Ein 51-Jähriger „Reichsbürger“ leistete im November 2022 massiven Widerstand, als er einer polizeilichen Maßnahme unterzogen werden sollte. Einen Polizisten verletzte er bei seiner Flucht fast mit seinem Auto. Auch für diverse Beleidigungen, Widerstandshandlungen und mehreren Erpresserschreiben an die Amtsgerichtsdirektorin musste er sich nun verantworten. Die Quittung für sein seit Jahren uneinsichtiges Verhalten gegenüber den Behörden bekam er nun vom Amtsgericht Würzburg: ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Der Angeklagte bleibt weiter in Haft.
Die Sicherheitsvorkehrungen waren hoch vor Prozessbeginn am Amtsgericht Würzburg an diesem Montag. Drei zusätzliche Wachtmeister sicherten den Saal, kontrollierten nochmals jeden Zuschauer und kopierten sämtliche Ausweise. Der Grund: Ein 51 Jahre alter „Reichsbürger“ stand vor dem Schöffengericht.
In Fuß- und Handfesseln wurde der seit November in Untersuchungshaft sitzende Angeklagte vorgeführt. Aus Kreisen der Vorführbeamten war zu hören, dass bereits der Transport des Angeklagten nervenaufreibend gewesen sei: ständiges unnötiges Stehenbleiben, Verweigerung von Anweisungen, kein Wort, kein Gruß. Dieses Verhalten zog sich durch den gesamten Prozess. Laut Staatsschutz der Kriminalpolizei gehört der Angeklagte zu den führenden köpfen der Würzburger „Reichsbürger-Szene“. Laut Bayerischem Verfassungsschutz umfasst die Bezeichnung „Reichsbürger“ Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschlands und unseres Rechtssystems ablehnen. Dabei berufen sie sich unter anderem auf das historische Deutsche Reich, Verschwörungstheorien oder ein selbst definiertes Naturrecht. Den Repräsentanten des Staates und dessen Institutionen sprechen sie die Legitimation ab und bestreiten die Gültigkeit der Rechtsordnung.
Die Liste der Vorwürfe der Staatsanwaltschaft war lang: Tätlicher Angriff und Widerstandstand gegen Vollstreckungsbeamte, versuchte gefährliche Körperverletzung, Körperverletzung, diverse Beleidigungen und versuchte Erpressung waren in der Anklageschrift zu hören.
Polizist in zivil erkannte den seit Monaten gesuchten Angeklagten
Im November vergangenen Jahres erkannte ein Polizeibeamter in zivil den Angeklagten auf dem Parkplatz eines Baumarktes, der zur Fahndung ausgeschrieben war und gegen den seit geraumer Zeit eine erkennungsdienstliche Maßnahme durchzuführen war.
Der 51-Jährige ignorierte jedoch die Anweisungen des Beamten und wollte sich den bevorstehenden Maßnahmen entziehen. Er setzte sich auf den Fahrersitz seines Pkw, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr los, wobei der Polizist von der nach wie vor geöffneten Fahrertür erfasst wurde. Ihm gelang es dennoch, die Weiterfahrt durch Schläge und Tritte gegen den Angeklagten zu unterbinden und den Fahrzeugschlüssel aus dem Zündschloss zu ziehen. Obwohl dem 51-Järigen zwischenzeitlich die vorläufige Festnahme erklärt wurde, setzte er seine Flucht zu Fuß. Im Innenhof des Bauhofs konnte der Mann letztlich durch den verfolgenden Beamten nach Eintreffen der uniformierten Streifenbesatzung überwältigt und vorläufig festgenommen werden.
Bis zum Abschluss der polizeilichen Maßnahmen leistete der Beschuldigte immer wieder erheblichen Widerstand. Mehr als 5 Polizeibeamte mussten den Angeklagten bei der Abnahme seiner Fingerabdrücke festhalten. Bei der anschließenden Blutentnahme waren es nochmals mehr.
