit angesteckt haben könne.
Der 1. Senat hat das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe bestätigt und die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Ansteckungsgefahr bei der damaligen weltweiten Pandemie in allen Bereichen des Lebens massiv erhöht gewesen sei. Auch die Angabe des Klägers, er habe seine privaten Kontakte verringert, schließe eine Infektion im privaten Bereich nicht aus, z.B. beim Einkaufen, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Außenbereich. Für den Nachweis einer Infektion während der Arbeit sei es daher unabdingbare Voraussetzung, dass die mögliche „Indexperson“, bei der sich der Versicherte während einer beruflichen Verrichtung angesteckt haben könne, nachweislich vor dem Betroffenen selbst mit dem Virus SARS-CoV-2 infiziert gewesen sei. Ansonsten sei von Anfang an nicht aufklärbar, wer wen angesteckt hat. Erst wenn der Versicherte diesen Nachweis geführt habe, könne auf zweiter Ebene untersucht werden, ob eine Infektion während der Arbeit wahrscheinlich sei, weil dort z.B. gefahrerhöhende Umstände vorlagen (enger Kontakt über längere Zeiträume, kein Schutz durch FFP2- oder medizinische Masken) bzw. im privaten Bereich des konkret Betroffenen ein deutlich geringeres Ansteckungsrisiko bestand.
In dem konkreten Falle fehlte es bereits an dem Nachweis, dass der Kläger Kontakt mit einer „Indexperson“ hatte, die schon vor ihm infiziert gewesen war. Der zuletzt befragte Kollege war erst zeitgleich mit dem Kläger getestet worden. Soweit der Kläger vorgetragen hatte, dieser habe schon vor dem Test auf der Arbeit „herumgeschnupft“, sah der Senat ein „Herumschnupfen“ als zu unspezifisch für den Nachweis einer Corona-Infektion an. Dass letztlich die Ehefrau des Kollegen schon am 3. März 2021 infiziert war, konnte nicht den behaupteten Ablauf einer Infektionskette beweisen, selbst wenn alle Betroffenen mit dem gleichen Subtypus infiziert waren. Aus diesem Grund hat der Senat auch die entsprechenden Beweisanträge des Klägers abgelehnt.
Urteil vom 29. April 2024, Aktenzeichen L 1 U 2085/23
(c) LSG Baden-Württemberg, 08.05.2024