Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute die Klage eines islamistischen Gefährders gegen eine Abschiebungsanordnung der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport abgewiesen.
Dem Kläger, ein im Jahr 1999 geborener irakischer Staatsangehöriger, war im April 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Im April 2018 wurde die Zuerkennung – bislang nicht bestandskräftig – mit der Begründung widerrufen, er habe vor seiner Aufnahme als Flüchtling im Irak eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt. Zugleich wurde das Vorliegen der Voraussetzungen für ein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf die Republik Irak festgestellt. Im Juni 2021 verurteilte das Kammergericht den Kläger wegen Entwürdigung und Erniedrigung einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt in Tateinheit mit Beihilfe zu einer Tötung einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt und Beihilfe zum Mord aus niedrigen Beweggründen und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland – mittlerweile rechtskräftig – zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten.
Im März 2023 ordnete die Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport die Abschiebung des Klägers gemäß § 58a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in den Irak an. Zugleich erließ sie ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 5b AufenthG. Ein Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen den Bescheid ist ohne Erfolg geblieben (BVerwG 1 VR 1.23). Der Kläger wurde im Juni 2023 in den Irak abgeschoben und befindet sich dort seither in Haft.
Das bei Abschiebungsanordnungen nach § 58a AufenthG in erster und letzter Instanz zuständige Bundesverwaltungsgericht hat die Abschiebungsanordnung mit dem heutigen Urteil als rechtmäßig bestätigt. Nach § 58a AufenthG kann ein Ausländer zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung abgeschoben werden. Für die hierfür erforderliche, auf Tatsachen gestützte Gefahrenprognose bedarf es einer Bedrohungslage, bei der sich das vom Ausländer ausgehende Risiko einer sicherheitsgefährdenden oder terroristischen Tat jederzeit aktualisieren und in eine konkrete Gefahr umschlagen kann. Wie der Senat bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes entschieden hat, kann eine Gefahr im Sinne von § 58a Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch dann vorliegen, wenn der Ausländer zwar nicht selbst ideologisch radikalisiert ist, er sich jedoch von Dritten in dem Wissen um deren ideologische Ziele für entsprechende Gewalthandlungen instrumentalisieren lässt oder er sich im In- oder Ausland in den Dienst einer terroristischen Vereinigung stellt und diese in dem Wissen um deren ideologische Radikalisierung bereitwillig durch die Begehung schwerer Straftaten unterstützt, ohne in der Folge erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand zu nehmen. Diese Voraussetzungen sieht der Senat im Fall des Klägers auf der Grundlage der kammergerichtlichen Feststellungen und einer Gesamtschau vielfältiger weiterer Anhaltspunkte und Indizien als erfüllt an. Danach ging im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Abschiebung von der Person des Klägers eine beachtliche Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und eine ebenso beachtliche terroristische Gefahr aus, auch wenn den Sicherheitsbehörden kein konkreter Plan zur Ausführung einer terroristischen Gewalttat bekannt geworden ist. Abschiebungsverbote standen einer Abschiebung des Klägers in den Irak nicht entgegen. Auf der Grundlage mehrerer diplomatischer Zusicherungen der Republik Irak war davon auszugehen, dass dem Kläger in seinem Herkunftsstaat weder Folter noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention drohte.
Im Hinblick auf eine Vorlage des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen an den Gerichtshof der Europäischen Union wegen der Frage, ob unbefristete Einreise- und Aufenthaltsverbote nach einer Abschiebungsanordnung mit der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG vereinbar sind, hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren in Bezug auf das Einreise- und Aufenthaltsverbot bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem dort anhängigen Verfahren C-446/24 ausgesetzt.
BVerwG 1 A 1.23 – Urteil vom 28. November 2024
BVerwG 1 A 2.24 – Beschluss vom 28. November 2024
Bundesverwaltungsgericht, 28.11.2024