Darüber hinaus beleidigte er die polizeilichen Einsatzkräfte fortlaufend und verfluchte diese mit religiösen Formeln. Bei der Durchsuchung seines nicht für den Straßenverkehr zugelassenen Pkw – an diesem waren Fantasiekennzeichen angebracht – stellten die Beamten unter anderem auch eine geringe Menge Marihuana sicher.
Weiterer Vorfall im April 2021
Eine zweite Anklage warf dem Angeklagten vor sich bei einer Festnahme im April 2021 als er ohne Fahrerlaubnis mit seinem Fahrzeug auf der Nordtangente in Würzburg unterwegs war ähnlich verhalten zu haben.
Zudem forderte er in mehreren Schreiben in einem familiengerichtlichen Verfahren die Direktorin des Amtsgerichts Würzburg auf, ihm 5.000 Euro zu zahlen. Diese habe in Briefen an ihn seinen Namen zu Unrecht verwendet. Sollte sie weiterhin an ihn schreiben, werde sich die Summe jeweils verzehnfachen. Weitere vier Rechnungen gingen so im Laufe der zeit bei Gericht ein, bis die Summe schließlich 500.000 Euro erreicht hatte.
„Der in braun gekleidete Mann hat nie zu mir gesagt, dass er Polizist ist“, so der Angeklagte in seiner Einlassung. Während dieser stand der Angeklagte auf, und hob die rechte Hand zum „Schwur“. Währenddessen hob eine Zuschauerin im Saal ein Kreuz in die Luft. Begriffe wie „Sippe“, „Postmaster General“ und die Bezeichnung seines Autos als „Schiff, das der in braun gekleidete Mann ihm auf dem Baumarktparkplatz stehlen wollte, vervollständigten dieses befremdlich anzuschauende Ritual.
Sämtliche als Zeugen geladene Polizeibeamte, Augenzeugen auf dem Parkplatz und Mitarbeiter des Bauhofes zeichneten jedoch ein anderes Bild der Tat. Selbstverständlich habe man sich als Polizeibeamter zu erkennen gegeben und den Dienstausweis, den der Angeklagte mehrfach sehen wollte und dessen Legitimation er permanent in Frage stellte, vorgezeigt. Dies war auch für die unbeteiligten Zeugen zu erkennen gewesen.
Bodycamaufnahmen widerlegen Aussage des Angeklagten
Ab dem Eintreffen der uniformierten Streifenbesatzung wurde die Festnahme und die späteren Maßnahmen auf der Polizeiinspektion zudem auf Bodycam festgehalten. Darauf zu sehen: der Angeklagte, der sich mit allem, was er körperlich aufzubieten hatte den Maßnahmen widersetzte und theatralisch vor Schmerzen schrie. „Öffentlichkeitswirksam““ nannte es ein Polizeizeuge.
Der Verteidiger des Angeklagten war der tätliche Angriff auf den Polizeibeamten mittels des Fahrzeugs nicht erfüllt. Auch die Schrieben an die Direktorin des Amtsgerichts seien für eine Erpressung völlig ungeeignet gewesen. Er beantragte eine sechsmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung für seinen Mandanten. Schließlich sitze er ja seit dem Vorfall im November nun schon seit mehr als fünf Monaten in Untersuchungshaft.
Für das Gericht waren sämtliche Vorwürfe am Ende der Hauptverhandlung erwiesen. So lautete auch dann das Urteil auf ein Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Zur Bewährung konnte die Strafe nicht ausgesetzt werden. „Ich sehe keinerlei positive Sozialprognose in ihrem Verhalten hier und heute“, so die Richterin in ihrer Begründung. Die Polizeibeamten hätten immer wieder auf den Angeklagten eingeredet sich zu beruhigen – allerdings ohne Erfolg. „Alle Beteiligten sind sehr professionell mit der ganzen Situation umgegangen, wenn man bedenkt, dass sie eine ganze Polizeidienststelle einen Nachmittag lang mit ihrem Verhalten lahmgelegt haben“, so die Vorsitzende weiter.
Die Staatsanwaltschaft hatte ein Jahr und neun Monate für den einschlägig vorbestraften Mann gefordert. Der Haftbefehl wurde aufrechterhalten – der Angeklagte bleibt weiter in Haft.