Unter den Kriminellen hat sich eine ganze Branche entwickelt, die es gezielt auf das Hab und Gut älterer Menschen abgesehen hat – und dabei die besondere Verletzbarkeit von Senioren bewusst ausnutzt. Bayern hat sich deshalb bei der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und -minister in Berlin (11./12. November) für einen besseren straf- und zivilrechtlichen Schutz von Seniorinnen und Senioren eingesetzt. Aber auch mit Initiativen u. a. zur Reform des Cyberstrafrechts und zur Entlastung der Gerichte bei Massenverfahren konnte der Freistaat punkten. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich: „Ich freue mich, dass alle unsere bayerischen Vorschläge eine Mehrheit gefunden haben.“
I. Besserer Schutz älterer Menschen vor Vermögenskriminalität
Die Konferenz hat sich auf Initiative Bayerns für Änderungen im Strafrecht zum besseren Schutz älterer Menschen vor Vermögenskriminalität ausgesprochen. Der bayerische Antrag sieht u. a. eine erhöhte Mindeststrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe, statt wie bisher einem Jahr, für Fälle von organisiertem Callcenter-Betrug (z. B. „Falsche Polizisten“) vor. In Fällen von Haus- und Familienuntreue soll die Staatsanwaltschaft künftig selbstständig und nicht – wie bisher – nur auf Strafantrag ermitteln können. Justizminister Eisenreich: „Das Strafrecht muss ältere Bürgerinnen und Bürger vor diesen Verbrechen besser schützen. Wer sich gezielt ältere Opfer auswählt und deren Schwäche bewusst ausnutzt, soll härter bestraft werden können.“
II. Schutzlücke bei Vorsorgevollmachten schließen
Die Justizministerinnen und -minister fordern auf Initiative Bayerns, Seniorinnen und Senioren vor einem missbräuchlichen Widerruf von Vorsorgevollmachten zu schützen. Das geltende Recht weist bislang folgende Schutzlücke auf: Dritte erschleichen sich das Vertrauen eines Vollmachtgebers und lassen sich eine umfassende Vorsorgevollmacht erteilen. Mit Hilfe dieser Vorsorgevollmacht widerruft der Dritte weitere Vorsorgevollmachten zugunsten der Angehörigen des mittlerweile geschäftsunfähigen Vollmachtgebers und übt seine Vollmacht unkontrolliert zum Nachteil des Vollmachtgebers aus. Diesem Missstand soll durch einen gesetzlichen Ausschluss des Rechts von Bevollmächtigten, andere Vorsorgevollmachten zu widerrufen, abgeholfen werden. Minister Eisenreich: „Wir müssen Menschen, die besonders verletzlich sind, in unserer Gesellschaft wirksam schützen.“
III. Härtere Strafen bei Cybercrime
Allein die deutsche Wirtschaft hat im vergangenen Jahr einen Schaden von mehr als 220 Milliarden Euro durch Cyberkriminelle erlitten. Cyberangriffe können zu Versorgungsengpässen oder zu massiven Störungen der öffentlichen Sicherheit führen. Im Extremfall – etwa beim Ausfall von Beatmungsgeräten in Kliniken – können sie sogar Menschenleben fordern. Die Justizministerinnen und -minister unterstützen die Forderung Bayerns nach einer Reform des Cyberstrafrechts, das teilweise noch aus den 1980er Jahren stammt. Der Bund wird unter anderem prüfen, ob die Tatbestände und Strafrahmen des Cyberstrafrechts den aktuellen Entwicklungen noch ausreichend gerecht werden und den Unrechtsgehalt der Taten ausreichend widerspiegeln. Gleichzeitig soll geprüft werden, ob den Strafverfolgungsbehörden geeignete und verhältnismäßige Ermittlungsinstrumente zur Verfügung stehen, um diese Delikte effektiv verfolgen zu können. Minister Eisenreich: „Potenzielle Täter müssen abgeschreckt werden und eine adäquate Antwort des Rechtsstaates erhalten. Dafür brauchen unsere Gerichte und Staatsanwälte moderne Gesetze, die in Berlin gemacht werden müssen.“
IV. Gerichte bei Massenverfahren entlasten
Mieten, Flüge, Diesel-Klagen: Immer mehr Bürgerinnen und Bürger, die sich früher an einen Rechtsanwalt gewandt haben, werden nun aktiv von spezialisierten Kanzleien oder Inkassodienstleistern online über Legal-Tech-Tools umworben. Diese versprechen hohe Erfolgschancen und ein geringes bzw. kein Kostenrisiko. Häufig wird auch eine Klage ohne vorangehendes Mandantengespräch oder eine Prozessrisiko-Analyse empfohlen. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich: „Inkassodienstleister und Legal-Tech-Plattformen können Verbrauchern mit niedrigschwelligen Angeboten in bestimmten Bereichen den Zugang zum Recht erleichtern und Kosten sparen sowie für kleine und mittlere Unternehmen neue Geschäftsfelder eröffnen.