Der 8. Strafsenat des Kammergerichts (Staatsschutzsenat) hat heute den 32-jährigen Anh T. L. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit und Beihilfe zur Freiheitsberaubung in zwei tateinheitlichen Fällen, davon in einem Fall über eine Woche dauernd, zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Nach Überzeugung des Gerichts hat der zuletzt in Prag lebende vietnamesische Angeklagte 2017 im Rahmen einer vietnamesischen Geheimdienstoperation an der Entführung der vietnamesischen Staatsangehörigen Xuan Thanh Trinh und dessen Geliebter Thi Minh P. D. aus Berlin mitgewirkt. Das spätere Entführungsopfer Xuan Thanh Trinh – ein in Ungnade gefallener ehemaliger Funktionär der kommunistischen Partei Vietnams und ehemaliger Vorstandsvorsitzender eines staatlichen Bauunternehmens – war 2016 aus Angst vor seiner Inhaftierung nach Deutschland geflüchtet und hatte hier erfolgreich Asyl beantragt. In seinem Heimatland wurden strafrechtliche Ermittlungen wegen angeblicher Wirtschaftsstraftaten gegen ihn geführt. Nach den Feststellungen des Gerichts seien die Vorwürfe politisch motiviert gewesen.


Nach Überzeugung des Gerichts habe der Angeklagte bereits im Vorfeld der Entführung an der Tat mitgewirkt. Unter anderem habe er ein für die Observierung der späteren Entführungsopfer genutztes Fahrzeug von Prag nach Berlin verbracht. Am Vormittag des 23. Juli 2017 seien Xuan Thanh Trinh und seine Begleiterin – die sich im Tatzeitpunkt auf einem Spaziergang am Rand des Tiergartens befunden hätten – von mehreren Tatbeteiligten umringt und gewaltsam in ein von dem Angeklagten gesteuertes Fahrzeug gezerrt worden. Von dort seien die Entführungsopfer direkt zur vietnamesischen Botschaft in Berlin verbracht worden.


Xuan Thanh Trinh sei später von der vietnamesischen Botschaft in Berlin über Bratislava und Moskau nach Vietnam verbracht worden, wo er zwischenzeitlich zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt wurde. Der Angeklagte sei an der Verbringung des Entführungsopfers nach Bratislava wiederum als Fahrer beteiligt gewesen. In Bratislava sei Trinh unter falschen Namen als Teil der vietnamesischen Delegation in ein Arbeitstreffen zwischen dem vietnamesischen Minister für öffentliche Sicherheit und seinem slowakischen Amtskollegen eingeschleust worden. Von dort sei er als Teil der Delegation unter Umgehung der sonst üblichen Personenkontrollen aus dem Schengenraum verbracht worden.


Bei der Strafzumessung sei berücksichtigt worden, dass der Angeklagte bei der Tat eine gewichtige Rolle eingenommen habe. Die Beteiligung externer, nicht dem Geheimdienst angehöriger Personen, sei erforderlich gewesen, um die Beteiligung der vietnamesischen Botschaft und des vietnamesischen Geheimdienstes an dem Geschehen zu verschleiern. Ausgangspunkt für die Ermittlungen sei ein Augenzeuge der Entführung gewesen, dem es gelungen sei, ein Foto von dem Kennzeichen des Tatfahrzeugs zu fertigen. Die Beziehungen Deutschlands zu Vietnam seien durch diese Tat bis heute nachhaltig erschüttert.

Der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft hatte in seinem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren beantragt, die Verteidigung des Angeklagten hat auf Freispruch plädiert.

Es war das zweite Urteil, das im Zusammenhang mit der Entführung des vietnamesischen Geschäftsmanns und seiner Begleiterin ergangen ist. Das Kammergericht hatte bereits am 25. Juli 2018 einen Beteiligten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt (Pressemitteilung des Kammergerichts Berlin Nr. 29/18).
Das heutige Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann mit dem Rechtsmittel der Revision angefochten werden. Der bestehende Haftbefehl wurde aufrechterhalten, d.h. der Angeklagte verbleibt weiter in Untersuchungshaft.


Az.: 8 – 1/22

Quelle: Kammergericht Berlin, Pressemitteilung vom 30. Januar 2023

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