BVerwG2

Alleinerziehenden als international schutzberechtigt anerkannten Elternteilen mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren drohen aktuell bei einer Rückkehr nach Italien keine erniedrigenden oder unmenschlichen Lebensbedingungen, die eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 4 der EU-Grundrechtecharta zur Folge haben. Asylanträge dieses Personenkreises in Deutschland können daher nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG im Einklang mit dem Unionsrecht als unzulässig abgelehnt werden. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Die Klägerinnen, beide nigerianische Staatsangehörige, wurden in Italien als international schutzberechtigt anerkannt. Sie verließen Italien und reisten in das Bundesgebiet ein. Ihre Asylanträge wurden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als unzulässig abgelehnt und ihnen wurde die Abschiebung nach Italien angedroht. Die hiergegen erhobenen Klagen blieben in den Vorinstanzen im Wesentlichen erfolglos. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründung des Berufungsurteils ausgeführt, der (erneut schwangeren) Klägerin zu 1 als alleinerziehender Mutter und der in Rom geborenen siebenjährigen Tochter (Klägerin zu 2) drohten auch als vulnerable international Schutzberechtigte unter Zugrundelegung der von der Rechtsprechung geforderten besonders hohen Schwelle der Erheblichkeit bei einer Rückkehr nach Italien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta.

Die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof als sogenannte Tatsachenrevision nach § 78 Abs. 8 AsylG wegen einer Abweichung von der Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Italien von alleinerziehenden Elternteilen mit minderjährigen Kindern durch mehrere andere Oberverwaltungsgerichte zugelassene Revision der Klägerinnen hatte keinen Erfolg.

Die allgemeine Lagebeurteilung für ein alleinerziehendes Elternteil mit einem Grundschulkind und einem Kind unter drei Jahren durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erweist sich auf der für das Bundesverwaltungsgericht maßgeblichen Grundlage der aktuellen Erkenntnislage als zutreffend. Danach ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass nach Italien zurückkehrende Schutzberechtigte der genannten Gruppe dort in eine extreme materielle Notlage geraten werden, die es ihnen nicht erlaubt, ihre spezifischen elementarsten Grundbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Ernährung und Hygiene zu befriedigen. Ebenso wie bei der Prüfung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. mit Art. 3 EMRK ist für die Prognose darauf abzustellen, ob die Rückkehrer in der Lage sind, ihre elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Können die zurückkehrenden international Schutzberechtigten in dem anderen Mitgliedstaat Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Situation innerhalb eines absehbaren Zeitraums ausschließen, kann ein Asylantrag nur dann noch zulässig sein, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der behördlichen oder gerichtlichen Tatsachenentscheidung davon auszugehen ist, dass den Rückkehrern nach dem Ende der Unterstützungsleistungen in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verelendung droht.

Zurückkehrende Schutzberechtigte der genannten Gruppe können voraussichtlich zunächst für ein Jahr in einer Einrichtung des Zweitaufnahmesystems SAI familien- und kindgerecht untergebracht werden, in der die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse sichergestellt und eine medizinische Grundversorgung gewährleistet ist. Mit Blick auf die in dieser Einrichtung angebotenen Unterstützungsleistungen unter anderem bei der Suche nach einer Unterkunft, einer Arbeitsstelle sowie der Kinderbetreuung ist auch im Anschluss an diese Unterbringung nicht davon auszugehen, dass ihnen in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verelendung droht.

Beim Bundesverwaltungsgericht sind noch weitere Tatsachenrevisionen nach § 78 Abs. 8 Satz 1 AsylG zu Italien anhängig, die das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht zugelassen hat, da in diesen Verfahren unter anderem die Situation für vulnerable anerkannt Schutzberechtigte in Italien entscheidungserheblich sei und das Oberverwaltungsgericht in der Beurteilung der insoweit maßgeblichen aktuellen allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Italien von dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz abweiche.

BVerwG 1 C 3.24 – Urteil vom 19. Dezember 2024

Vorinstanzen:

VGH München, VGH 24 B 23.30860 – Urteil vom 21. März 2024 –

VG Regensburg, VG RO 14 K 21.31471 – Urteil vom 25. April 2023 –

Bundesverwaltungsgericht, 19.12.2024

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