Die Generalstaatsanwaltschaft München hat in der sog. Aserbaidschan-Affäre nach umfangreichen Ermittlungen zusammen mit dem Bundeskriminalamt am 08.12.2023 Anklage gegen vier Angeschuldigte unter anderem wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern und Beihilfe hierzu zum Oberlandesgericht München erhoben. Gleichzeitig wurde die Einziehung der dadurch erlangten Geldbeträge beantragt. Da eine Beschuldigte während des Ermittlungsverfahrens verstorben ist, richtet sich der Einziehungsantrag insoweit gegen ihren Erben.
Der Anklageschrift liegt unter anderem folgender – vor Gericht noch zu beweisender – Sachverhalt zugrunde:
Aserbaidschan ist im Jahre 2001 dem Europarat beigetreten. Seitdem versuchten Vertreter des Staates Aserbaidschan wiederholt, Abstimmungen in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Parliamentary Assembly of the Council of Europe/PACE) durch Gewährung von Geld- und Sachvorteilen an PACE-Mitglieder zugunsten von Aserbaidschan zu beeinflussen (sog. Kaviar-Diplomatie). Bei der PACE handelt es sich um das zuständige Organ für die Beratung und Erarbeitung von Empfehlungen für den Europarat; sie besteht aus Vertretern der nationalen Parlamente Europas.
Seit dem 01.09.2014 ist die Beeinflussung der Tätigkeit von Mitgliedern der Parlamentarischen Versammlungen von internationalen Organisationen von der Strafvorschrift des § 108e StGB erfasst.
Aserbaidschan gelang es, den Angeschuldigten Eduard L., ehemaliger Bundestagsabgeordneter (1976 – 2009) und bis 2010 Mitglied der PACE, als Lobbyisten zu gewinnen. Dazu schlossen ein staatseigenes aserbaidschanisches Unternehmen und zwei Gesellschaften des Angeschuldigten Rahmenverträge, die für die Gesellschaften monatliche Vergütungen für angeblich von den Gesellschaften erbrachte Leistungen vorsahen. So erhielt Eduard L. bis 2016 einen mehrfachen Millionenbetrag über 19 ausländische Briefkastenfirmen..
Der Angeschuldigte Eduard L. warb mit den so erlangten Geldern die zwischenzeitlich verstorbene ehemalige Bundestagsabgeordnete St. (2009 bis 2021) an, die zusagte, dass sie als PACE-Mitglied gemäß den Vorgaben Aserbaidschans tätig werde. Hierfür erhielt sie in den Jahren 2014 bis 2017 insgesamt 149.900 € als Bestechungsgeld und stimmte in den Jahren 2015 und 2016 zugunsten Aserbaidschans ab.
Der Angeschuldigte F. hatte im Auftrag des anderweitig Verfolgten S. die Verstorbene St. als Mitglied des Monitoring-Ausschusses nominiert und dadurch deren weitere Tätigkeit gefördert. Der Angeschuldigte F., früherer Bundestagsabgeordneter (1998 bis 2021) und von 2010 bis 2018 in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), hatte mit dem stellvertretenden Mitglied der PACE für Aserbaidschan, dem anderweitig Verfolgten S., im Jahre 2011 vereinbart, gegen Bargeldzahlung zukünftig nach Anweisung im Interesse Aserbaidschans in der PACE tätig zu werden, insbesondere durch positive Redebeiträge, die frühzeitige Übermittlung von vertraulichen Dokumenten und durch sein Abstimmverhalten. Dementsprechend setzte sich der Angeschuldigte F. auch nach Einführung der Strafbarkeit in den Jahren 2015 und 2016 für Aserbaidschan ein und stimmte jedenfalls einmal in einer Sitzung der PACE zugunsten Aserbaidschans ab.
Er erhielt dafür im Jahr 2016 einen Bestechungslohn in Höhe von 21.800 €. Hinsichtlich weiterer Zahlungen in Höhe von 4.500 € im Jahr 2015 ist zwischenzeitlich das Strafverfolgungshindernis der Verjährung eingetreten.
Dem Angeschuldigten Eduard L. liegt Bestechung von Mandatsträgern in drei tatmehrheitlichen Fällen zur Last, dem Angeschuldigten F. Bestechlichkeit von Mandatsträgern in drei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Beihilfe zur Bestechlichkeit. Die Anklage richtet sich darüber hinaus gegen zwei weitere Angeschuldigte, denen im Wesentlichen Beihilfe zu den vorgenannten Taten mit jeweils unterschiedlichen Tatbeiträgen vorgeworfen wird, beginnend mit der Kontaktaufnahme/Anbahnung bis zur Zahlungsabwicklung.
Gegen die verstorbene Abgeordnete St. kann zwar kein Strafverfahren mehr durchgeführt werden. Jedoch unterliegen die von ihr als Bestechungslohn erhaltenen Beträge der selbständigen Einziehung, so dass ihr Ehemann als Erbe an dem Verfahren beteiligt ist. Auch die vom Angeschuldigten F. erlangten Gelder aus den verjährten Tatzeiträumen können selbständig eingezogen werden.
Die Ermittlungen gestalteten sich, insbesondere aufgrund des konspirativen Vorgehens der Angeschuldigten, sehr komplex und zeitaufwendig. Es wurden u.a. bundesweit ca. 20 Objekte durchsucht (darunter Abgeordnetenbüros im Deutschen Bundestag), hierbei Schriftstücke und Speicherdaten in großem Umfang beschlagnahmt und vom Bundeskriminalamt ausgewertet. Hinzu kam eine Vielzahl von Durchsuchungen im Ausland. Insgesamt wurden ca. 15 Europäische Ermittlungsanordnungen oder Rechtshilfeersuchen gestellt, so nach Zypern, Liechtenstein, Belgien, Estland, Lettland und Aserbaidschan sowie in die Schweiz und in die Türkei. Die Ermittlungsakten umfassen 46 Ordner, die Anklageschrift 160 Seiten.
(c) GenStA München, 29.01.2024