Die Debatte zu Kindesmissbrauch in den Kirchen hat auch eine öffentliche Debatte über das Versagen von Fürsorge- und Aufsichtspersonen ausgelöst. Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen Geistliche nach Bekanntwerden ihrer Missbrauchstaten – teils sogar nach einschlägiger Verurteilung – weiter in der Seelsorge eingesetzt wurden. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich: „Nach geltendem Recht können Personen, die durch ihr Tun oder – vor allem – Unterlassen sexuellen Missbrauch von Kindern fördern, nur in besonderen Konstellationen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Bei Taten des sexuellen Missbrauchs setzt dies stets Vorsatz voraus. Bei einer Körperverletzung kann hingegen bereits einfache Fahrlässigkeit zu Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren führen. Es ist unverständlich, warum der strafrechtliche Schutz vor Körperverletzungen an dieser Stelle weiter reicht als bei sexuellem Missbrauch von Kindern. Diese Schutzlücke muss der Bundesgesetzgeber aus meiner Sicht schließen.“
Bayern hatte dazu gemeinsam mit Baden-Württemberg einen Antrag bei der 93. Justizministerkonferenz (1./2. Juni 2022) eingebracht, dem parteiübergreifend alle Bundesländer zustimmten. Eisenreich: „Es ist die Aufgabe des Rechtsstaates, Kinder bestmöglich zu schützen. Der Bund hat – wie seit langem von Bayern gefordert – den Kindesmissbrauch vom Vergehen zu dem hochgestuft, was er ist: ein Verbrechen. Wir fordern den Bundesgesetzgeber auf, zusätzlich Fälle in den Blick zu nehmen, in denen fürsorge- oder aufsichtspflichtige Personen eine fremde Missbrauchstat durch grobes Fehlverhalten fördern.“
Eine rechtspolitische Debatte über die strafrechtliche Verantwortung dieses Personenkreises ist bislang trotz erschütternder Missbrauchstaten ausgeblieben. Die Fragestellung reicht dabei weit über den kirchlichen Bereich hinaus. Eisenreich: „Die große Mehrheit der Aufsichtspersonen in Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften, in Schulen, in Sportvereinen oder in Ämtern setzt sich mit großem Engagement für das Wohl von Kindern ein. Diesen Menschen möchte ich ausdrücklich danken. Wer aber bei der Aufsichtspflicht in Fällen von Kindesmissbrauch schwer versagt, der muss nach dem Willen Bayerns mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.“
Justizminister Eisenreich setzt sich für die Schaffung eines neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch (§ 176f StGB) ein. Vorgeschlagen wird eine ausgewogene Regelung, die dem wichtigen Ziel des Kindesschutzes vor Missbrauch effektiv dient und gleichzeitig keine unangemessenen Sanktionsrisiken schafft. Sie soll deshalb auf Fälle schweren Versagens, also grober Pflichtverletzungen, von fürsorge- oder aufsichtspflichtigen Personen beschränkt werden. Die Strafbarkeit sollte auch voraussetzen, dass es tatsächlich zum sexuellen Missbrauch eines Kindes gekommen ist, der durch pflichtgemäßes Verhalten verhindert oder zumindest erschwert worden wäre. Eisenreich: „Für diese Fälle schlagen wir eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor. Es geht hier um den Schutz unserer Kinder.“
Der Minister: „Die Schutzlücke im Strafrecht kann nur durch ein Bundesgesetz geschlossen werden. Der Bundesjustizminister ist aufgefordert, zu handeln.“
Quelle: Bayerisches Staatsministerium der Justiz, Pressemitteilung vom 20. April 2023