Recht & Politik

Unzulässige Richtervorlage zur Pflicht zum Nachweis einer Impfung gegen COVID-19

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Unzulässigkeit einer Richtervorlage zu § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) festgestellt. Die Vorlage betrifft die Frage, ob die Norm – die die auf bestimmte Einrichtungen und Unternehmen bezogene grundsätzliche Pflicht zum Gegenstand hatte, eine COVID-19-Schutzimpfung oder eine Genesung von der COVID-19-Krankheit nachzuweisen – im Zeitraum vom 7. November bis 31. Dezember 2022 mit dem Grundgesetz vereinbar war.

Das Vorlagegericht ist der Auffassung, § 20a IfSG sei im Laufe des Jahres 2022 in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen. Insofern hätten sich nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. April 2022, mit dem es eine gegen § 20a IfSG in der auch hier maßgeblichen Fassung gerichtete Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen hat, neue Tatsachen ergeben. Insbesondere seien die Einschätzungen des Robert Koch-Instituts zum durch eine Impfung vermittelten Übertragungsschutz wissenschaftlich nicht belastbar gewesen. Der vorgelegten Regelung habe es jedenfalls ab Mitte des Jahres 2022, spätestens ab Oktober 2022, an der Eignung gefehlt, Leben und Gesundheit vulnerabler Personen zu schützen.

Die Vorlage ist unzulässig. Das Vorlagegericht hat seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügend begründet.

Sachverhalt:

Das Vorlageverfahren betrifft die Frage, ob § 20a IfSG in der Fassung vom 18. März 2022 im Zeitraum vom 7. November bis 31. Dezember 2022 mit dem Grundgesetz vereinbar war. Die Norm regelte für den Zeitraum vom 12. Dezember 2021 bis 31. Dezember 2022 die auf bestimmte Einrichtungen und Unternehmen bezogene grundsätzliche Pflicht, eine COVID-19-Schutzimpfung oder eine Genesung von der COVID-19-Krankheit nachzuweisen. Mit Beschluss vom 27. April 2022 hat das Bundesverfassungsgericht eine gegen § 20a IfSG gerichtete Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen. Die Norm sei mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz vereinbar und insbesondere verhältnismäßig.

Der Vorlage liegt ein infektionsschutzrechtliches Tätigkeitsverbot zu Grunde. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist in einem Krankenhaus als Pflegehelferin beschäftigt. Da sie ihrem Arbeitgeber im Jahr 2022 keinen Immunitätsnachweis bezüglich des Coronavirus SARS-CoV-2 vorgelegt hatte, informierte dieser die zuständige Behörde. Nach mehreren Anhörungen verfügte diese auf Grundlage von § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG ein temporäres Tätigkeitsverbot gegen die Klägerin. Dagegen hat sie Klage vor dem vorlegenden Verwaltungsgericht erhoben.

Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, § 20a IfSG sei im Laufe des Jahres 2022 in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen. Insofern hätten sich nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. April 2022 neue Tatsachen ergeben. Insbesondere seien die Einschätzungen des Robert Koch-Instituts zum durch eine Impfung vermittelten Übertragungsschutz wissenschaftlich nicht belastbar gewesen. Der vorgelegten Regelung fehle es jedenfalls ab Mitte des Jahres 2022, spätestens ab Oktober 2022, an der Eignung, Leben und Gesundheit vulnerabler Personen zu schützen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Vorlage ist unzulässig. Die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift wird nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügend begründet.

1. Für die verfassungsrechtliche Schlussfolgerung, § 20a IfSG sei spätestens ab Oktober 2022 unter der Omikronvariante nicht mehr geeignet gewesen, dem Schutz vulnerabler Personen zu dienen, fehlt es schon an widerspruchsfreien Feststellungen. Denn das Vorlagegericht geht selbst von einem vorhandenen Übertragungsschutz aus, den die Impfung auch im Jahr 2022 weiterhin vermittelt habe. Dass dieser reduziert gewesen sein soll, kann von vornherein nicht die Geeignetheit im verfassungsrechtlichen Sinne infrage stellen.

a) So geht das Vorlagegericht davon aus, dass der durch die Impfung vermittelte Fremdschutz nach Auftreten der Omikronvariante nur in geringem Ausmaß gegeben gewesen sei, womit es seine Überzeugung von einem impfinduzierten Fremdschutz zum Ausdruck bringt. Vor diesem Hintergrund ist es aber nicht nachvollziehbar, wie das vorlegende Gericht zur Schlussfolgerung einer gänzlich fehlenden Eignung der Impfung als Instrument zur Reduzierung von Übertragungswahrscheinlichkeiten gelangt.

b) Das Vorlagegericht hat sich auch mit der Senatsentscheidung zur Vorlagenorm nicht inhaltlich befasst. Der Senat hat darin nämlich ausdrücklich gewürdigt, dass der über eine Impfung (oder Genesung) vermittelte Immunschutz über die Zeit abnimmt. Mit den Einschätzungen der Ständigen Impfkommission, den Beurteilungen des Paul-Ehrlich-Instituts, den im Gesetzgebungsverfahren eingeholten Expertenmeinungen und einer Vielzahl von fachkundigen Stellungnahmen im Verfassungsbeschwerdeverfahren befasst sich das vorlegende Gericht nicht. Damit führt es auch nicht aus, warum die ursprünglichen Annahmen des Gesetzgebers im Laufe des Jahres 2022 die durch § 20a IfSG geschaffenen Grundrechtseinschränkungen nicht mehr getragen haben könnten. Vielmehr hat sich das Vorlagegericht von vornherein weiteren – fachwissenschaftlichen – Einschätzungen verschlossen, soweit es dem Gesetzgeber vorwirft, sich uneingeschränkt auf das Robert Koch-Institut verlassen zu haben. Feststellungen zur fachwissenschaftlichen Erkenntnislage betreffend den durch eine Impfung vermittelten Übertragungsschutz im Jahr 2022 fehlen, obwohl sich das Vorlagegericht hierzu gedrängt sehen musste. So wurde im Rahmen der im Fachgerichtsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme auf die Studienlage in diesem Jahr hingewiesen, nach der die Übertragungswahrscheinlichkeit durch aufgefrischt geimpfte Personen um rund 20 % niedriger gewesen sei als diejenige bei ungeimpften Personen.

2. Die Erforderlichkeit stellt das Vorlagegericht in Abrede, weil regelmäßige Testungen des Pflegepersonals milder und gleich geeignet gewesen seien. Eine verständliche Begründung, inwiefern „regelmäßige“ Testungen in jeder Hinsicht einer Pflicht zum Führen eines Impf- oder Genesenennachweises eindeutig gleichwertig sein sollen, fehlt jedoch vollständig.

Beschluss vom 29. Januar 2025 – 1 BvL 9/24

Bundesverfassungsgericht, 20.02.2025

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