Die Zahl der in Strafverfahren rechtskräftig verurteilten Personen in Baden-Württemberg ist erneut gesunken und erreicht damit ein Zehn-Jahres-Tief. Entgegen dem allgemeinen Trend steigen jedoch die Zahlen im Bereich der Sexual- und Äußerungsdelikte. Dies erläuterten Ministerin der Justiz und für Migration Marion Gentges und die Präsidentin des Statistischen Landesamtes, Dr. Anke Rigbers, am heutigen Dienstag (9. August 2022) in Stuttgart bei der Vorstellung der Ergebnisse der Strafverfolgungsstatistik des Jahres 2021.
Justizministerin Marion Gentges sagte: „Wie bereits im vergangenen Jahr liegen die Verurteilungszahlen 2021 unter denen des Vorjahres. Von 103.761 Verurteilungen im Jahr 2020 ist ein Rückgang um 7,7% auf 95.776 Verurteilungen im Jahr 2021 zu verzeichnen. Damit wurde der niedrigste Wert innerhalb der letzten zehn Jahre erreicht. Der Rückgang der Verurteilungen erstreckt sich über nahezu alle Deliktsbereiche. Ausnahmen hiervon liegen allerdings im Bereich der Sexual- und Äußerungsstraftaten. Insbesondere bei Verurteilungen wegen Kinderpornografie gab es einen massiven Anstieg um über 40%. Aber auch wegen Beleidigung, Volksverhetzung oder Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen wurden mehr Personen verurteilt als 2020.“
Ebenso wie der Rückgang der Verurteilungszahlen 2020 dürfte auch die erneut rückläufige Entwicklung im Jahr 2021 auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie zurückzuführen sein. 2020 und teilweise auch noch 2021 haben die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie stark in das gesellschaftliche Leben eingegriffen, was zu Veränderungen in den Gelegenheitsstrukturen für kriminelles Handeln führte. Insofern korrespondiert die Strafverfolgungsstatistik auch mit der polizeilichen Kriminalstatistik, die für das Jahr 2021 die geringste Zahl an Straftaten in Baden-Württemberg seit 36 Jahren verzeichnete. Auch die Zahl der Verfahrenseingänge gegen namentlich bekannte Beschuldigte bei den Staatsanwaltschaften (sog. Js-Verfahren) verzeichnete eine Trendwende und sank im Vergleich zum Vorjahr erstmals seit 9 Jahren (2020: 537.588; 2021: 532.125) um 1,02 Prozent.
Ministerin Gentges sagte: „Die Pandemie hat das öffentliche und private Leben verändert. Weniger Sozialkontakte, viel Zeit zuhause, geschlossene Geschäfte, Gaststätten, Bars und Clubs, das macht sich bemerkbar: Verurteilungen wegen Diebstahls sind um 20 Prozent zurückgegangen, wegen Körperverletzungsdelikten um 13 Prozent. Schuldsprüche wegen Privatwohnungseinbruchdiebstählen sind um knapp 13 Prozent gesunken, die wegen einfachen Wohnungseinbruchdiebstählen sogar um mehr als die Hälfte. Außerdem ist interessant, dass die Zahl der verurteilten Verkehrsstraftäter, die die Tat unter Alkohol- oder Drogeneinfluss begangen haben, um fast 14 % gesunken ist.“
Im Gegensatz zu den Entwicklungen in den übrigen Deliktsbereichen ist die Zahl der Verurteilungen wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Vergleich zum Vorjahr um 4,8% auf 1.557 und damit das fünfte Jahr in Folge gestiegen. Während die Anzahl der Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gleichgeblieben ist (248) und die wegen Vergewaltigung sogar um 16,8% gefallen ist (2020: 131; 2021: 109), kam es 2021 zu einem erheblichen Anstieg der Verurteilungen wegen des Umgangs mit Kinderpornografie von 382 Verurteilungen im Jahr 2020 auf 535 Verurteilungen im Jahr 2021. Dies entspricht einem Zuwachs um über 40 Prozent. Bereits im letzten Jahr war ein Anstieg der Verurteilungen um ca. 15 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019 zu verzeichnen gewesen.
Insgesamt dürfte der Anstieg darauf zurückzuführen sein, dass das „National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC)“ jährlich tausende Hinweise der Internetdienste mit Sitz in den USA auf kinderpornografische Internetinhalte an das Bundeskriminalamt weitergibt. Betreffend Baden-Württemberg gingen im Jahr 2019 804, im Jahr 2020 mit 1.660 bereits mehr als doppelt so viele und im Jahr 2021 sogar 2.825 Hinweise ein.
