Bislang bestand in Sachsen keine Möglichkeit, den Vollzug in freien Formen für weibliche Strafgefangenen in einer geeigneten Einrichtung umzusetzen. Um dies auf den Weg zu bringen, hat das sächsische Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (SMJusDEG) 2022 die Outlaw gGmbH beauftragt ein solches Projekt gemeinsam mit der Justizvollzugsanstalt Chemnitz anzugehen. Die JVA Chemnitz ist die zentrale sächsische Anstalt für den Vollzug an weiblichen Gefangenen aus den Freistaaten Sachsen und Thüringen.
Justizministerin Katja Meier: »Ich freue mich, dass wir heute bundesweit einmaligen vollzugspolitischen Meilenstein setzen können, indem wir den Vollzug in freien Formen für weibliche Gefangene ermöglichen und damit auch ein weiteres Vorhaben des sächsischen Koalitionsvertrages umsetzen. Im Vollzug in freien Formen ist eine individuelle und ressourcenorientierte Arbeit mit den Gefangenen am Resozialisierungsauftrag möglich. Das Ziel eines künftig straffreien Lebens kann hier durch verstärkte Resozialiserungsbemühungen besser erreicht werden. Bereits 2021 konnten wir ein Projekt des Vollzugs in freien Formen für männliche erwachsene Strafgefangene in Dresden in Betrieb nehmen. Es war mir ein ebenso wichtiges Anliegen, dieses Projekt auch für weibliche Verurteilte zu öffnen. Mit der am 11. Januar 2023 erfolgenden Aufnahme der beiden ersten verurteilten Frauen in dem Projekt »Halbe Treppe« in Mohorn sind wir bundesweit Vorreiter. Ich freue mich darauf, bald vor Ort mit den Teilnehmerinnen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Gespräch über die ersten Erfahrungen in diesem neuen Projekt sprechen zu können. Ich bin überzeugt, dass wir nun in Sachsen auch für erwachsene weibliche Strafgefangene eine ganz hervorragende Form der Resozialisierung im Vollzug in freien Formen haben.«
Das Projekt »Halbe Treppe« – Vollzug in freien Formen für Frauen ist auf einem Dreiseitenhof in Mohorn eingerichtet. Zum Projektbeginn ist eine Unterbringung von bis zu drei Frauen möglich. Nach einer Etablierungsphase könnte eine Ausweitung auf bis zu sechs Plätze erfolgen. Die Mindestaufenthaltsdauer sollte sechs Monate betragen. In einem weiterführenden späteren Projektabschnitt sollen diejenigen Frauen konkret unterstützt werden, die auch Mütter sind und nach der Haftzeit wieder mit ihren Kindern zusammenleben wollen. Die gemeinsame und angeleitete Unterbringung von Müttern mit Kindern soll dann in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Jugendämtern abgestimmt werden und den Müttern einen guten Übergang in das Leben in Freiheit ermöglichen. Eine Nachbetreuung nach der Entlassung ist im Rahmen von Hausbesuchen vorgesehen.
Die Projektmitarbeiterin und Teamleiterin der Outlaw gGmbH Simone Stüber: »Wir werden in unserem Projekt des Vollzugs in freien Formen zu Beginn bis zu drei Frauen die Möglichkeit geben, außerhalb der Justizvollzugsanstalt ihre Strafe zu verbüßen und diese Zeit zu nutzen, um ein eigenverantwortliches Leben nach der Haft optimal vorzubereiten. Neben dem pro-sozialen Lernen im Rahmen einer »positiven Gruppenkultur« in kleiner Gruppe, gehört das Lernen an Vorbildern sowie die Auseinandersetzung mit individuellen Zielen zum Aufgabenspektrum der Teilnehmerinnen im Vollzug in freien Formen. Die Tage werden mit handwerklichen und praktischen Tätigkeiten gefüllt, ergänzt durch Sport und Freizeitangebote. Unser Projekt will den Frauen eine alternative Möglichkeit eröffnen, mit pädagogischer Unterstützung und bedarfsgerechten Angeboten an ihrer weiteren Lebensgestaltung zu arbeiten. Unser Ziel ist, dass die Frauen ihr Leben aktiv gestalten und für die zukünftigen Herausforderungen gestärkt sind. Eine solide Lebenssituation ist die Basis für ein zukünftig straffreies Leben und damit auch der beste Schutz für die Gesellschaft.«
Im sächsischen Justizvollzug wird Rahmen der Vollzugs- und Eingliederungsplanung geprüft, ob Verurteilte im geschlossenen Vollzug, im offenen Vollzug oder in einer Einrichtung des Vollzugs in freien Formen untergebracht werden. Die sogenannten Trennungsgrundsätze sehen dabei eine getrennte Unterbringung von weiblichen und männlichen Verurteilten vor.
Hintergrund
Das Sächsische Jugendstrafvollzugsgesetz sieht vor, dass Gefangene im Vollzug in freien Formen untergebracht werden, wenn sie dessen besonderen Anforderungen genügen, insbesondere nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug entziehen oder während der dortigen Unterbringung Straftaten begehen. Eine Unterbringung im Vollzug in freien Formen erfolgt nur mit Zustimmung der Verurteilten. Seit 2011 betreibt der Verein Seehaus e.V. eine Einrichtung des Jugendstrafvollzugs in freien Formen in Sachsen. Seit 2018 ist das Projekt in der Gemeinde Neukieritzsch mit insgesamt 14 Teilnehmerplätzen in zwei Wohngemeinschaften eingerichtet. Mit der Änderung des Sächsischen Strafvollzugsgesetzes vom 5. März 2019 wurde die bis dahin nur für Jugendstrafgefangene vorgesehene Möglichkeit, den Vollzug in freien Formen durchzuführen, als weitere Vollzugsform auch für erwachsene Strafgefangene eingeführt (§ 15 Absatz 4 SächsStVollzG). Das ermöglichte, auch im Seehaus Leipzig junge erwachsene Strafgefangene unterzubringen.
Im seit August 2021 bestehenden Projekt »Pier 36« des Vereins für soziale Rechtspflege Dresden e.V. können bis zu vier nach Erwachsenenstrafrecht verurteilte männliche Gefangene untergebracht werden. Für die Umsetzung der Projektziele ist eine Unterbringung im Vollzug in freien Formen von mindestens 6 Monaten erforderlich. Eine Unterbringung kann für bis zu 12 Monate erfolgen. Während des Aufenthalts im Projekt erfolgt eine intensive pädagogische Einzel- und Gruppenbetreuung. Jeder Teilnehmer erhält eine individuelle Begleitung, der Alltag wird durch verbindliche Wochenpläne und Tagesabläufe strukturiert.
Quelle: Sächsisches Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung, Pressemitteilung vom 10. Januar 2023