Das Amtsgericht München wies am 16.11.2021 die Klage eines Münchners ab, der nach einem Unfall Schmerzensgeld und Schadenersatz in Höhe von insgesamt 4928,43 € begehrte.
Der Kläger überquerte im Frühjahr 2020 an einem Fußgängerüberweg die Steinsdorfstraße im Lehel. Auf der Straße befand sich ein Gullydeckel, der in die Fahrbahnoberfläche eingelassen war. Der Höhenunterschied betrug etwa 2,5 cm. Der Kläger trat mit dem Fuß in den abgesenkten Gullydeckel, knickte um und erlitt eine schmerzhafte Basisfraktur, die eine längere orthopädische Behandlung nach sich zog.
Der Kläger meint, ihm stünden daher 4000 € Schmerzensgeld zu. Er verklagte daher die für den Gullydeckel grundsätzlich verkehrssicherungspflichtige kommunale Versorgungsgesellschaft. Er war der Ansicht, bei Überquerung dieser viel befahrenen Straße müsse man damit rechnen, dass die Fußgänger ihren Blick eher auf das Verkehrsgeschehen richteten, um die Straße sicher zu überqueren, als auf den Boden. Es bestünden daher erhöhte Verkehrssicherungspflichten. Diesen sei die Beklagte nicht nachgekommen.
Die Beklagte war der Ansicht, wenn der Kläger die Straße bei Grün passiert habe, müsse er nicht mit Querverkehr rechnen und könne daher auf die Straßenbeschaffenheit achten. Zudem sei der Gullydeckel trotz Querverkehr gut sichtbar gewesen.
Das Gericht wies die Klage ab. Die zuständige Richterin führte in der Begründung aus:
„Die Beklagte hat die ihr für den streitgegenständlichen Bereich zukommende Pflicht, für einen verkehrssicheren Zustand der Straßen zu sorgen, nicht verletzt. (…)
Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass sich der Straßenbenutzer den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinzunehmen hat, wie sie sich ihm erkennbar darbietet (vgl. etwa OLG Brandenburg, Urteil vom 17.03.2009 – 2 U 29/08). Inhalt der Verkehrssicherungspflicht ist nur, was im Interesse des Verkehrs nach objektivem Maßstab billigerweise verlangt werden kann und zumutbar ist. Dabei ist der Verkehrssicherungspflichtige in der Regel gehalten, solche Gefahren zu beseitigen, auf die sich ein die normale Sorgfalt beachtender Fußgänger selbst nicht hinreichend einstellen und schützen kann. Dies gilt vor allem dann, wenn die Gefahr nicht rechtzeitig erkennbar ist. Geringe Höhenunterschiede im Belag eines Gehwegs hat ein Fußgänger jedoch nach ständiger Rechtsprechung hinzunehmen, wobei es eine feste Grenze hierfür nicht gibt. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung ist eine Differenz von 2 cm bis 2,5 cm noch hinzunehmen (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 17.03.2009 – 2 U 29/08, OLG Celle, Urteil vom 07.03.2001 – 9 U 218/00). Das OLG München nahm mit Urteil vom 03.11.2011 – 1 U 879/11 – sogar bei Vertiefungen von 3 – 4 cm im Bodenbelag eines Dorfplatzes noch keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht an und stellte sich auf den Standpunkt, dass ein Straßenbenutzer solche Höhendifferenzen hinzunehmen und sich auf derartige Unebenheiten einzustellen habe.
Entscheidend sind jedoch die Gesamtumstände der jeweiligen Örtlichkeit. Dass es sich vorliegend bei der Steinsdorfstraße um eine stark befahrene Straße handelt ist unstreitig. Unstreitig ist ebenfalls, dass sich der abgesackte Gullydeckel in einem Bereich befand, der für die Fußgänger durch eine Ampel geregelt war. Das Gericht ist nach dem beiderseitigen Parteivortrag davon überzeugt, dass die Umgebung der Unfallstelle schon deswegen, weil es sich um eine stark befahrene Straße handelt, insgesamt von Fußgängern eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordert. Dass diese Aufmerksamkeit allein auf den Querverkehr gelenkt wäre, so dass man nicht mehr auf die Fahrbahnoberfläche achten könne, ist angesichts dessen nicht überzeugend, dass eine Verkehrsregelung durch eine Ampelschaltung vorhanden ist. Bei Grün breitet sich vor dem Fußgänger mithin die gesamte zu überquerende Fahrbahnoberfläche aus und überblickt er diese, wobei abbiegende Fahrzeuge den Fußgängern Vorrang zu gewähren haben. Eine unübersichtliche Verkehrssituation ist hier gerade nicht gegeben. Beim Überqueren der Straße bei grünem Ampelzeichen hat der Fußgänger grundsätzlich die Möglichkeit, sich auf den Überquervorgang zu konzentrieren. Anders wäre dies etwa in Fußgängerzonen, wo der Fußgänger durch Geschäfte und Schaufenster sowie durch eine große Anzahl von anderen Fußgängern von der Beschaffenheit des Bodenbelags abgelenkt wäre. Den klägerischen Lichtbildern, insbesondere dem als Anlage K1 vorgelegten, ist weiter zu entnehmen, dass sich der abgesackte Gullydeckel schon aufgrund seiner Größe von der restlichen Fahrbahnoberfläche deutlich abgehoben hat und damit auch für die Straße überquerende Fußgänger gut erkennbar war. Bei im Boden eingelassenen Deckeln muss ein sorgfältiger Fußgänger stets damit rechnen, dass an deren Rand Unebenheiten bestehen (vgl. Landgericht Coburg, Urteil vom 14. April 2011 – 21 O 321/10).
Auch die zwischenzeitlich erfolgte Einebnung des Gullydeckels ändert nichts an der fehlenden Verpflichtung der Beklagten zu früheren Maßnahmen.“
Urteil des Amtsgerichts München vom 21.12.2021
Aktenzeichen 182 C 8281/21
Das Urteil ist nach Rücknahme der Berufung rechtskräftig.
Quelle: Amtsgericht München, Pressemitteilung vom 10. Juni 2022