Die Niedersächsische Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann, die niedersächsischen Generalstaatsanwälte und die Leitungen aller Staatsanwaltschaften lehnen einhellig das Vorhaben des Bundesjustizministeriums ab, künftig die strafgerichtlichen Hauptverhandlungen per Video aufzuzeichnen. Ein entsprechender Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums löse keine Probleme, sondern schaffe nur neue. Weder leiste er einen sinnvollen Beitrag zur Digitalisierung der Justiz noch berücksichtige er die tiefgreifenden Einschnitte in die Persönlichkeitsrechte und die besondere Stresssituation einvernommener (Opfer-) Zeugen. Das Gebot eines umfassenden Opferschutzes werde missachtet, wenn zu befürchten stehe, dass sich die Aussage von Zeugen möglicherweise eines Tages im Internet wiederfinde. Denn niemand könne einen Missbrauch der Aufzeichnungen ausschließen. Es sei dann sicher auch zu erwarten, dass die so wichtige Wahrheitsfindung erheblich erschwert oder gar verhindert werde. Eine unbefangene Aussage über sie belastende oder gar intime Details sei von den Zeugen angesichts der laufenden Kameras nicht mehr zu erwarten. Vollständig unberücksichtigt lasse der Entwurf zudem die massiven Auswirkungen auf das Revisionsverfahren, das es in der jetzigen Form so nicht mehr geben könne.
Die niedersächsischen Generalstaatsanwälte kritisieren zudem das offensichtlich interessengeleitete Vorgehen des Bundesjustizministeriums scharf. Auf der Homepage des Bundesjustizministeriums seien zahlreiche Stellungnahmen von interessierten Kreisen veröffentlicht, nur nicht die klar ablehnende gemeinsame Stellungnahme sämtlicher Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälte Deutschlands. Damit habe das Bundesjustizministerium der versprochenen Transparenz einen Bärendienst erwiesen.
Die Niedersächsische Justizministerin Dr. Wahlmann teilt diese Kritik: „Ich lehne das geplante Gesetzesvorhaben aus Berlin ab. Daraus spricht ein Misstrauen gegenüber der gesamten Richterschaft, das ich nicht nachvollziehen kann. Ich sehe darin auch keinen Mehrwert, im Gegenteil: Ein solches Gesetz schwächt unseren Rechtsstaat. Zeugen, die sich ohnehin einer angespannten Situation vor Gericht ausgesetzt sehen, würden durch eine audiovisuelle Aufzeichnung ihrer Aussagen und der Angst einer unrechtmäßigen Veröffentlichung im Internet noch weiter verunsichert. Die Verlässlichkeit von Zeugenaussagen, die ein gewichtiges Beweismittel im Strafprozess darstellen, würde geschwächt. Außerdem gibt der Gesetzesentwurf weder Antworten auf die Frage der technischen Umsetzung des Vorhabens noch auf die Frage seiner Finanzierung. Der Gesetzentwurf mag fortschrittlich und modern klingen, in Wirklichkeit wird er die Rechtsprechung deutlich teurer, schwieriger und langwieriger machen. Das kann niemand wollen und das hat auch nichts mit Innovation zu tun.“
Quelle: Niedersächsisches Justizministerium, Pressemitteilung vom 14. März 2023
Gemeinsame Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaften zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung
[dflip id=“16830″ ][/dflip]