Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Unzulässigkeit einer Richtervorlage zu § 32a Abs. 1 Satz 2 Körperschaftsteuergesetz (KStG) festgestellt. Sie betrifft die Frage, ob eine Anwendung der Vorschrift auf im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens festsetzungsverjährte Einkommensteuerfestsetzungen verfassungskonform ist. § 32a Abs. 1 Satz 2 KStG ermöglicht die nachträgliche Berücksichtigung verdeckter Gewinnausschüttungen einer Körperschaft bei der bereits festgesetzten Einkommensteuer des begünstigten Gesellschafters.
Die im Ausgangsverfahren klagenden Eheleute erwarben 1998 gemeinsam mit einer GmbH, an der sie jeweils zu 50 % beteiligt waren, ein bebautes Grundstück. Das Finanzamt stellte in diesem Zusammenhang verdeckte Gewinnausschüttungen fest. 2008 änderte es den Körperschaftsteuerbescheid der GmbH und den Einkommensteuerbescheid der Eheleute für das Jahr 1998; es berücksichtigte gemäß § 32a Abs. 1 Satz 2 KStG die verdeckten Gewinnausschüttungen als Einkünfte. Bei Inkrafttreten des § 32a KStG war die Einkommensteuerfestsetzung 1998 der Eheleute bereits festsetzungsverjährt. Nach ihrem überwiegend erfolglosen Einspruch gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid erhoben sie Klage zum Finanzgericht.
Die Vorlage ist unzulässig. Ausgehend von der Auffassung des Finanzgerichts, dass die Anwendung des § 32a KStG auf im Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits festsetzungsverjährte Einkommensteuerfestsetzungen eine nicht gerechtfertigte echte Rückwirkung begründet, liegt eine verfassungskonforme Auslegung nahe. Sie erscheint auch nicht ausgeschlossen. Eine Auslegung, nach der nachteilige Änderungen festsetzungsverjährter Steuerbescheide ausgenommen werden, könnte dem Rückwirkungsverbot Rechnung tragen. Das Finanzgericht hat jedoch nicht hinreichend dargelegt, warum es eine verfassungskonforme Auslegung nicht für möglich hält.
Sachverhalt:
Wird der Körperschaftsteuerbescheid einer Gesellschaft wegen einer verdeckten Gewinnausschüttung erlassen, aufgehoben oder geändert, ermöglicht § 32a Abs. 1 Satz 1 KStG insbesondere eine Änderung des Einkommensteuerbescheides des Gesellschafters, dem die verdeckte Gewinnausschüttung zuzurechnen ist. Nach § 32a Abs. 1 Satz 2 KStG endet die Einkommensteuerfestsetzungsfrist gegenüber dem Gesellschafter nicht vor Ablauf eines Jahres nach Unanfechtbarkeit des Körperschaftsteuerbescheides der Gesellschaft. Die Vorschrift trat am 19. Dezember 2006 in Kraft.
Die Kläger des Ausgangsverfahrens, zwei Eheleute, waren jeweils zu 50 % an einer GmbH beteiligt. Im Jahr 1998 erwarben sie gemeinsam mit dieser ein mit einer Villa bebautes Grundstück. Die Eheleute erlangten das Eigentum an der deutlich größeren, mit der Villa bebauten Teilfläche, die GmbH erhielt die unbebaute Teilfläche mit dichtem Baumbestand. Die Aufteilung des Kaufpreises und von der GmbH getragener Umbaukosten entsprach nicht dem Wert dieser Grundstücksteile.
Im Hinblick auf diese Aufteilung stellte das Finanzamt fest, dass verdeckte Gewinnausschüttungen an die Eheleute zu berücksichtigen seien. Im April 2008 erließ es einen entsprechend geänderten Körperschaftsteuerbescheid gegenüber der GmbH und änderte auch die Einkommensteuerfestsetzung der Eheleute für das Jahr 1998; die verdeckten Gewinnausschüttungen wurden als Einkünfte der Eheleute aus Kapitalvermögen erfasst. Nach ihrem überwiegend erfolglosen Einspruch gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid erhoben die Eheleute Klage zum Finanzgericht.
