Das Landgericht Traunstein verurteilte am 10.08.2022 einen 24-jährigen polnischen Staatsangehörigen wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs in 12 Fällen zu einer Haftstrafe von 10 Jahren 8 Monaten. Im Urteil wurde zugleich die Einziehung von Wertersatz in Höhe von rund 250.000 Euroangeordnet. Der Bundesgerichtshof verwarf nun die Revision des Angeklagten. Die Entscheidung ist somit rechtskräftig. Die weiteren Urteile des Landgerichts Traunstein, mit denen zwei Männer und eine Frau der Bande in einer geringeren Anzahl an Fällen als Mittäter des 24-Jährigen zu Haftstrafen im Bereich von knapp 5 Jahren bis zu 7 Jahren 6 Monaten verurteilt wurden, sind ebenfalls rechtskräftig.
Nach den Feststellungen der 7. Strafkammer des Landgerichts Traunstein bildeten die vier Angeklagten, bei denen es sich um polnische Staatsangehörige im Alter zwischen 24 und 59 Jahren handelt, innerhalb der Bande die so genannte „Abholergruppe“. Die Mitglieder der Bande begingen von März bis Juni 2021 organisiert und arbeitsteilig an verschiedenen Tatorten in Bayern 12 Betrugsstraftaten in unterschiedlichen Besetzungen nach dem Muster des sogenannten Schockanrufs.
Der 24-jährige Haupttäter hatte innerhalb der Gruppe eine herausgehobene Stellung und fungierte als „Teamleader“. Er stand stets in engem Kontakt mit den Hinterleuten der Bande in Polen, wählte Fahrer und Abholer aus und kontaktierte diese selbständig. Er war an allen 12 Betrugstaten als Mittäter beteiligt, mit denen insgesamt ein Schaden von rund 250.000 Euro verursacht wurde. Von der Beute durfte er Fahrer und Abholer bezahlen und sich selbst seinen Anteil behalten. Den Rest musste er vollständig an die Hinterleute weiterleiten.
Mit ihrer rechtlichen Bewertung ist die 7. Kammer in vollem Umfang der Anklage des Staatsanwaltschaft Traunstein gefolgt. Dort hatte die Spezialabteilung zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden und organisierten Kriminalität nach dem „Traunsteiner Modell“ Fälle aus ganz Bayern zusammengezogen, um eine Gesamtschau und einheitliche Ahndung erreichen zu können und in enger Zusammenarbeit mit der KPI (Z) in Traunstein und weiteren Polizeidienststellen der Polizeipräsidien Oberbayern Süd und Mittelfranken die komplexen Ermittlungen erfolgreich durchgeführt.
Der Leiter der Spezialabteilung Oberstaatsanwalt Dr. Martin Freudling: „Es hat sich wieder einmal gezeigt, wie wichtig es war, im Jahr 2018 bei der Staatsanwaltschaft Traunstein mit dem „Traunsteiner Modell“ eine neue Spezialabteilung zu schaffen, um grenzüberschreitende und organisierte Kriminalität effektiv verfolgen zu können. Der stetige Ausbau der internationalen Kontakte zu Staatsanwaltschaften und Polizeidienststellen in ganz Europa erweist sich gerade bei Ermittlungen gegen Banden, die sich zur Begehung von Betrugstaten mit Schockanrufen zusammengeschlossen haben, als sehr hilfreich. Mein besonderer Dank gilt den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in meiner Abteilung für ihren überobligatorischen Einsatz im Rahmen der Ermittlungen und den Kriminalpolizeibeamtinnen und -beamten der KPI (Z) für die ausgezeichnete Zusammenarbeit. Es freut mich, dass sich das „Traunsteiner Modell“, das mittlerweile nach unserem Vorbild bei zahlreichen weiteren bayerischen Staatsanwaltschaften eingeführt wurde, nun schon zum wiederholten Male als echtes „Erfolgsmodell“ erwiesen hat.“
In dem sehr sorgfältig begründeten Urteil gegen den Haupttäter, das nach 14 Hauptverhandlungstagen und einer aufwendigen Beweisaufnahme verkündet wurde, setzt sich die Große Strafkammer auf über 100 Seiten detailliert mit der Bandenstruktur und den Einzeltaten auseinander. Das im Vergleich zu anderen Urteilen, die bisher bundesweit im Zusammenhang mit Schockanrufen ergangen sind, sehr hohe Strafmaß von 10 Jahren 8 Monaten Gesamtfreiheitsstrafe wird insbesondere damit begründet, dass der Angeklagte allein zur Begehung der Straftaten nach Deutschland eingereist ist, die konkrete Art und Weise seiner Tatbeteiligungen auf eine erhebliche kriminelle Energie schließen lässt und die Täuschungshandlungen von vornherein darauf angelegt waren, die Opfer durch die Mitteilung über einen angeblich schweren Unfall von Familienangehörigen zu schockieren und unter Druck zu setzen.
Innerhalb des individuell angemessenen Strafrahmens hat die Kammer zudem generalpräventive Erwägungen strafschärfend berücksichtigt. Auf die allgemeinbekannte Zunahme von versuchten und vollendeten Betrugstaten nach dem Modus „Schockanrufe“ müsse mit spürbaren Strafen geantwortet werden, um potenzielle Täter abzuschrecken und zugleich das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsordnung zu stärken.
(c) Generalstaatsanwaltschaft München, 06.10.2023