Die Streikmaßnahmen der Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di am Universitätsklinikum Bonn sind zulässig. Diese Entscheidung verkündete die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln am 1. Juli 2022 und wies damit die Berufung des Universitätsklinikums Bonn zurück.
Die ver.di fordert vom Arbeitgeberverband des Landes NRW den Abschluss eines „Tarifvertrags Entlastung“ und ruft die Mitarbeitenden des Universitätsklinikums Bonn seit Anfang Mai 2022 zum Streik auf. Das Universitätsklinikum Bonn hält die Streikmaßnahmen für rechtswidrig, weil die Streikforderungen teilweise nicht hinreichend bestimmt und tariflich nicht regelbar seien. Der Streik verstoße zudem gegen die Friedenspflicht und sei in seinem Ausmaß unverhältnismäßig.
Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Widerruf des Streikaufrufs und zur Unterlassung weiterer Streikmaßnahmen hatte das Arbeitsgericht Bonn in erster Instanz mit Urteil vom 14.06.2022 zurückgewiesen (3 Ga 14/22).
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Universitätsklinikums Bonn wies das Landesarbeitsgericht Köln nunmehr zurück.
Der stellvertretende Vorsitzende der 10. Kammer, Herr Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Ralf Weyergraf, verkündete die Entscheidung und erläuterte den Anwesenden die Rechtsgründe, die aus Sicht der Berufungskammer nach der knapp siebenstündigen Anhörung der Parteien am 29. Juni 2022 zur Zurückweisung der Berufung führten.
Er führte zunächst aus, dass die Tarifforderungen der beklagten Gewerkschaft ver.di gemäß Schreiben vom 01.05.2022 hinreichend bestimmt seien.
Nicht abschließende oder beispielhafte Angaben im Aufforderungsschreiben stünden der Bestimmtheit der Tarifforderungen vorliegend nicht entgegen. Die Arbeitgeberseite könne sich hinreichend darauf einstellen, wie sie auf die formulierten Tarifziele reagiere, um einen Arbeitskampf zu vermeiden. Die Funktion des Arbeitskampfs bestehe nur darin, die eigentlichen Tarifverhandlungen anzuschieben; die konkrete Ausgestaltung sei Sache der Tarifverhandlungen. In diesem Sinne führten die Parteien auch seit Monaten Tarifgespräche, wenn auch noch ergebnislos.
Der Streik sei nicht rechtswidrig mangels tariflicher Regelbarkeit aufgrund ausschließender Regelungen des Gesetzes über die Pflegeberufe sowie des Gesetzes über den Beruf der Anästhesietechnischen Assistentin und des Anästhesietechnischen Assistenten und über den Beruf der Operationstechnischen Assistentin und des Operationstechnischen Assistenten. Diese gesetzlichen Regelungen stünden nach Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck insbesondere einer zur Stärkung der Ausbildungsqualität beabsichtigten günstigeren Regelung der Tarifvertragsparteien nicht entgegen. Es handele sich hierbei um eine angestrebte Verbesserung von Arbeits- bzw. Ausbildungsbedingungen, die – anders als Ausbildungsinhalte – dem Schutzbereich des Art 9 Abs. 3 GG unterfalle.
Der Streik für einen „Tarifvertrag Entlastung“ verstoße nicht gegen die tarifvertragliche Friedenspflicht. Weder der TV-L noch die einschlägigen Ausbildungstarifverträge TVA-L Gesundheitsberufe und dem TVA-L Pflege regelten (abschließend) das Streikziel einer präventiven, vorbeugenden Verhinderung des Entstehens spezifischer Belastungssituationen.
Schließlich sei der Streik derzeit nicht unverhältnismäßig. Das Streikrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG unterliege Einschränkungen, soweit verfassungsrechtlich geschützte Güter Dritter – hier Patientenrechte nach Art. 2 Abs. 2 GG – betroffen seien. Es bedürfe eines Ausgleichs der beiderseitig verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen im Wege der praktischen Konkordanz. Dieser Grundsatz fordere, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal durchgesetzt werde. Alle Interessen müssten einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren. Im Bereich der Daseinsvorsorge eines Klinikbetriebs bedeute dies, dass vorrangig eine angemessene, ausreichende und geeignete Notversorgung sicher zu stellen sei. Eine Notversorgung, die diesen Anforderungen entspreche, hätten die Parteien in konstruktiver Art und Weise im Verhandlungstermin am 29. Juni 2022 vereinbart, indem sie unter anderem die Notversorgung qualitativ und quantitativ durch die Erhöhung des Mindestbetriebs von 16 Operationssälen auf 25 Operationssäle nebst entsprechendem Fachpersonal verbesserten.
Quelle: Landesarbeitsgericht Köln, Pressemitteilung vom 1. Juli 2022