Das Finanzgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 32a Abs. 1 Satz 2 KStG insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als die rückwirkend eintretende Ablaufhemmung auch die Änderung einer bei dem Inkrafttreten des § 32a KStG bereits festsetzungsverjährten Einkommensteuerfestsetzung gegenüber dem Gesellschafter, dem die verdeckte Gewinnausschüttung zuzurechnen ist, in offener Festsetzungsfrist ermöglicht.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Vorlage ist unzulässig. Das Finanzgericht hat nicht den verfassungsrechtlichen Maßgaben entsprechend dargelegt, warum es eine verfassungskonforme Auslegung nicht für möglich hält.
1. Ausgehend von der Auffassung des Finanzgerichts, dass § 32a Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 34 Abs. 13b KStG eine auch nicht ausnahmsweise gerechtfertigte echte Rückwirkung begründet, liegt eine verfassungskonforme Auslegung nahe.
Der Wortlaut des § 32a KStG ebenso wie derjenige des § 34 Abs. 13b beziehungsweise 13c KStG verhält sich nicht ausdrücklich dazu, ob auch bei Inkrafttreten der Normen am 19. Dezember 2006 bereits festsetzungsverjährte Steuerbescheide von der in § 32a Abs. 1 Satz 2 KStG geregelten Ablaufhemmung erfasst sind. Aus dem Zweck der Regelung ergibt sich nicht, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens festsetzungsverjährte Steuerfestsetzungen erfasst sein sollen.
Die Annahme, der Gesetzgeber habe mit diesen Bestimmungen auch bereits festsetzungsverjährte Steuerfestsetzungen erfassen wollen, stützt sich auf die Gesetzesbegründung für § 34 Abs. 13b KStG. Sie lautet:
„Nach dem neuen Absatz 13b findet der neue § 32a KStG auch dann Anwendung, wenn im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes die Festsetzungsfrist beim Anteilseigner bereits abgelaufen ist.“
In der Gesamtschau ist nicht erkennbar, dass eine verfassungskonforme Auslegung ausgeschlossen ist. Es erscheint weder zwingend, § 32a Abs. 1 Satz 2 KStG auch auf festsetzungsverjährte Steuerfestsetzungen anzuwenden. Noch erscheint es ausgeschlossen, festsetzungsverjährte Steuerfestsetzungen auszunehmen, wenn und soweit dies wegen eines verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots geboten ist. Es wäre möglich, dass die Gesetzesbegründung, die Änderungen festsetzungsverjährter Einkommensteuerfestsetzungen von der Neuregelung erfasst wissen will, nur für den Steuerpflichtigen günstige Änderungen im Blick hatte. Eine Auslegung, nach der nachteilige Änderungen festsetzungsverjährter Steuerbescheide ausgenommen werden, stünde hierzu nicht im Widerspruch und könnte dem vom Finanzgericht geltend gemachten Rückwirkungsverbot Rechnung tragen.
2. Das Finanzgericht legt § 32a KStG gleichwohl dahin aus, dass die Norm einen „unbeschränkten Eintritt“ der Ablaufhemmung auch für bereits festsetzungsverjährte Einkommensteuerbescheide anordne. Weil tragfähige Anhaltspunkte für eine andere als die zugrunde gelegte Gesetzesinterpretation fehlten, scheide eine verfassungskonforme Auslegung aus.
Diese Ausführungen verfehlen die Anforderungen an eine vertretbare Begründung dafür, warum eine verfassungskonforme Auslegung ausgeschlossen ist. Eine solche kommt gerade dann in Betracht, wenn sich das entsprechende Auslegungsergebnis nicht bereits mit anderen Auslegungsmethoden ergibt; sie findet ihre Grenze erst dort, wo sie zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Einen Widerspruch zum Wortlaut oder zum Gesetzeszweck macht das Finanzgericht jedoch nicht geltend.
3. Nähere Erläuterungen zur Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung sind auch nicht entbehrlich. So bedürfte es weiterer Erläuterungen, warum eine beschränkende Auslegung des § 32a KStG ausscheidet oder warum eine Berücksichtigung belastender Wirkungen einer Rückwirkung auf bereits am 19. Dezember 2006 festsetzungsverjährte Einkommensteuerfestsetzungen im Rahmen des Ermessens nicht in Betracht kommt.
Beschluss vom 18. Dezember 2023
2 BvL 7/16
(c) Bundesverfassungsgericht, 13.02.2024