“ Die zunehmende Zahl der Massenverfahren führt jedoch zu erheblichen Mehrbelastungen der Zivilgerichte. Der Freistaat Bayern schafft daher zusätzliche Stellen. Darüber hinaus sind aber auch gesetzgeberische Maßnahmen notwendig, da die Bearbeitung von Massenverfahren innerhalb des engen Korsetts der geltenden Rechtslage nicht effizient möglich ist. Auf Initiative Bayerns hat die Konferenz daher den Bundesgesetzgeber aufgefordert, ein umfassendes Reformpaket zur Bewältigung zivilgerichtlicher Massenverfahren zu verabschieden. Eisenreich: „Berechtigte Ansprüche von Geschädigten dürfen selbstverständlich nicht beschränkt werden. Eine effektive Durchsetzbarkeit von Verbraucherrechten ist wichtig. Die derzeitige Rechtslage führt aber zu einem unnötigen Verschleiß wertvoller Justizressourcen. Die Gerichte benötigen die rechtlichen Werkzeuge, um Massenklagen in angemessener Zeit bearbeiten zu können.“
V. Zivilprozess der Zukunft
Auf gemeinsame Initiative von Hessen und Bayern hat sich die Konferenz dafür ausgesprochen, dass es dringend einer Modernisierung und Digitalisierung des Zivilprozesses bedarf. Der Rechtsschutz von Bürgerinnen und Bürger soll weiter verbessert und die zivilgerichtlichen Verfahren beschleunigt und noch effektiver gestaltet werden. Bereits im vergangenen Jahr wurde der Beschluss gefasst, dass das Bundesjustizministerium eine Kommission zu dem Reformvorhaben einsetzen soll. Dies ist bisher nur unzureichend geschehen. Minister Eisenreich: „Die Welt wird immer digitaler. Wir wollen die Chancen der Digitalisierung auch in der Justiz nutzen. Voraussetzung hierfür ist auch ein modernes Prozessrecht. Hier gibt es Handlungsbedarf: Die ZPO ist für die Papierakte geschrieben worden, nicht für die E-Akte. In der Bund-Länder-Arbeitsgruppe und in der Arbeitsgruppe ‚Modernisierung des Zivilprozesses‘ der Präsidentinnen und Präsidenten der Obergerichte wurde wertvolle Vorarbeit geleistet. Der Bund muss jetzt tätig werden. Wir brauchen eine breit geführte Diskussion, die alle Akteure einbezieht: Gerichte, Rechtsanwälte, Wissenschaftler, Wirtschaft, Verbraucherverbände. Und wir brauchen mehr Tempo bei der Umsetzung. Das gilt beispielsweise bei den Themen Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung und der Einführung eines ‘Beschleunigten Online-Verfahrens‘. Auch die einfache Ausgestaltung neuer digitaler Angebote der Justiz für Bürgerinnen und Bürger ist dabei ein wichtiges Kriterium.“
VI. Rechtssicherheit für Unternehmen bei Naturkatastrophen
Für die von Naturkatastrophen betroffenen Unternehmen stellt sich die Existenzfrage, ob ihre Schäden durch Versicherungsleistungen, staatliche Hilfsleistungen und andere Maßnahmen ausgeglichen werden können. Die erforderliche Zeit, dies zu klären, gibt ihnen die geltende Rechtslage bislang nicht. Spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung haben Unternehmen einen Insolvenzantrag zu stellen. Andernfalls machen sich die Verantwortlichen sogar strafbar. Der Gesetzgeber hatte in den vergangenen Jahren auf die Hochwasser- und Starkregenereignisse reagiert, indem er in einem Eilverfahren und mit rückwirkender Wirkung eine vorübergehende Aussetzung bzw. Unterbrechung der gesetzlichen Insolvenzantragsfrist angeordnet hat. Die Konferenz unterstützt einen Antrag Bayerns, der durch eine allgemeine, für alle künftigen Fälle geltende Regelung zur Insolvenzantragspflicht bei Naturkatastrophen nachhaltig mehr Rechtssicherheit für die Unternehmen schaffen will. Minister Eisenreich: „Wir benötigen eine rechtssichere Grundlage, die für unsere Unternehmen eine dauerhafte Regelung für künftige Naturkatastrophen trifft.“
VII. Keine verurteilten Vorsatz-Täter im Schöffenamt
In den vergangenen Jahren wurden bundesweit Fälle bekannt, in denen rechtskräftig wegen einer Vorsatztat Verurteilte weiterhin auf der Schöffenbank saßen. Bislang ist für einen Ausschluss vom Schöffenamt u. a. eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten erforderlich. Auf Initiative Bayerns soll der Bund nun prüfen, ob diese hohe Hürde abgesenkt werden sollte, etwa wenn eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat vorliegt. Minister Eisenreich: „Es geht um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unseren Rechtsstaat und auch um die Akzeptanz von Gerichtsentscheidungen. Ein Schöffe, der selbst wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, darf nicht selbst verurteilen.“
Eisenreich abschließend: „Bayern hat bei dieser Konferenz viele wichtige Initiativen auf den Weg gebracht. Ich freue mich, dass unsere Vorschläge überzeugen konnten. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch – umsetzen kann sie nur der Bund. Die neue Bundesregierung ist zum Handeln aufgefordert.“
Quelle: Bayerisches Staatsministerium der Justiz, Pressemitteilung vom 12. November 2021