Gentges weiter: „Der Deliktsbereich der Kinderpornografie wird die Justiz leider auch in Zukunft massiv fordern. Das liegt auch daran, dass im Juli 2021 das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder in Kraft getreten ist, das Besitz, Erwerb und Verbreitung von Kinderpornografie als Verbrechen einstuft. Einstellungen wegen Geringfügigkeit oder unter Auflagen und Weisungen sind damit nicht mehr möglich. Das ist richtig und wichtig. Es bedeutet aber, dass in Zukunft noch mehr Fälle der Kinderpornografie bei Gericht landen werden.“
Ein weiterer Bereich der entgegen dem allgemeinen Trend eine deutliche Steigerung verzeichnet sind die Äußerungsdelikte. Wegen eines Beleidigungsdelikts wurden im Jahr 2021 4.964 Personen verurteilt. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies einen Anstieg um knapp 7 Prozent, nachdem bereits im Jahr 2019 ein sprunghafter Anstieg der Verurteilungszahl um knapp 11 Prozent zu verzeichnen war. Wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a StGB) wurden im Jahr 2021 insgesamt 147 Personen und damit 15 Prozent mehr Personen als im Vorjahr verurteilt. Über den Zeitraum der letzten zehn Jahren ist eine insgesamt stark steigende Tendenz zu erkennen. So hat sich die Verurteilungszahl von 2012 zu 2021 nahezu verdreifacht (+ 194 Prozent). Wegen Volksverhetzung oder Gewaltdarstellung (§§ 130,131 StGB) kamen im Jahr 2021 121 Personen zur Verurteilung. Auch in diesem Bereich ist – trotz Schwankungen – seit dem Jahr 2016 eine deutliche Zunahme der Verurteilungen zu erkennen. Im Jahr 2021 überstieg die Verurteilungszahl den Wert von 2012 um 450%.
Gentges sagte hierzu: „Das sind besorgniserregende Zahlen. An ihnen lesen wir nicht nur ab, wie es generell um den Umgangston in unserer Gesellschaft steht, sie zeigen auch, dass in diesem Deliktsbereich die Grenzen zu rücksichtslosen und gefährlichen Äußerungen immer öfter übertreten werden. Beleidigung, Volksverhetzung, das Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen – das sind keine Taten, die wir auf die leichte Schulter nehmen dürfen.“
Ergänzend zur Strafverfolgungsstatistik verwies Gentges in diesem Zusammenhang auf die Sondererhebung zur Hasskriminalität, die seit 2018 im Rahmen einer bundeseinheitlichen Erfassung geführt wird und die im Jahr 2021 im Land einen neuen Höchststand seit Einführung der Statistik erreicht hat – sowohl bei den Verfahrenszahlen, als auch bei den Verurteilungen. „Hasskriminalität stellt eine Bedrohung für unsere freie und offene Gesellschaft dar. Insbesondere Hass im Netz kann den Nährboden für schwerste Straftaten bieten. Wir werden Hasskriminalität daher weiterhin konsequent und mit aller Entschiedenheit begegnen. Ich bin froh, dass wir bereits wichtige Schritte zur Bekämpfung der Hasskriminalität umsetzen konnten. Seit dem 1. Februar 2022 haben wir bei allen baden-württembergischen Staatsanwaltschaften Spezialdezernate eingerichtet, in denen die Bearbeitung von Ermittlungsverfahren wegen Delikten der Hasskriminalität gebündelt ist“, so Gentges.
Darüber hinaus wurde bei den Staatsanwaltschaften und Generalstaatsanwaltschaften eine Ansprechpartnerstruktur für den Deliktsbereich der Hasskriminalität etabliert, um einen effizienten Austausch über aktuelle Entwicklungen und rechtliche Bewertungen häufig verbreiteter Hasspostings in der Praxis zu gewährleisten. Zudem ist im Juli 2022 an die staatsanwaltliche Praxis des Landes der „Erlass zu Verfolgung von Hasskriminalität in Baden-Württemberg“ ergangen. Dieser macht unter anderem deutlich, dass bei Straftaten der Hasskriminalität Opportunitätseinstellungen sorgfältiger Prüfung bedürfen und die Begründung der Entscheidung erkennen lassen muss, warum die Schuld des Täters einer Einstellung im konkreten Fall nicht entgegensteht.
Auf die ausführliche weitere Pressemitteilung des Statistischen Landesamts vom heutigen Tag wird hingewiesen.
Weitere Informationen zur Strafverfolgungsstatistik:
Die Strafverfolgungsstatistik wird jährlich erhoben. In der Statistik wird die Tätigkeit der Gerichte erfasst – nachdem Anklage erhoben wurde. Damit sind diejenigen Taten nicht berücksichtigt, bei denen keine Tatverdächtigen ermittelt werden konnten. Ebenso wenig fließen Zahlen zu Taten ein, bei denen das Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaften eingestellt wurde. Insofern kann die Strafverfolgungsstatistik kein umfassendes Bild der Kriminalität vermitteln. Sie darf nicht mit der Kriminalstatistik der Polizei verwechselt werden.
Als verurteilt gilt eine Person, gegen die nach allgemeinem Strafrecht eine Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe verhängt wurde oder deren Straftat nach Jugendstrafrecht mit Jugendstrafe, Zuchtmittel oder Erziehungsmaßregel geahndet wurde.
Quelle: Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 9. August 2022